II.
Laßt uns also treu werden in der Bewahrung des Geheimnisses! Gott selber hat uns ein so erhabenes Geheimniß anvertraut. Wir aber vertrauen ihm nicht einmal unser Geld an. Er selber sagt: „Hinterleget euere Schätze bei mir! Niemand kann sie nehmen, keine Motte, kein Räuber kann sie verschwinden machen.“ Er verspricht, sie hundertfach wieder zurückzugeben. Und wir folgen nicht. Und doch bekommen wir, wenn wir irgendwo Geld deponiren, schließlich nicht mehr, sondern wir sind schon froh, wenn wir die ganze deponirte Summe wieder erhalten. Wenn es da ein Dieb stiehlt, sagt man, so geht Das auf meine Rechnung. Gott sagt nicht: „Ein Räuber hat den Schatz genommen, eine Motte ihn zerstört.“ Hienieden schon gibt er das Geld hundertfach zurück und im Jenseits fügt er das ewige Leben hinzu. Und Niemand macht ein Depot bei ihm. Er gibt es eben spät zurück, sagt man. Ja, Das ist ja der größte Beweis seiner Großmuth, daß er es nicht hienieden in diesem hinfälligen Dasein zurückgibt. Oder vielmehr er erstattet es ja hienieden schon hundertfach. Hat nicht Paulus hier auf Erden seinen Werkzeug als Zeltmacher, Petrus das Fischerrohr und den Fischerkorb, Matthäus seinen Zöllnertisch verlassen? Und stand ihnen nicht der ganze Erdkreis mehr zur Verfügung als den Königen? Legte nicht Alles seine Schätze ihnen zu Füßen? Stellte man nicht sogar das Leben ihnen zur Verfügung? Machte man sich nicht S. 137 ganz und gar von ihren Wünschen abhängig? Verschrieb man sich ihnen nicht sogar als Sklaven? Und nehmen wir nicht auch heutzutage gar manche ähnliche Vorgänge wahr? Viele Männer von niedriger und armer Herkunft, die mit der Schaufel zu hantieren pflegten und nicht einmal genug zu essen hatten und dann den Namen von Mönchen führten, waren als solche hochgeehrt und bei Königen angesehen. Du meinst, Das will nicht viel bedeuten? Aber bedenke, daß es nur eine Zugabe ist! Die Hauptsache ist für die Ewigkeit aufbewahrt.
Verachte das Geld, wenn du Geld besitzen willst. Wenn du reich sein willst, werde arm! Das sind die Paradoxa Gottes! Er will nicht, daß du durch eigene Anstrengung, sondern durch seine Gnade reich wirst. „Überlasse Das mir!“ spricht er. „Du kümmere dich bloß um dein Seelenheil, damit du auch einen Beweis von meiner Allmacht erhältst! Fliehe die Knechtschaft und das Joch des Reichthums! Verachtest du ihn, so wirst du doppelt reich, einerseits dadurch, daß dir diese Dinge von allen Seiten zuströmen, andererseits dadurch, daß du nicht die Bedürfnisse hast wie die große Menge.“ Nicht im großen Besitze, sondern in den geringen Bedürfnissen besteht der Reichthum. So lange er viele Bedürfnisse hat, unterscheidet sich selbst der König nicht von dem Bettler. Denn das Wesen der Armuth liegt darin, daß man auf fremde Hilfe angewiesen ist. Von diesem Gesichtspunkte aus ist daher auch der König ein Bettler, insofern er auf seine Unterthanen angewiesen ist. Ganz anders, wer (Christo) gekreuzigt ist. Er bedarf Nichts, zum Lebensunterhalt genügen ihm seine Hände. „Für mich und meine Gefährten,“ sagt Paulus, „haben diese Hände das Nöthige erworben.“1 So spricht jener Paulus, der auch ausruft: „Wir haben Nichts und besitzen doch Alles.“2 Das sagt jener Paulus, der S. 138 von den Bewohnern von Lystra für einen Gott gehalten wurde.
Wenn du die Güter dieser Welt besitzen willst, so suche das Himmelreich. Wenn du auch irdischen Genuß zu haben wünschest, so verachte ihn! „Suchet zuerst das Himmelreich,“ steht geschrieben, „und alles Das wird euch beigegeben werden!“3 Was staunst du kleine Dinge an? Was lechzest du nach werthlosem Tand? Wie lang willst du arm, wie lang ein Bettler bleiben? Blicke zum Himmel auf, betrachte den Reichthum dort oben, verachte das Gold, überzeuge dich, wie wenig es zu brauchen ist! Das gegenwärtige Leben hindurch nur hat man einen Genuß davon, dieses vergängliche Dasein hindurch, das einem Sandkorn gleicht, oder vielmehr ein Tropfen ist im Vergleich zum unermeßlichen Abgrund des Meeres; so gering ist das gegenwärtige Leben im Vergleich zur Ewigkeit. Das ist kein Besitzen, nur ein Gebrauchen, man ist nicht der eigentliche Herr davon. Wie wäre Das möglich, wenn nach deinem letzten Athemzuge, du magst wollen oder nicht, andere Leute dein ganzes Vermögen bekommen, und wenn diese es wieder andern geben müssen und so fort. Wir sind alle Fremdlinge, und der Herr des Hauses ist oft nicht mehr als der Miethbewohner desselben. Stirbt nämlich der erstere, so bleibt oft der letztere und hat vom Hause mehr als dessen früherer Herr. Also war auch dieser nur ein Miethbewohner, so gut es der Andere ist. Der Herr mußte es nur bauen, mußte sich damit abmühen und abarbeiten. „Herr des Hauses“ ist ein leeres Wort. In Wirklichkeit sind wir alle die Herren fremden Gutes. Bloß Das ist wahrhaft unser Eigenthum, was wir in die Ewigkeit vorausschicken. Die Dinge hienieden gehören nicht (für immer) uns, sondern gehören (nur) den Lebenden. Ja sie verlassen uns oft noch in diesem Leben. Das allein ist unser Eigenthum, was sich als gutes Werk im S. 139 geistigen Sinne darstellt: Almosengeben und Barmherzigkeit. Die anderen Dinge heissen „äussere Güter“ auch bei den Heiden. Sie liegen ja ausser uns. Machen wir sie also zu inneren! Es ist nicht möglich, mit dem Gelde in’s Jenseits hinüberzugehen, aber wohl ist es möglich, mit dem Almosen hinüberzugehen. Oder vielmehr wir sollen dasselbe vorausschicken, damit es uns eine Stätte bereite in den himmlischen Wohnsitzen.