IV.
Glaubet nicht, daß ich diesen Gegenstand jetzt ohne besondere Ursache bespreche! Und nun muß ich mich auch an die Dienstboten wenden. Du also, mein Bester, habe nicht Das im Auge, daß du einem Menschen dienst, sondern Gott, und daß du dem Christenthum Ehre machen mußt, und dann wirst du dich zu Allem leicht verstehen, zum Gehorsam gegen deinen Herrn und zur Ertragung seiner unzeitigen Leidenschaften und Launen! Bedenke, daß du ihm nicht einen Gefallen erweisest, sondern einen gött- S. 462 lichen Befehl erfüllst, und du wirst alles Mögliche mit Leichtigkeit ertragen! Was ich aber stets sage, Das muß ich auch jetzt vorbringen, daß, wenn unsere geistigen Angelegenheiten in Ordnung sind, es auch mit den weltlichen nach Wunsch gehen wird. Einen solchen Dienstboten, der so willig und gut ist, wird nicht nur Gott zu sich nehmen und ihn mit jenen leuchtenden himmlischen Kränzen belohnen, nein, sondern auch sein Herr selber, dem er gute Dienste leistet, auch wenn er ein steinerner, unmenschlicher und roher Mann wäre, mit Lob, Bewunderung überhäufen und mehr als alle andern mit Hochschätzung behandeln und wird, trotzdem er ein Heide ist, diesen Christen zum Aufseher über das andere Gesinde machen. Und auch wenn es sich um heidnische Herren handelt, verlangt Gott, daß ein Dienstbote in der geschilderten Weise sich gegen sie benehme.
Ich will, wenn es euch recht ist, ein Beispiel dafür beibringen. Der ägyptische Joseph wurde an den Küchenmeister verkauft, und er hatte einen andern Glauben, nicht den ägyptischen. Was that nun jener Küchenmeister? Da er sah, daß der Jüngling brav war, nahm er keine Rücksicht auf die Verschiedenheit der Religion, sondern wurde sein Gönner, Freund und Bewunderer, übertrug ihm die Aufsicht über die andere Dienerschaft und kümmerte sich auf ihn vertrauend weiter gar nicht mehr um das ganze Hauswesen. Joseph wurde ein zweiter Hausherr, oder vielmehr er stand über dem Herrn, indem der letztere sich um Nichts mehr kümmerte und Joseph um die Vorgänge im Hause mehr wußte als er. Und es kommt mir vor, als habe er, als er später der ruchlosen Verläumdung seines Weibes gegen Joseph Glauben schenkte, mit Rücksicht auf die frühere Achtung und Hochschätzung gegen den gerechten Mann seine Entrüstung soweit bemeistert, daß er ihn bloß in’s Gefängniß werfen ließ. Denn hätte er den Mann nicht so sehr geschätzt und bewundert wegen seines früheren Benehmens, so würde er ihn sofort getödtet und ihm das S. 463 Schwert durch den Leib gerannt haben. „Denn gar grimmig,“ heißt es, „ist der Zorn eines Mannes; für kein Lösegeld gibt er ihn auf, nicht mit vielem Golde läßt er sich besänftigen.“1 Wenn aber der Grimm bei jedem Manne so groß ist, dann um so mehr bei jenem Küchenmeister, einem Ägypter und Barbaren, der sich obendrein von einem Manne gekränkt glaubte, den er bisher so hoch gehalten. Ihr wißt ja doch wohl alle, daß uns Nichts so weh thut, daß uns vielmehr am allermeisten eine Kränkung von Freundesseite schmerzt, und daß Beleidigungen, welche von Leuten ausgehen, die uns Vertrauen entgegengebracht und denen wir Vertrauen geschenkt und Wohlthaten erwiesen haben, uns stets mehr Kummer und Trauer verursachen. Der Ägypter hatte nicht die ihm angethane Kränkung im Auge; er sagte nicht: „Was ist Das? Ich habe ihn als Diener angenommen, habe ihm das ganze Hauswesen übertragen, habe ihn frei gemacht und zu etwas Höherem als mich selber, und jetzt dankt er mir so?“ Nichts von Dem sprach er; so sehr hatte die frühere Achtung vor ihm seine Seele eingenommen. Und warum sollen wir uns wundern darüber, daß er im Hause eine solche Achtung genoß, wenn wir sehen, daß er sogar im Kerker mit so viel Rücksicht behandelt wurde? Ihr wißt, welch grausame Behandlung die Gefängnißwärter gewöhnlich den Eingekerkerten zu Theil werden lassen. Sie profitiren vom Unglück Anderer, und die Unglücklichen, gegen welche Andere sonst Mitleid üben, diese werden von jenen Unmenschen, die ärger sind als Bestien, zerfleischt um eines beweinenswerthen Gewinnes halber. Denn sie leben ja von den Gefangenen, mit welchen sie Erbarmen fühlen sollten. Und nicht bloß Das wollen wir in’s Auge fassen, sondern auch noch den Umstand, daß diese Wärter nicht mit allen Eingekerkerten auf gleiche Art umgehen. Mit Jenen nämlich, welche in Folge einer falschen Anzeige und mit Unrecht in Ketten gelegt worden sind, em- S. 464 pfinden sie allenfalls noch ein Mitleid; Diejenigen aber, welche wegen schändlicher, großer und verwegener Verbrechen in’s Gefängniß geworfen wurden, traktiren sie mit zahllosen Hieben. Also der Gefängnißwärter ist nicht bloß wegen seines Charakters grausam, sondern auch die Ursache, wegen welcher Jemand eingesperrt ist, hat Einfluß auf sein Benehmen. Wen hätte aber jener Jüngling nicht gegen sich in Harnisch bringen sollen, der solche Ehre im Hause genossen hatte und dann in den Verdacht kam, seiner Herrin schändliche Anträge gemacht und seinem Wohlthäter auf so schnöde Weise gedankt zu haben? Hätte angesichts Dessen, angesichts der Ehre, die der Gefangene genossen, und angesichts der That, wegen welcher er in’s Gefängniß kam, der Kerkermeister nicht wahrhaft bestialisch mit ihm umgehen müssen? Aber alles Das überwand das Vertrauen auf Gott; so weiß die Tugend auch Bestien zu besänftigen. Mit derselben Sanftmuth, womit Joseph seinen Herrn gewonnen, gewann er jetzt auch den Oberkerkermeister. Und abermals kam er in eine angesehene Stellung, er herrschte im Kerker wie einst im Hause. Da er nämlich, zum Herrschen bestimmt war, mußte er vorerst gehorchen lernen, und nur durch Gehorsam brachte er es zum Herrn und Gebieter im Hause.
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Sprüchw. 6, 34. ↩