IV.
Ja, in der That ist das eine Ruhe, wo entflohen ist der Schmerz und die Trauer und das Seufzen, wo weder Sorgen noch Arbeiten noch Kämpfe sich finden, noch eine Furcht, welche die Seele niederschlägt und erschüttert, sondern allein die Furcht Gottes, die reich ist an Wonne. Dort hört man nicht mehr (die Worte): „Im Schweiße deines Angesichtes sollst du dein Brod essen,“1 noch auch: „Dörner und Disteln soll sie dir tragen,“ - Dörner und Disteln sind nicht mehr, - noch auch: „In Schmerzen sollst du deine Kinder gebären und sollst unter der Gewalt des Mannes sein, und er wird über dich herrschen.“ Dort ist Alles Friede, Freude, Wonne, Seelenlust, Güte, Milde, Aufrichtigkeit, Liebe. Dort herrscht weder Eifersucht noch Neid, weder Krankheit noch Tod des Leibes oder der Seele, nicht Finsterniß, nicht Nacht; dort ist Alles Tag, Alles Licht, Alles Ruhe; dort gibt es keine Ermüdung, keine Übersättigung, sondern wir werden fortwährend Lust an diesen Gütern haben. Wollet ihr, daß ich euch auch ein beiläufiges Bild des jenseitigen Zustandes (der Seligen) entwerfe? Das ist unmöglich; aber dennoch will ich’s nach meinen Kräften versuchen, euch ein solches Bild vor Augen zu stellen. Blicken wir auf zum Himmel, wenn er frei von lästigem Nebel seine Krone zeigt. Und hat uns dann die Schönheit seines Anblickes lange entzückt, so erwägen wir, daß wir einen Wohnsitz haben werden, aber keinen solchen wie der jetzige ist, sondern um so viel herrlicher ist, als S. 116 sich das Gold vor einer Lehmdecke auszeichnet! Denken wir uns dann wieder die obere Decke, ferner die Engel, die Erzengel, die zahllosen Schaaren der unkörperlichen Mächte, den Wohnsitz Gottes, den Thron des Vaters; allein wie ich schon gesagt, die Sprache ist ohnmächtig, das Ganze zu schildern: Erfahrung ist nothwendig und eine aus Erfahrung entsprungene Erkenntniß. Wie glaubt ihr, daß Adam im Paradiese gelebt habe? Um so viel aber ist das himmlische Leben herrlicher als jenes, um wie viel der Himmel den Vorzug hat vor der Erde. - Jedoch wir wollen noch ein anderes Bild aufsuchen. Wenn es geschähe, daß der jetzige Kaiser Beherrscher des ganzen Erdkreises würde und weder durch Kriege noch durch Sorgen belästiget wäre, sondern nur Ehren und Freuden genöße, indem ihm reiche Abgaben2 zuflößen und das Gold von allen Seiten zusammenströmte und er von Allen bewundert wäre: was für ein Gefühl würde ihn erfüllen, wenn er alle Kriege von der Erde verbannt sähe? Etwas ähnliches wird dereinst stattfinden; allein jenes Bild zu entwerfen ist mir noch nicht gelungen, weßhalb ich ein anderes versuchen muß. Denke dir ein königliches Kind, welches, solange es im Mutterschooß ist, Nichts empfindet, nun plötzlich von dort auf den königlichen Thron kommt und nicht allmählig, sondern auf einmal in den Besitz aller Macht gelangt. So ungefähr ist das Verhältniß unseres jetzigen und jenseitigen Looses; - oder wenn ein Gefangener, der zahllose Leiden erduldet, plötzlich auf den Königsthron erhoben würde. Aber auch diese Bilder sind noch nicht zutreffend zu nennen. Denn an den irdischen Gütern, und beständen sie auch in einer königlichen Herrschaft, hat Derjenige, welcher in den Besitz derselben gelangt, wohl am ersten Tage eine herzergötzende Freude, auch am zweiten und dritten noch; im Verlauf der Zeit aber bleibt zwar das Vergnügen, aber es ist lange S. 117 nicht mehr so groß; denn es wird, mag es wie immer geschaffen sein, durch die Gewohnheit geschwächt; - dort aber tritt nicht nur keine Minderung ein, sondern es gewinnt stets neuen Zuwachs. Bedenke doch, welch großes Glück! Eine abgeschiedene Seele kennt keine Furcht mehr, daß jene Güter einmal ein Ende nehmen oder einen Wechsel erfahren könnten, sondern weiß, daß die Glückseligkeit sich fort und fort mehren und dieß glückselige Leben ewig dauern werde: sie ist frei von allen Gefahren, frei von Kummer und Sorge und ergötzt sich in der Fülle der Wonne, im Genusse unzähliger Güter. Denn wenn wir auf’s Feld hinausgehen und dort die Soldatenzelte, die aus Teppichen verfertiget sind, und die Speere und die Helme und die glänzenden Buckel der Schilde betrachten, so erfaßt uns hohe Bewunderung. Wenn wir nun aber auch schauen, wie der König zu Fuß in die Mitte (der Seinigen) eilt, oder wenn wir ihn zu Pferde im Strahlenglanze goldener Waffen erblicken, so vermeinen wir Alles zu haben: was glaubst du, (daß wir empfänden,) wenn wir der Heiligen ewige Gezelte, die im Himmel aufgeschlagen sind, anschauen könnten? „Denn sie werden,“ heißt es, „euch aufnehmen in die ewigen Wohnungen;“3 - wenn du einen Jeden hellglänzender als die Sonne leuchten sähest, nicht in Erz und Eisen, sondern in jener Herrlichkeit, deren Gefunkel kein Menschenauge zu schauen vermag? Das gilt in Bezug auf die Menschen. Was würdest du aber erst sagen beim Anblick der Tausende von Engeln und Erzengeln, der Cherubim und Seraphim, der Thronen, der Herrschaften, der Gewalten, der Mächte, deren Schönheit unerfaßlich ist und allen Verstand übersteigt? Jedoch his wohin verliere ich mich, indem ich Unerreichbares verfolge? Denn „kein Auge,“ heißt es, „hat es gesehen, kein Ohr gehört, und in keines Menschen Herz ist es gekommen, was Gott Denen bereitet hat, die ihn lieben.“4 Die beklagenswerthesten S. 118 Menschen sind also Die, welche Das nicht erreichen, und über Alles glückselig Die, welche in den Genuß Desselben gelangen. Möchten doch auch wir aus der Zahl der Seligen sein, damit wir der ewigen Güter theilhaftig werden in Christus Jesus, unserem Herrn, dem mit dem Vater und dem heiligen Geiste sei Ruhm, Macht und Ehre jetzt und alle Zeit und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen. S. 119