22. Von Eberulfs Bosheit
Indessen wurden die Güter des Eberulf an verschiedene Personen verteilt. Das Gold und Silber und andere Kostbarkeiten, das er noch in seinem Besitze hatte, gab er preis. Was er aber anderen anvertraut hatte, wurde für den Staatsschatz eingezogen. Auch seine Pferde-, Schweineund Rinderherden wurden ihm genommen. Sein Haus innerhalb der Stadt, welches er sich widerrechtlich angeeignet hatte, da es der Kirche gehörte, und das man voll von Getreide, Wein, Speck(1) und vielen ändern Dingen fand, wurde ganz und gar geplündert, und nichts blieb dort als die leeren Wände.
Er legte dies ganz besonders uns zur Last, obwohl wir ihm in allen seinen Angelegenheiten getreulich beistanden, und gelobte oftmals, daß, wenn er jemals wieder beim Könige zu Gnaden angenommen würde, er alles an uns rächen würde, was er erduldete. Gott aber, dem die Geheimnisse des Herzens offenbar sind, weiß, daß wir reinen Herzens ihm Beistand geleistet haben, soweit wir nur konnten. Denn obgleich er früher um der Güter des heiligen Martinus willen viele Ränke gegen mich gesponnen hatte, hatte ich doch einen Grund, dies unbeachtet zu lassen. Ich hatte nämlich seinen Sohn aus dem heiligen Taufbad gehoben. Das aber, glaube ich, brachte jenen Unglücklichen besonders zu Fall, daß er dem S. 212 heiligen Bischof(1) keine Ehrfurcht erwies. Denn oft vollführte er Mordtaten in der Vorhalle selbst, die zu den Füßen des Heiligen liegt(2), stellte dort unablässig Saufgelage an und trieb andere gottlose Dinge. Auch warf er einen Priester deshalb, weil er ihm keinen Wein mehr geben wollte, da er schon betrunken war, auf eine Bank nieder und richtete ihn mit Faustschlägen und Stößen so zu, daß es schien, er würde den Geist aufgeben. Dies würde auch geschehen sein, wenn ihn die Ärzte nicht durch Schröpfköpfe gerettet hätten.
Eberulf hielt damals aus Furcht vor dem Könige sein Nachtlager immer in der Sakristei der heiligen Kirche selbst, und wenn der Priester, der die Türschlüssel führte, fortgegangen war, nachdem er die übrigen Pforten verschlossen hatte, kamen durch die Tür der Sakristei die Mägde des Eberulf mit seinem ändern Gesinde in die Kirche, sahen sich die Wandgemälde an und untersuchten den Schmuck des heiligen Grabmals, was den frommen Brüdern sehr anstößig war. Als jener Priester dies in Erfahrung gebracht hatte, schlug er Nägel an der Türe ein und schob die Riegel von ihnen vor. Da Eberulf dies nach seinem Abendessen, schon vom Weine trunken, bemerkte, und wir beim Anbruch der Nacht in der Kirche die Psalmen sangen, brach jener wütend herein und fing an, mich mit Schmähungen und Flüchen zu überhäufen. Unter Schimpfreden warf er mir vor, ich wollte ihm zu der Decke des heiligen Bischofs den Zutritt verwehren(3) Ich staunte, welche Verblendung diesen Mann ergriffen hatte, und suchte ihn mit freundlichen Worten zu beruhigen. Da ich aber seine Wut durch guten Zuspruch nicht zu beschwichtigen vermochte, beschloß ich zu schweigen. S. 213 Als er nun sah, daß ich ihm nicht mehr antwortete, wandte er sich zu dem Priester und brachte gegen ihn eine Flut von Schimpfreden vor. Und so fuhr er fort, jenen mit frechen Reden anzugreifen und mich mit mannigfachen Vorwürfen zu überhäufen. Da wir nun sahen, daß er sozusagen von einem bösen Geiste besessen war, machten wir unserm Gebet und dem Ärgernis ein Ende und gingen aus der Kirche. Am meisten bedauerten wir, daß er diesen Streit ohne alle Achtung vor dem Heiligen gerade vor dessen Grabmal angefangen hatte.
In diesen Tagen hatte ich einen Traum, dm ich selbst ihm in der heiligen Kirche folgendermaßen erzählte: „Es war mir, als ob ich in dieser Kirche das hochheilige Meßamt feierte. Und als über den Altar und das Opfer(1) die seidene Decke gebreitet war, sah ich plötzlich König Gunthramn eintreten, der mit lauter Stimme rief: ,Schleppt mir heraus den Feind meines Geschlechts, reißt den Mörder fort von dem heiligen Altar Gottes.' Als ich das hörte, wandte ich mich zu dir und sprach: ,Ergreife die Decke des Altars, mit der das heilige Opfer verhüllt ist, Unglücklicher, daß man dich nicht von hier fortschleppt.' Und als du sie nähmest, ergriffst du sie doch nur lose mit der Hand und hieltest sie nicht fest. Ich aber breitete meine Arme aus, warf mich Brust an Brust dem König entgegen und sprach: »Vertreibe nicht diesen Menschen aus der heiligen Kirche, auf daß nicht dein Leben Gefahr laufe und der heilige Bischof durch seine Wunderkraft dich verderbe. Töte dich nicht mit eigener Waffe, denn, wenn du dich nicht warnen läßt, wirst du das zeitliche und ewige Leben verlieren.' Als mir der König jedoch nicht nachgeben wollte, ließest du die Decke fahren und tratest hinter mich. Ich aber war sehr ärgerlich über dich(2). Dann tratest du zum Altar zurück, nahmst S. 214 wiederum die Decke, und ließest sie wiederum fallen. Während du sie aber noch lose hieltest und ich mich dem Könige männlich widersetzte, wachte ich voll Angst und Schrecken auf und wußte nicht, was dieser Traum bedeuten sollte." Als ich ihm dieses erzählt hatte, sagte er: „Der Traum ist wahr, den du gesehen hast; denn er stimmt sehr wohl mit meinen Gedanken überein." Da fragte ich ihn: „Was willst und beabsichtigst du denn?" Er antwortete: „Ich hatte bei mir beschlossen, daß, wenn mich der König von dieser Stätte fortschleppen wollte, ich mit der einen Hand die Decke des Altars halten, mit der ändern aber mein Schwert zücken und zuerst dich und dann alle Geistlichen niederstrecken würde, die ich nur erreichen könnte. Dann schien es mir kein Schimpf mehr zu sterben, wenn ich mich nur an den Geistlichen dieses Heiligen gerächt hätte." Da ich dies hörte, staunte und entsetzte ich mich, was das wäre; denn der Teufel selbst sprach aus seinem Munde.
Er zeigte übrigens zu keiner Zeit Scheu und Ehrfurcht vor Gott. Denn als er noch in Freiheit war, ließ er seine Pferde und Rinder in den Saaten und Weinbergen der armen Leute weiden, und wenn sie, deren saure Arbeit er zugrunde richten ließ, das Vieh Hinaustrieben, ließ er sie sogleich von seinen Leuten niederhauen. Auch rühmte er sich selbst in dieser Bedrängnis, in der er war, noch oft, daß er sich widerrechtlich des Eigentums des heiligen Bischofs bemächtigt habe. Noch im Jahre zuvor stellte er einen leichtsinnigen Menschen aus den Einwohnern an, um die Verwalter der Hauptkirche zu verklagen, und brachte dann Güter, welche einst die Kirche besaß, wider alles Recht durch einen Scheinkauf an sich; jenem Menschen gab er dafür ein Stück Gold von seinem Wehrgehäng. So vollführte er noch vieles Böse bis an sein Lebensende, das wir nachher erzählen werden.