39. Von dem Ärgernis im Kloster zu Poitiers
In dem Kloster zu Poitiers(1) entstand Hader und Zwietracht, da der Teufel das Herz der Chrodechilde verführte, die sich weiland König Chariberts Tochter rühmte. Im Vertrauen auf ihre königlichen Verwandten veranlaßte sie die Nonnen dazu, ihr einen Eid zu leisten, daß sie die Äbtissin Leubovera durch Verdächtigungen aus dem Kloster entfernen und sie selbst zum Haupt desselben einsetzen wollten. Sie verließ darauf mit vierzig oder noch mehr Jungfrauen, wie auch mit ihrer Base Basina, der Tochter Chilpertchs,(2) das Kloster und sprach: „Ich gehe zu meinen königlichen Verwandten, um ihnen die Schmach melden zu können, die wir erleiden, daß wir hier erniedrigt werden, gleich als seien wir von niedrigen Mägden geboren und nicht Königstöchter". Die Törin und Leichtsinnige, sie gedachte nicht, wie demütig die heilige Radegunde lebte, die dieses Kloster gegründet hatte! Als sie nun das Kloster verlassen hatte, kam sie nach Tours, begrüßte uns und sprach: „Ich bitte dich, heiliger Bischof, daß du diese Jungfrauen, welche die Äbtissin zu Poitiers schmählich erniedrigt hat, bei dir behalten und sie verpflegen wollest, bis ich zu unsren königlichen Verwandten gehe, ihnen melde, was wir erleiden, und zurückkehre". Ich aber sprach zu ihnen: „Wenn die Äbtissin gefehlt und in irgend etwas die Vor- S. 64 schriften der Regel überschritten hat, so wollen wir zu unsrem Bruder Bischof Marovech(1) gehen und zusammen sie zurechtweisen. Wenn dann die Sache ausgeglichen ist, möget ihr wieder in euer Kloster zurückkehren, damit nicht leichtfertig verschleudert werde, was die heilige Radegunde mit Fasten, unablässigem Gebet und unermüdlichen Spenden gesammelt hat". Doch jene antwortete: „Nein, wir wollen zu den Königen gehen". Da sprach ich: „Warum wollt ihr denn der Vernunft nicht Gehör geben? Was achtet ihr nicht auf die Mahnung eines Bischofs? Ich fürchte, daß die Bischöfe der Kirchen, wenn sie sich versammeln, euch von der Kirchengemeinschaft ausschließen werden". Dies ist nämlich in dem Briefe enthalten, den unsere Vorgänger an die heilige Radegunde bei der Gründung dieser Klostergemeinschaft schrieben, dessen Wortlaut diesem Buche einzuverleiben ich für angemessen erachte.
Wortlaut des Briefes.
„An die sehr heilige Frau Radegunde, die Tochter der Kirche in Christo, die Bischöfe Eufronius, Prätextatüs, Germanus, Felix, Domitianus, Victurius und Domnolus(2)
Unaufhörlich ist um das menschliche Geschlecht die heilbringende Fürsorge der unergründlichen Gottheit bemüht, und an keinem Orte und zu keiner Zeit läßt sie von ihren unerschöpflichen Wohltaten ab, da der Weltenrichter voll Verlangen, das Erbe seiner Kirche zu bestellen, überall Personen aussendet, die den Acker derselben voll Fleiß und Eifer mit der Pflugschar des Glaubens durchfurchen, auf daß Christi Saat unter dem milden Hauche Gottes zu reichlichem, hundertfältigem Ertrage gedeihen könne. Und dergestalt verbreitet sich der heilbringende Ausfluß S. 65 seiner Güte nach allen Seiten, daß er keinem Orte das versagt, wovon er weiß, daß es vielen zum Segen gereicht, damit durch das hochheilige Beispiel dieser Personen eine große Zahl die Krone empfange, wann er dereinst wiederkommt zum Gerichte. Als daher in den Anfängen der rechtgläubigen Lehre die ersten Keime des heiligen Glaubens sich für die gallischen Lande erschlossen und die unaussprechlichen Geheimnisse der göttlichen Dreifaltigkeit erst wenigen bekannt geworden waren, sandte er nach seiner Barmherzigkeit den heiligen Martinus aus fremdem Volke in das Land, um es zu erleuchten, auf daß er auch hier nicht weniger gewönne, als er sonst auf dem Erdkreis durch die Predigt der Apostel sich erworben hat. Und dem heiligen Martinus fehlte, obgleich er nicht zu der Apostel Zeiten lebte, doch nicht apostolische Gnade und Würde. Denn war er auch nicht berufen wie jene, so ersetzte er dies durch den reichen Ertrag seiner Arbeit, da ja ein geringerer Grad dem nicht Eintrag tut, der durch Verdienste sich auszeichnet. Wir freuen uns, ehrwürdige Tochter, daß das Beispiel seiner Liebe zu den himmlischen Dingen durch die Gnade Gottes in euch wieder lebendig wird und Kraft gewinnt. Denn obschon die Welt altert und sich zum Ende neigt, erwacht dennoch durch eures Herzens eifriges Streben der Glaube wieder zu neuer Blüte, und was durch die späte Kälte des Alters ermattet dahinstarb, soll durch die Glut eures liebenden Herzens aufs neue erwärmen. Da du fast aus derselben Gegend gekommen bist, woher, wie wir wissen, der heilige Martinus zu uns kam,(1) ist es nicht wunderbar, wenn du dem in deinen Werken nachstrebst, der, wie wir glauben, dein Wegweiser hierher war, auf daß du ihn, dessen Fußstapfen du folgtest, auch in seinen Taten, wenn der Wunsch deiner Seele in Erfüllung S. 66 geht, erreichest und den hochheiligen Mann dir eben so sehr zum Freunde und Gefährten gewinnest, als du an den Freuden der Welt teil zu haben verschmähest. Da der Glanz dieses Ruhms dir voranleuchtet, erfüllest du die Herzen derer, die dich hören, mit solchem himmlischen Lichte, daß aller Orten die Seelen der Jungfrauen zu dir gelockt, von dem Funken des göttlichen Feuers entzündet, voll heißen Verlangens, in der Liebe Christi aus dem Ouell deines Busens getränkt zu werden, zu dir eilen, ihre Eltern verlassen und lieber dir folgen, denn ihrer Mutter. Solches wirkt in dir die Gnade, nicht natürliche Kraft. Und da wir solche Bestrebungen und Wünsche sehen, danken wir dafür der Gnade von oben, welche die Willen der Menschen mit ihrem Willen vereint. Denn wir sind überzeugt, daß sie in ihren Armen alle bewahren will, die sie um dich sich sammeln läßt.
Da wir also in Erfahrung gebracht haben, daß durch Gottes Gnade manche Jungfrauen aus unsren Sprengeln sich voll heißen ' Verlangens zu eurer Regel gewandt und da wir auch euer Gesuch, das wir mit Freuden empfingen, in Betracht gezogen haben, so bestimmen wir im Namen Christi, unsres Schöpfers und Erlösers, daß — obwohl schon an sich alle, welche sich dort vereinigen, um in gleicher Weise in der Liebe zum Herrn zu bleiben, unverbrüchlich halten müssen, was sie aus völlig freiem Entschlüsse einmal gelobt haben, dieweil ja die Treue, welche Christus unter Anrufung des Himmels gelobt ist, nimmerdar verletzt werden darf und es kein leichtes Verbrechen ist, den Tempel Gottes, wovor er uns bewahren wolle, zu beflecken, auf daß er ihn nicht in seinem Zorne zerstöre —, so bestimmen wir also ausdrücklich, daß wenn eine Jungfrau, wie gesagt, aus den unserer bischöflichen Obhut nach Gottes Bestimmung anvertrauten Orten sich eurem Kloster in der Stadt Poitiers beigesellen wird, das nach den Bestimmungen des Herrn Cäsarius, Bischofs von Arles S. 67 seligen Andenkens1 eingerichtet ist, ihr niemals zustehen soll, dasselbe wieder zu verlassen, nachdem sie, wie die Regel es vorschreibt, aus freiem Antrieb eingetreten ist, auf daß nicht durch das schimpfliche Benehmen einer einzelnen in Unehre gerate, was bei allen hoch in Ehren steht. Und wenn deshalb eine, was Gott verhüten möge, durch eine Torheit ihres Herzens verblendet, ihre Zucht, ihren Ruhm und ihre Krone vergessen und sich zu solcher Schmach und Schande herabwürdigen sollte, daß sie, vom bösen Feinde verführt gleich wie Eva, die aus dem Paradies verstoßen wurde, auf irgendeine Weise die Schranken des Klosters oder vielmehr das Himmelreich verließ, um in den gemeinen Kot der Straßen gezogen und getreten zu werden, so soll sie von unserer Gemeinschaft ausgeschlossen sein und von der Härte des Bannstrahls getroffen werden. Und zwar dergestalt, daß, wenn sie sich, nachdem sie Christus verlassen, vom Teufel verführt, einem Manne vermählen sollte, nicht nur sie, die Entflohene, sondern auch der, der sich mit ihr verbunden hat, ein abscheulicher Ehebrecher und Tempelschänder eher als Ehegemahl, so wie ferner auch jeder, der sie hierzu durch seinen Rat, oder Verrat vielmehr, bewogen haben sollte, von gleicher Strafe, wie sie ihr zuerkannt ist, durch des Himmels Gericht nach unsrem Wunsche betroffen werden soll, bis daß sie sich trennen und sie sich durch gebührende Reue über ihr abscheuliches Verbrechen würdig macht, an dem Orte, den sie verlassen, wieder ausgenommen und ihm einverleibt zu werden. Wir fügen noch hinzu, daß die Schuldbefleckten gleiche Verdammnis von allen denen treffen soll, die uns als Bischöfe einst folgen werden, und sollten diese dereinst, was wir nicht glauben mögen, etwas von dem Nachlassen wollen, was dieser unser Beschluß enthält, so mögen sie wissen, daß sie uns dafür vor S. 68 dem Richterstuhle des ewigen Gottes werden Rechenschaft geben müssen. Denn es ist eine allgemeine Heilsvorschrift: wenn etwas Christus gelobt ist, muß es unverbrüchlich gehalten werden.
Diesen unsren Beschluß und Erlaß haben wir zu seiner Bekräftigung mit eigener Hand unterzeichnet, auf daß er von uns unter Christi Beistand ewiglich aufrechterhalten werde."—
Als dieser Brief verlesen war, sagte Chrodechilde: „Nichts wird uns davon abhalten, daß wir uns zu den königlichen Personen begeben, welche wir für unsere Blutsverwandten erkennen". Sie hatten aber den Weg von Poitiers zu Fuße gemacht und nicht einmal ein Pferd zu ihrer Verfügung gehabt; deshalb waren sie sehr erschöpft und angegriffen. Auch hatte ihnen niemand auf dem Wege etwas zu essen gegeben. Überdies kamen sie gerade am ersten März2 bei uns an, wo es stark geregnet hatte und die Wege wegen des großen Wassers boden los waren.