42. Brief der heiligen Radegunde an die Bischöfe
Auch las die Äbtissin einen Brief vor, welchen die heilige Radegunde an die Bischöfe, die zu ihrer Zeit lebten, erlassen hatte. Und von diesem sandte die Äbtissin damals abermals Abschriften an die Bischöfe der benachbarten Städte. Der Wortlaut dieses Briefes aber ist folgender:
Wortlaut des Briefes.
„An die heiligen und ihres apostolischen Sitzes überaus würdigen Herren Väter in Christo, die Bischöfe insgesamt, Radegunde, die Sünderin.
S. 76 Jedes löbliche Vorhaben wird dann von seinem Beginn an kräftiglich gedeihen, wenn die Sache den Vätern und Ärzten, denen alles befohlen ist, den Hirten, denen der Schafstall anvertraut ist, vorgetragen und ihren Herzen empfohlen wird, denn ihre Teilnahme aus der Liebe, ihr Rat aus der Fülle der Macht, ihr Beistand durch das Gebet wird die Sache fördern und unterstützen.
Da ich mich vorlängst, von den Banden des weltlichen Lebens befreit, durch die Fürsorge und Kraft der göttlichen Gnade unter Christi Leitung aus freiem Antriebe zu einem klösterlichen Leben gewandt und mit allem Eifer und ganzer Seele auch auf das Wohl andrer meine Gedanken gerichtet habe, so habe ich, damit meine guten Absichten auch für andere unter Gottes Beistand zu deren Besten ins Leben treten könnten, ein Nonnenkloster in der Stadt Poitiers eingerichtet, das der durchlauchtigste Herr König Chlothar begründet und reich beschenkt hat. Und nach seiner Begründung habe ich diesem Kloster durch eine Schenkung alle die Güter, welche mir der König in seiner Freigebigkeit geschenkt hat, verliehen. Überdies habe ich der Gemeinschaft, welche sich dort durch mich unter Christi Beistand gebildet hat, die Regel gegeben, unter welcher einst die heilige Cäsaria lebte und welche der heilige Bischof Cäsarius von Arles in seiner Fürsorge aus den Anordnungen der heiligen Väter trefflich zusammengestellt hat;(1) so wie ich auch unter Zustimmung der heiligen Bischöfe, sowohl dessen in dieser Stadt, als auch der in den andren Städten, und nach der Wahl der Nonnen selbst die Frau Agnes, meine liebe Schwester, die ich von Jugend an wie eine Tochter liebte und erzog, zur Äbtissin des Klosters eingesetzt und mich selbst nächst Gott ihrem Gebot nach der Regel unterworfen habe. Endlich habe ich selbst, S. 77 wie meine Schwestern, dem apostolischen Beispiel folgend, alles, was wir an irdischen Gütern besaßen, urkundlich dem Kloster übergeben, indem wir, das Schicksal des Ananias und der Sapphira*) befürchtend, bei unsrem Eintritte in das Kloster nichts als unser eigen behielten. Da aber Zeit und Stunde des menschlichen Lebens ungewiß sind, weil die Welt sich zum Ende neigt, und da viele lieber sich als dem Herrn dienen wollen, übergebe ich noch bei meinen Lebzeiten aus Liebe zu Gott und in tiefer Demut euch, apostolische Väter, in Christi Namen diese Bittschrift.
Da ich es persönlich nicht vermag, werfe ich mich statt dessen in diesem Briefe euch zu Füßen und beschwöre euch also bei dem Vater, dem Sohne und dem heiligen Geiste und bei dem Schreckenstage des Gerichts, so gewiß euch dann, wenn ihr dereinst vorgeführt werdet, der arge Tyrann^) verschonen und der wahrhaftige König die Krone verleihen möge, daß wenn etwa nach meinem Tode, wie ich nicht glauben will, irgend jemand, sei es der Bischof der Stadt oder der König in seiner Macht oder irgendeine andre Person, das Kloster entweder auf den Rat böswilliger Menschen oder nach richterlichem Spruch beunruhigen oder die Regel verletzen, oder eine andre Äbtissin, als meine Schwester Agnes, welche die Weihe vom heiligen S. 78 Germanus(1) in Gegenwart seiner Amtsbrüder erhalten hat, einsetzen sollte, oder wenn die Nonnen selbst, was unmöglich geschehen kann, sich zusammentun sollten und etwas zu ändern gedächten, oder wenn irgend jemand, und sei es der Bischof der Stadt selbst, in dem Kloster selbst oder auf den Gütern des Klosters durch ein neues Privilegium irgendwelche Macht beanspruchen sollte, welche die Bischöfe vor ihm oder andere Per-sonen bei meinen Lebzeiten nicht gehabt haben, wenn ferner eine gegen die Regel aus dem Kloster austreten sollte, oder wenn endlich von den Sachen, die mir der durchlauchtigste Herr König Chlothar und seine durchlauchtigsten königlichen Söhne geschenkt, und die ich nach seiner ausdrücklichen Erlaubnis dem Kloster zum Eigentum verschrieben und deren Bestätigung dieser meiner Verschreibung ich von den durchlauchtigsten Herren Königen Charibert, Gunthramn, Chilperich und Sigibert unter eidlichem Gelöbnis und durch ihre eigene Namensunterschrist erwirkt habe, oder auch von den Sachen, welche andere für das Heil ihrer Seelen oder die Schwestern selbst von ihrem Eigentum an das Kloster geschenkt haben, ein König oder Bischof oder sonst ein Mächtiger oder etliche von den Schwestern etwas antasten oder als ihr Eigentum in tempelräuberischer Absicht beanspruchen sollten: alle diese dann nächst Gottes Zorn auch der eurige und der eurer Nachfolger nach meiner Bitte um Christi willen dergestalt treffen möge, daß sie als Räuber und Plünderer der Armut von eurer Gnade ausgeschlossen seien, auf daß niemand aus Furcht vor eurem Widerstande sich unterfange, etwas an unserer Regel zu ändern oder dem Kloster zu entwenden. Auch darum bitte ich euch, daß wenn Gott unsere obengenannte Schwester, die Frau Agnes, von dieser Welt abrufen sollte, an ihrer Stelle die von unfern Klosterfrauen zur Äbtissin eingesetzt werde, die Gott und ihnen selbst genehm ist, und diese soll an S. 79 der Regel festhalten und nichts von den Geboten der Frömmigkeit aufheben, damit sie nicht ihr eigener oder andrer Wille in Gefahr bringe. Sollte aber jemand, was ferne sei, gegen Gottes Gebot und den Befehl der Könige über die obenerwähnten Punkte, die wir euch vor Gott und seinen Heiligen in demütiger Bitte an das Herz legen, Streit erheben, um das Kloster in irgendeiner Weise zu beeinträchtigen, sei es in bezug auf die Person oder das Eigentum, oder sollte er sich unserer obengenannten Schwester, der Äbtissin Agnes, Schwierigkeiten zu bereiten unterfangen, so treffe ihn die Strafe Gottes und des heiligen Kreuzes und der heiligen Maria, und er habe die heiligen Bekenner Hilarius und Martinus, deren Schutz ich nächst Gott meine Schwestern empfohlen habe, zu Feinden und Widersachern.
Auch möge es euch, ihr heiligen Bischöfe, und eure Nachfolger, deren Schutz ich in Gottes Sache inständigst anrufe, nicht verdrießen, wenn jemand, was fern sei, hiergegen etwas unternehmen sollte, ench selbst für die Sache, die euch vor dem Herrn befohlen ist, zu dem Könige, der dann über diesen Ort herrschen wird, oder nach der Stadt Poitiers zu begeben, um gegen die Ungerechtigkeit andrer als die Beschützer und Verteidiger der Gerechtigkeit zu kämpfen, auf daß ihr den Feind Gottes besiegt und zuschanden macht, und auf daß kein rechtgläubiger König dulde, daß zu seinen Zeiten ein solcher Frevel begangen werde, noch auch zugebe, daß, was durch Gott, mich und die Könige selbst begründet ist, vernichtet werde. Zugleich beschwöre ich auch die Könige selbst, welche Gott, um das Volk zu regieren, mich überleben lassen wird, bei dem ewigen Könige, dessen Reiches kein Ende sein wird(1) und durch dessen Wink alle Reiche bestehen, der auch ihnen Leben und Regiment verliehen S. 80 hat, daß sie das Kloster, das ich mit Erlaubnis und Unterstützung ihres königlichen Vaters und Großvaters erbaut, nach der Regel geordnet und ausgestattet habe, zugleich mit der Äbtissin Agnes unter ihren unmittelbaren Schutz und Schirm nehmen und nimmer zugeben, daß von irgend jemand unsere oft genannte Äbtissin angefochten oder irgend etwas, was dem Kloster gehört, angetastet oder verkürzt werde oder eine Änderung erleide, sondern sie sollen vielmehr um Gottes willen, mit den Herren Bischöfen vereint und durch mein Flehen vor dem Welterlöser unterstützt, dafür Sorge tragen, daß es erhalten und bewahrt bleibe, wie ich es ihnen jetzt anbefehle, auf daß sie mit dem Beschützer der Armen und dem Bräutigam der Jungfrauen, dem zu Ehren sie Gottes Dienerinnen schützen, für immerdar in seinem ewigen Reiche vereinigt werden.
Ferner beschwöre ich euch, heilige Bischöfe, und die durch-lauchtigsten Herren Könige und das gesamte Volk der Christen bei dem rechten, wahren Glauben, auf den ihr getauft seid, und bei den Kirchen, die unter eurer Obhut stehen, darum, daß wenn Gott mir gebieten wird, von dem Licht dieser Welt abzuscheiden, mein Leichnam in der Kirche bestattet werde, die ich zur Ehre der heiligen Maria, der Mutter des Herrn, zu erbauen begonnen habe und wo auch schon viele meiner Schwestern in Frieden beigesetzt sind, mag sie dann vollendet oder noch unvollendet sein. Sollte aber jemand hierin etwas anders zu beschließen oder aus-zuführen suchen, so treffe ihn kraft des heiligen Kreuzes Christi und der heiligen Maria die Rache Gottes; ich aber möge dann durch eure Bemühungen dennoch in jener heiligen Kirche in der Gemeinschaft meiner Schwestern meine Ruhestätte erhalten.
Endlich bitte ich euch unter heißen Tränen, daß dieses mein Gesuch, das ich mit eigner Hand unterschrieben habe, in dem Archiv jeder Kirche aufbewahrt werde, auf daß, wenn es gegen irgendwelche Übelwollende not tun sollte, daß meine Schwester, S. 81 die Abtissin Agnes, und ihre Schar irgendwie euren Schutz und Beistand in Anspruch nehmen müßte, euer Erbarmen und helfende Liebe mit der Sorglichkeit guter Hirten ihnen Beistand gewähre und sie dann nicht zu jammern brauchen, daß sie von mir verlassen seien, da ihnen Gott den Schutz eurer Gnade gewähren wird.
Dies binden wir euch in allen seinen Stücken auf die Seele im Namen dessen, der von dem Kreuze herab die glorreiche Jungfrau, seine Mutter, dem heiligen Apostel Johannes empfahl, auf daß, wie von ihm das Gebot des Herrn erfüllt wurde, so auch von euch erfüllt werde, was ich unwürdige Magd euch, meinen Herren, den Vätern der Kirche und den Nachfolgern der Apostel, empfehle. Bewahret ihr diesen meinen letzten Willen nach Gebühr, so werdet ihr teilhaben an dem Verdienst des Herrn, dessen apostolisches Gebot ihr erfüllet, und werdet würdiglich sein Vorbild erneuern."