XVI. Kapitel: Von dem Tode der heiligen Jungfrau Tharsilla1
Zuweilen pflegt zum Trost der scheidenden Seele der Urheber und Belohner des Lebens selbst zu erscheinen. Darum will ich wiederholen, was ich, wie ich mich erinnere, in den Homilien über die Evangelien2 von meiner Tante Tharsilla erzählt habe. Durch die Tugend des S. 208 beständigen Gebetes, durch Lebensernst und ganz besondere Enthaltsamkeit hatte sie ihre beiden andern Schwestern3 überflügelt und war zum Gipfel der Heiligkeit gelangt. Ihr erschien mein Urahne, der römische Papst Felix4 und zeigte ihr ihre Wohnung in der ewigen Herrlichkeit mit den Worten: „Komm, denn ich will dich in dieser leuchtenden Wohnung empfangen!” Tags darauf wurde sie fieberkrank und kam dem Tode nahe. Da bei dem Tode vornehmer Frauen und Männer viele kommen, um die Angehörigen zu trösten, umstanden auch in ihrer Todesstunde viele Männer und Frauen das Bett. Da richtete sie plötzlich den Blick nach oben, sah Jesus kommen und rief laut und befehlend den Umstehenden zu: „Geht weg! Geht weg! Jesus kommt!” Und unverwandt ihn anschauend, schied die heilige Seele vom Leib, Sogleich verbreitete sich ein starker, wunderbarer Wohlgeruch; seine Lieblichkeit zeigte allen, daß der Urheber der Lieblichkeit hier zugegen gewesen. Als man ihren Leichnam, wie es üblich ist, entkleidete, um ihn zu waschen, fand sich, daß die Haut an den Ellenbogen und an den Knien vom vielen Beten hart wie eine Kamelhaut war; so bezeugte der tote Leib noch, was ihr Geist lebend immer geübt.