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Works Gregory I, pope (540-604) Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum Vier Bücher Dialoge (BKV)
Viertes Buch

XXXV. Kapitel: Auch einander unbekannte Seelen erkennen sich zu Zeiten bei ihrem Abscheiden, wenn sie für ihre Schuld gleiche Pein oder für ihre guten Werke gleichen Lohn empfangen; und vom Tode des Johannes und Ursus, des Eumorphius und des Stephanus

Häufig kommt es vor, daß die scheidende Seele auch diejenigen erkennt, mit welchen sie wegen Gleichheit der Schuld oder der Belohnung an denselben Ort gewiesen werden soll. So hat der ehrwürdige Greis Eleutherius, von dem ich im vorigen Buch vieles erzählt habe,1 mitgeteilt, er habe in seinem Kloster einen leiblichen Bruder namens Johannes gehabt, der den Brüdern seinen Tod vierzehn Tage vorher ankündigte. Täglich zählte er die immer weniger werdenden Tage und wurde drei Tage vor seiner Abberufung aus diesem Leben fieberkrank. Als die Todesstunde kam, empfing er das Geheimnis des Leibes und Blutes unseres Herrn. Er ließ seine Brüder herbeirufen und bat sie, mit ihm die Psalmen zu singen, wobei er aber selbst die Antiphon angab mit den Worten: „Tuet mir auf die Pforten der Gerechtigkeit, ich will hineingehen und dem Herrn danken; das ist die Pforte des Herrn: die Gerechten werden da hineingehen.”2 Während die Brüder vor ihm sangen, rief er plötzlich mit lauter und gedehnter Stimme: „Ursus, komm!” Sobald er dies gesagt hatte, schied er vom Leibe und beschloß sein sterbliches Leben. Die Brüder waren erstaunt; denn sie wußten nicht zu deuten, was der sterbende Mitbruder gerufen hatte. Nach seinem Tode war große Trauer im Kloster. Vier Tage darauf aber war den Brüdern etwas nötig, und sie mußten nach einem weit entfernten Kloster schicken. Die Brüder, die sich dorthin begaben, trafen alle Mönche jenes Klosters gleichfalls in großer Traurigkeit an und S. 233 sagten zu ihnen: „Was habt ihr, daß ihr euch in solcher Trauer und Niedergeschlagenheit befindet?” Sie antworteten: „Wir klagen so, weil dieser Ort nun ganz vereinsamt ist; denn vor vier Tagen ist ein Bruder, dessen Leben uns im Kloster zusammenhielt, aus dieser Welt gegangen.” Voll innerer Erregung fragten die angekommenen Brüder, wie er geheißen habe, und erhielten zur Antwort: Ursus. Hierauf erkundigten sie sich eingehend nach der Stunde seiner Abberufung und erfuhren, er sei in demselben Moment vom Leibe geschieden, in welchem er von Johannes, der bei ihnen starb, war gerufen worden. Daraus sieht man, daß beider Verdienst gleich groß war und daß ihnen beschieden wurde, an demselben Orte gemeinschaftlich zu leben, wie sie auch mitsammen vom Leibe schieden.

Ich will auch nicht verschweigen, was ich, als ich noch als Laie lebte und in dem Hause wohnte, das mir von meinem Vater als rechtmäßiges Erbe zufiel, über einige Nachbarn erfahren habe. Eine Witwe in meiner Nähe hieß Galla. Sie hatte einen Sohn namens Eumorphius; nicht weit von diesem entfernt wohnte ein gewisser Stephanus, der Unterbefehlshaber in einer Kohorte war. Da kam Eumorphius zum Sterben, rief seinen Diener und befahl ihm: „Gehe geschwind und sage dem Unterbefehlshaber Stephanus, er solle schnell kommen; denn das Schiff ist bereit, mit welchem wir nach Sizilien fahren müssen.” Da der Diener meinte, er rede irr, und nicht gehen wollte, fing er an, heftig in ihn zu dringen, und sprach: „Geh und richte ihm aus, was ich sage; denn ich rede nicht irre!” Der Diener ging also fort, um den Stephanus aufzusuchen. Auf dem halben Weg begegnete ihm ein anderer Diener, der ihn fragte: „Wohin gehst du?” Er erwiderte ihm: „Zum Unterbefehlshaber Stephanus bin ich von meinem Herrn geschickt worden.” Da sagte jener: „Ich komme eben von ihm, soeben ist er vor meinen Augen gestorben.” Der Diener kehrte zu seinem Herrn Eumorphius zurück, fand ihn S. 234 aber bereits tot. So konnte man, weil der Diener auf halbem Wege umkehrte und der andere ihm entgegenkam, aus dem zurückgelegten Wege abnehmen, daß beide im gleichen Augenblick abberufen worden waren.

Petrus. Das ist schrecklich, was du da erzählst; aber ich bitte dich, warum erschien der scheidenden Seele ein Schiff und warum sagte der Sterbende, daß er nach Sizilien fahren müsse?

Gregorius. Die Seele bedarf keines Fahrzeuges, jedoch ist es nicht zum Verwundern, wenn dem noch im Leibesleben befindlichen Manne etwas erschien, was er leiblich zu sehen gewohnt war, damit er daraus abnehmen könnte, wohin die Seele geistigerweise kommen sollte. Wenn er aber sagte, daß er nach Sizilien fahre, was kann man da anderes darunter verstehen, als daß auf den Inseln dieses Landes mehr als sonstwo in einem aufsteigenden Feuer die Schlünde der ewigen Pein sich auftun? Leute, die es gesehen haben, erzählen, daß die Öffnungen sich von Tag zu Tag erweitern und größer werden; denn je näher das Weltende kommt und je größer die Zahl derer wird, die dort gewiß dem Feuer überantwortet werden sollen, um so mehr erweitert sich der Ort der Pein. Der allmächtige Gott wollte, daß zur Besserung der in dieser Welt Lebenden diese Erscheinung sich zeige, damit die Ungläubigen, welche nicht an die Höllenqualen glauben, die Orte der Pein sehen, nachdem sie nicht daran glauben wollen, wenn sie davon hören. Daß aber sowohl die Auserwählten als auch die Verdammten, die sich in ihren Werken gleichen, auch an den gleichen Ort kommen, das würden uns die Worte der ewigen Wahrheit zur Genüge lehren, wenn wir auch keine Beispiele dafür hätten. Denn diese sagt im Evangelium bezüglich der Auserwählten: „Im Hause meines Vaters sind viele Wohnungen.”3 Wenn nämlich in der ewigen Glückseligkeit die Vergeltung nicht eine verschiedene wäre, so gäbe es dort nur eine, nicht viele S. 235 Wohnungen. Es gibt also viele Wohnungen, und darin genießen die verschiedenen Ordnungen der Guten die ewige Freude, und zwar in Gemeinschaft wegen ihrer gleichartigen Verdienste; und dennoch erhalt jeder Arbeiter nur einen Zehner.4 In viele Wohnungen sind sie eingeteilt, weil zwar die Seligkeit, die sie dort empfangen, eine ist, aber verschieden die Beschaffenheit des Lohnes, den sie durch verschiedene Werke empfangen. Ebendasselbe sagt die ewige Wahrheit, wenn sie vom Tag des Gerichtes spricht: „Dann werde ich den Schnittern sagen: Leset das Unkraut zusammen und bindet es in Büschel zum Verbrennen.”5 Die Engel lesen als Schnitter das Unkraut in Büscheln zum Verbrennen zusammen, wenn sie Gleiches und Gleiches in derselben Pein vereinigen, so daß Stolze mit Stolzen, Unzüchtige mit Unzüchtigen, Geizige mit Geizigen, Betrüger mit Betrügern, Neidische mit Neidischen, Ungläubige mit Ungläubigen das ewige Feuer erdulden müssen. Indem also die gleichen Sünder der gleichen Strafe übergeben werden, sammeln die Engel, welche ihnen die Straforte anweisen, gleichsam das Unkraut in Bündeln zum Verbrennen.

Petrus. Die angegebene Begründung hat meine Frage vollauf beantwortet. Aber wie kommt es, ich bitte dich, daß einige wie infolge eines Irrtums aus der Welt geholt werden, so daß sie, nachdem sie schon leblos waren, wieder zu sich kommen und jeder von ihnen sagt, er habe gehört, daß er nicht der sei, der hätte abberufen werden sollen? S. 236


  1. III. Buch 33. Kap. ↩

  2. Ps 117,19f ↩

  3. Joh 14,2 ↩

  4. Mt 20,9 ↩

  5. Mt 13,30 ↩

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Vier Bücher Dialoge (BKV)
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