VII. Kapitel: Von Andreas, Bischof von Fondi
Doch sieh, während ich die Taten vortrefflicher Männer erzähle, kommt mir auf einmal in den Sinn, was die göttliche Barmherzigkeit an dem Bischof Andreas von Fondi getan hat. Ich wünsche, es möchte diese Begebenheit bei den Lesern die Wirkung haben, daß jene, die ihren Leib der Enthaltsamkeit weihen, es nicht wagen, bei Frauenspersonen zu wohnen, damit nicht ein plötzlicher Fall um so eher über die Seele komme, je mehr die böse Begierlichkeit durch die Gegenwart der begehrten Gestalt genährt wird. Die Sache, die ich erzähle, ist auch nicht zweifelhaft; denn es sind dafür fast ebensoviele Zeugen vorhanden, als jener Ort Einwohner hat. Wenngleich also der ehrwürdige Mann ein sehr tugendreiches Leben führte und sich in priesterlicher Hut in der Burg der Enthaltsamkeit bewachte, wollte er doch eine gottgeweihte Frauensperson, die er schon früher bei sich gehabt hatte, nicht der Haushaltung in seiner bischöflichen Wohnung entheben, sondern ließ sie, seiner und ihrer Enthaltsamkeit gewiß, bei sich wohnen. So kam es, daß der alte Feind in seiner Seele einen Zugang für die Versuchung ausfindig machte. Denn er fing an, die Gestalt jener Person seinem geistigen Auge einzuprägen, so daß er angereizt wurde und Böses dachte. Eines Tages aber kam ein Jude aus dem Gebiete von Kampanien; er war auf dem Wege nach Rom und reiste auf der appischen Straße. Als er an die Anhöhe von Fondi kam und sah, daß der Tag sich S. 117 dem Ende zuneigte, und da er nirgends eine Herberge fand, begab er sich in den Apollotempel, in dessen Nähe er sich gerade befand und blieb dort. Er fürchtete sich aber vor der Gottlosigkeit dieses Ortes und waffnete sich vorsorglich mit dem Zeichen des Kreuzes, obwohl er an das Kreuz nicht glaubte. Um Mitternacht lag er, durch den Schauer der Einsamkeit erregt, schlaflos da und sah auf einmal eine Schar böser Geister, scheinbar einer höheren Macht gehorchend, hervorkommen; er sah, wie der Oberste von ihnen sich in der Mitte jenes Raumes niedersetzte. Dieser fing nun an, die Sachen und Taten der einzelnen untertänigen Geister zu verhören, um zu sehen, was jeder von ihnen Böses getan. Jeder wurde gefragt und erzählte ausführlich, was er gegen die Guten Böses unternommen. Da sprang einer in die Mitte vor und erzählte, welche fleischliche Versuchung er der Seele des Bischofs Andreas bereitete durch die Gestalt der gottgeweihten Jungfrau, die in seinem bischöflichen Hause wohnte. Der oberste der bösen Geister horchte gierig auf und hielt den Gewinn für um so größer, wenn er die Seele eines so großen Mannes zu Fall bringen könnte; da fügte der Geist, der das erzählt hatte, noch hinzu, daß er am vorhergehenden Tage in der Abendstunde ihn schon soweit gebracht habe, daß er der gottgeweihten Frau liebkosend einen leichten Streich auf den Rücken gab. Hierauf ermahnte ihn der böse Geist und Urfeind des Menschengeschlechtes freundlich, doch zu vollenden, was er angefangen habe, damit er vor den Übrigen einen besonderen Siegespreis für jene Niederlage erhalte. Während der Jude dies wachenden Auges mit ansah und vor großer Furcht und Angst zitterte, befahl der böse Geist, der hier über die anderen als über seine Untergebenen herrschte, sie sollten nachsehen, wer es denn da gewagt habe, sich in dem Tempel schlafen zu legen. Die bösen Geister gingen hin, betrachteten ihn genau, und da sie ihn mit dem Geheimnis des Kreuzes bezeichnet fanden, riefen S. 118 sie verwundert: „Wehe, wehe, ein leeres Gefäß, aber ein gezeichnetes!” Nach diesen Worten verschwand die ganze Schar der bösen Geister. Der Jude aber, der dies alles gesehen hatte, stand auf und eilte zum Bischof. Er fand ihn in seiner Kirche, nahm ihn beiseite und fragte ihn, von welcher Versuchung er bedrängt werde. Der Bischof wollte ihm seine Versuchung aus Scham nicht bekennen. Da aber jener ihm sagte, er habe auf die betreffende Dienerin Gottes in unreiner Liebe seine Augen geworfen und der Bischof noch immer leugnete, fügte er bei: „Warum gestehst du nicht ein, um was ich dich frage, da du doch gestern abend soweit dich hast verleiten lassen, ihr einen leichten Streich auf den Rücken zu geben?” Auf diese Worte hin sah sich der Bischof entdeckt und bekannte demütig, was er vorher hartnäckig geleugnet hatte. Um ihn vor dem Fall und vor der Schande zu bewahren, teilte der Jude dem Bischof mit, auf welche Weise er dies erfahren und was er in der Versammlung der bösen Geister über ihn gehört hatte. Als der Bischof dies hörte, warf er sich auf die Erde nieder und betete. Und alsbald schickte er nicht bloß jene Dienerin Gottes, sondern auch alle weiblichen Personen, welche zu ihrer Bedienung dort wohnten, aus dem Hause. Den Apollotempel aber verwandelte er in eine Kirche zum heiligen Andreas und wurde von jener Anfechtung des Fleisches vollkommen frei. Den Juden aber, durch dessen Gesicht und durch dessen Zurechtweisung er gerettet wurde, führte er zum ewigen Heil: denn er unterwies ihn in den heiligen Geheimnissen des Glaubens, reinigte ihn durch das Wasser der Taufe und führte ihn in den Schoß der heiligen Kirche. So geschah es, daß dieser Hebräer, während er für das Heil eines andern besorgt war, sein eigenes erlangte, und der allmächtige Gott gerade dadurch den einen zu einem guten Leben führte, daß er den andern im guten Leben erhielt. S. 119
Petrus. Die Geschichte, die ich gehört habe, macht mir Furcht und Hoffnung zugleich.
Gregorius. Gewiß müssen wir immer einerseits auf Gottes Barmherzigkeit vertrauen und andererseits wegen unserer Schwäche in Furcht sein; denn siehe, wir haben gehört, daß eine Zeder des Paradieses zwar erschüttert, aber nicht entwurzelt wurde, damit wir in unserer Schwachheit uns fürchten, weil die Zeder erschüttert wurde, aber Vertrauen haben, weil sie stehen geblieben.