XIX. Kapitel: Von der Kirche des seligen Märtyrers Zeno in Verona, in die das Wasser bei einer Überschwemmung trotz offenstehender Türen nicht eindrang
Etwas Ähnliches wie dieses alte Wunder hat sich in unseren Tagen mit dem entgegengesetzten Elemente zugetragen. Der Tribun Johannes hat mir nämlich neulich erzählt, daß der Graf Pronulphus beteuerte, er sei während seines dortigen Aufenthaltes mit dem König Autharis zur selben Zeit an der Stelle gewesen, wo das Wunder sich zutrug, und habe es selbst gesehen. Der erwähnte Tribun erzählte also, daß ungefähr vor fünf Jahren, als der Tiber hier bei der Stadt Rom sein Bett verließ und so anschwoll, daß seine Wogen über die Stadtmauern dahingingen und große Regionen der Stadt überschwemmten,1 zur selben Zeit auch die Etsch bei Verona austrat und bis zur Kirche des Märtyrers und Bischofs Zeno kam; aber obwohl die Kirchentüren offen standen, drang das Wasser doch nicht in die Kirche ein. Allmählich anwachsend, stieg es bis zu den Fenstern der Kirche, die nahe am Dache waren; dabei verschloß das stehenbleibende Wasser den Türeingang, wie wenn dies flüssige Element zur festen Mauer geworden wäre. Im Innern der Kirche befanden sich viele Leute, denen, da das Wasser die Kirche ganz umgab, kein Ausweg blieb; sie fürchteten, durch Hunger und Durst dort umkommen zu müssen. Deshalb gingen sie an die Kirchentüre und schöpften vom Wasser zum Trinken, das, wie bemerkt, bis zu den Fenstern gestiegen war, ohne irgendwie in die Kirche sich zu ergießen. Es ließ sich also schöpfen wie Wasser, konnte aber nicht fließen wie Wasser. An der Türe stehen bleibend, war es Wasser zur Erquickung und war gleichsam doch wieder nicht Wasser, um den heiligen Ort zu S. 147 überschwemmen, damit dadurch allen das Verdienst des heiligen Märtyrers offenbar werden sollte. Deshalb habe ich mit Recht anfangs gesagt, daß dieses Wunder nicht unähnlich sei dem alten Wunder mit dem vorhinbesprochenen Feuer, das die Kleider der drei Jünglinge nicht berührte, ihre Bande aber verbrannte.
Petrus. Sehr wunderbar sind die von dir erzählten Heiligentaten und bei der heutigen Schwachheit der Menschen ganz staunenerregend. Aber da ich höre, daß noch vor kurzem in Italien Männer von solch bewunderungswürdiger Tugendkraft lebten, so möchte ich gerne wissen, ob sie keine Nachstellungen des Urfeindes zu ertragen hatten und ob sie aus diesen Nachstellungen Nutzen gezogen haben.
Gregorius. Ohne Kampfesmühe kein Siegespreis! Wie können sie Sieger sein, wenn nicht wegen ihres Streites gegen die Nachstellungen des alten Feindes? Denn der böse Feind lauert allezeit auf unser Denken, Reden und Tun, ob er nicht etwas finden könne, um gegen uns beim Verhör vor dem ewigen Richter als Ankläger aufzutreten. Willst du wissen, wie er immer da ist, um zu hintergehen?
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Diese Überschwemmung fand statt im Jahre 589 ↩