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Works Zeno of Verona (300-371) Sermones seu Tractatus Predigten und Ansprachen (BKV)
Buch 2

Traktat XIV. Von Juda.1

1. Judas hatte drei Söhne, Her, Aunan und Selon.2 Er nahm für seinen ältesten Sohn ein Weib mit Namen Thamar als Gattin. Doch da der Sohn böse vor dem Angesicht des Herrn wandelte, wurde er, wie die Heilige Schrift berichtet, von Gott getötet. Der Vater befiehlt dem zweiten, zum Weibe des Bruders zu gehen und dem Bruder Samen zu erwecken; und dieser ging zu ihr, goß S. 245 aber den Samen auf die Erde. Da auch das Gott als böse erschien, verurteilte er ihn zu gleichem Tode. Gegen eine Verbindung mit dem dritten Sohne machte Judas in der Furcht, er möchte auf ähnliche Weise sterben, bei der Schwiegertochter als Entschuldigung dessen jugendliches Alter geltend; und er befahl dem Weibe, im Hause ihres Vaters als Witwe zu verbleiben und bis zu dessen Heranwachsen auf die Heirat zu warten. Aber während das geschah, starb seine Gattin. Nachdem er sich getröstet hatte, 3 brach er zur Schur seiner Schafe auf. Als Thamar, die den Selon zum Mann herangereift sah und ihn nicht zum Manne bekommen hatte, das berichtet wurde, legte sie ihr Witwengewand ab, zog Sommerkleider an, schmückte sich und stellte sich an einem Orte auf, an dem Judas vorbeikommen sollte. Als er das Weib erblickte, hielt er sie für eine Hure, obwohl sie ihr Gesicht verhüllte und so die Unversehrtheit ihrer Keuschheit zum Ausdruck brachte. Er sprach sie an, verlangte, ihr beiwohnen zu dürfen, und versprach, ihr einen Ziegenbock zu senden. Sie aber erbat ein Pfand für die Einlösung des Versprechens, damit mehr zufrieden als mit dem Lohn. Sie empfing von ihm sein Halsband,4 seinen Ring und seinen Stab. Als dieser Handel abgeschlossen war, legte sie, die zur Besiegelung desselben empfangen hatte (was solche, die wirkliche Huren sind, hassen und immer vermeiden), ihr Witwengewand wieder an. Unterdessen wurde der Verabredung gemäß der Ziegenbock gesandt. Man fragte nach der Hure und empfing von den Leuten des Ortes die Mitteilung, daß dort niemals eine Hure gewesen sei. Aber bei unserer Thamaris nahm mit der Zunahme der Zeit auch der Leib zu. Und nun beachtet das wunderbare Geheimnis! Sie, die ihr Angesicht verhüllt hatte, verhüllt nicht ihren Leib. Ohne daß der Ankläger S. 246 Beweislast hat, wird (Judas) berichtet, daß sie als schwangere Witwe der Hurerei schuldig sei. Der Schwiegervater braust in Zorn auf, heißt sie hinausbringen und verbrennen. Aber sie findet sich unerschrocken ein, da sie den Handel nicht für sich aus Unkeuschheit, sondern sozusagen als eine Vorbedeutung für die Zukunft eingegangen hatte,5 und erklärt ihm, daß sie von dem empfangen habe, dessen Halsband, Ring und Stab sie besitze. Als Judas diese Sachlage erkannte, mäßigte er sich nicht nur in seinem Zorn gegen sie, sondern erklärte sie obendrein als gerechtfertigt.

2. Soweit man den Vorgang verstehen kann, war Judas das Bild teils der Propheten, teils der Patriarchen und Urväter, die um der Gerechtigkeit Gottes willen alle Menschen als ihre Kinder betrachteten. Daher stellt Her als der erste Sohn das Urvolk dar, nämlich die Halbgötter, alle mächtigste Leute und Könige, die in ihrer wilden Kraft und ihrer ungezügelten Sinnlichkeit stritten und den ganzen Erdkreis zugrunde richteten, die außerdem sich selbst statt der Häuser Tempel zusprachen, Altäre für ihren Namen errichteten, sie, die nicht S. 247 wußten, was für ein Grab sie dereinst fänden; sie versprachen sich den Himmel, sie, über deren Treiben die Erde schamrot geworden wäre, wenn es möglich gewesen wäre; sie erklärten sich schließlich Gott gegenüber selbst als Götter, sie, die von Menschen mit gesunden Sinnen nicht einmal des Namens eines Menschen für würdig erachtet worden wären. Um dieser Ursachen willen wurden sie von Gott nicht allein vernichtet, sondern auch zu ewigem Strafgericht verurteilt.6

3. Aunan aber, der zweite Bruder, ist das jüdische Volk, das den Auftrag erhält, des Bruders Samen zu erwecken; aber nicht einen Samen, der von Gott auch mit Recht als verurteilt erschien; sondern es sollte die übrigen Volker, die die ausgesäte Giftsaat der erwähnten Abgötterei verdorben hatte, durch das Beispiel eines guten Lebens und durch die religiösen Mahnungen des heiligen Gesetzes wieder zur Verehrung Gottes erwecken. Aber dieses Volk goß seinen Samen auf die Erde. Natürlich nicht den Samen des Fleisches, sondern den Samen des Herzens. Same des Herzens ist nämlich das Wort Gottes, wie der Herr nach Lukas spricht: „Das Gleichnis hat folgenden Sinn. Der Same ist das Wort Gottes. ... An den Weg wird gesät bei denen, welche das Wort hören; dann kommt der Teufel und er nimmt das Wort aus ihrem Herzen, damit sie nicht glauben und gerettet werden."7 Die Erde versinnbildet den Menschen und das Götzenbild, weil ja auch Gott den Menschen aus Erde gebildet hat und der Mensch sich das Götzenbild aus der Erde erstellt. Das Volk goß seinen Samen auf die Erde, das heißt, es vernachlässigte die Gebote Gottes und gab sie hin für die Götzenbilder. Deshalb empfing es ebenso in ähnlicher Weise von Gott das Verdammungsurteil in der Gegenwart; denn ist der S. 248 verwerflich, der, obgleich er Mensch ist, sich zum Gotte macht, so ist der noch verwerflicher, der einen Gott anbetet, den er sich selbst gemacht.

4. Selon aber, der dritte und jüngste Bruder der Genannten, stellte das Bild des neuen Volkes dar, das aus den Heiden hervorging; Thamar das Bild der Kirche; mit Recht wurde diese ihm nicht zur Gattin gegeben: denn das Volk, das nach der Ankunft Christi durch das geistige Wasser der Taufe im Schöße der Kirche wiedergeboren wird, sollte ja deren Sohn, nicht deren Gatte werden. Judas verliert seine Gattin, das heißt der Glaube der Synagoge erstirbt. Wenn es aber heißt: er habe sich getröstet, so ist dabei sicherlich die Hoffnung auf das Kommen Christi gemeint, der nicht nur den Propheten, die durch den Verfall der Synagoge untröstlich geworden waren, Trost spendete, sondern auch uns alle, wenn wir in irgendeiner Not uns befinden, zu erquicken pflegt. Er bricht auf, um die Schafe zu scheren, das heißt, er verlangt von den gerechten Menschen Früchte guter Werke. Als Thamar das hörte, die im Hause ihres Vaters weilte, das heißt in den Tempeln und den Schandstätten all der Schauspielvergnügungen (denn als der Vater aller, die solch verdorbenes Leben führen, ist deutlich der Teufel gekennzeichnet, wenn der Herr die Juden schilt: "Ihr habt den Teufel zum Vater und wollt nach den Gelüsten eures Vaters tun"), 8 legte sie das Witwengewand ab, das heißt sie tat die unreinen Gebräuche einer unreinen Religion ab. Sie zieht Sommerkleider an. Das Sommerkleid, Brüder, ist rein und bewegungsfrei: man kann in ihm leicht Arbeit verrichten und die Hitze des Sommers, das heißt der Versuchung, ertragen; darunter ist zweifellos die Glaubensbereitwilligkeit zu verstehen: wer sie besitzt, muß rein und unbehindert leben. Sie verhüllt ihr Angesicht, um nicht erkannt zu werden; das war eine Notwendigkeit, weil derjenige, der ihre Keuschheit erweisen sollte, Christus, S. 249 noch nicht gekommen war. Sie wird von ihrem Schwiegervater nicht erkannt: die Propheten waren nämlich zu den Juden, nicht zu den Heiden gesandt. Er hält sie für eine Hure: mit Recht: denn sie diente einem abgöttischen Volke. Er verlangte ihr beizuwohnen: denn es waren mehr die Heiden bereit, der Prophezeiung zu glauben als die Juden, wie der Herr sprach: „Wahrlich, ich sage euch, die Zöllner und die Dirnen werden vor euch in das Himmelreich eingehen."9 Er verspricht ihr einen Ziegenbock; das heißt, er läßt damit erkennen, welcher Lohn dem Sünder für seine Sünde werden wird. Sie lehnt dessen Annahme ab: denn derjenige, der das Sakrament der Dreifaltigkeit empfangen hat, wird in der Zukunft unter die Schafe, nicht unter die Böcke eingereiht.10 Schließlich wird erzählt, daß sie sich das Halsband, den Ring, den Stab erbeten und empfangen habe. Worauf geht diese Deutung? Das Halsband, geliebteste Brüder, ist das Gesetz, das durch seine heilsamen Ermahnungen zwar nicht den Hals, wohl aber das Herz aller Gläubigen mit verschiedenen Tugenden und mit verschiedenartiger Gnadengabe zu schmücken pflegt. Der Stab kündigte in seinem Holz das Geheimnis des Leidens des Herrn an, wie es ganz klar das Beispiel dartut, das im Buch der Psalmen sich findet und lautet: „Dein Stab und dein Stock trösteten mich. Du deckest vor meinem Angesicht einen Tisch gegen die, die mich bedrängen-, du salbest mein Haupt mit Öl; und dein überströmender Becher — wie herrlich ist er!“11 Sicher, Brüder, versinnbildet der Kelch das Blut, der Tisch den Leib, das Öl die Gnade des Heiligen Geistes, der Stab mit dem Stock das Kreuz, an dem der Herr zu hangen sich gewürdigt hat, um den Menschen, dessen Natur er angenommen, in Gott zu wandeln. Der Ring ist das Zeichen des Glaubens, nämlich Christus; durch die Erleuchtung seiner Majestät haben wir eine Prägung und Siegelung erhalten; leben wir rein durch sie, so tragen wir durch den Heiligen Geist sein Bild an uns, zum Schutze unseres Heiles: und das bewahren wir. Daß er mit ihr zusammenkam« war ein Hinweis auf das Geheimnis der heiligen Vereinigung der Gläubigen. Thamar empfängt im Mutterschoße, die Kirche im Herzen: Thamar vom fleischlichen Samen, die Kirche vom Wort. Es wird ihr ein Ziegenbock gesandt, als Zeichen der Versuchung: denn auch derjenige, der der Gerechtigkeit folgt, muß geprüft werden. Schließlich wird die gesuchte Hure nicht gefunden: denn derjenige, der wiedergeboren ist durch das Wasser und den Heiligen Geist, hört auf zu sein, was er war, und fängt an, etwas zu sein, was er nicht war. Es folgt dann, daß sie das Witwengewand von neuem anzog, sicher nicht deshalb, um zu tun, was sie getan hatte, sondern um darüber zu weinen, daß sie getan, was sie tat: denn niemand, und wenn er noch so gerecht ist, kann gerettet werden, wenn er nicht Buße tut, die vorhandenen Sünden tilgt und sich von weiteren fernhält. Thamar wird angeklagt, daß sie aus der Hurerei empfangen habe. Und die Kirche ward von den Ältesten der Juden des Ehebruches am Gesetz beschuldigt, weil sie den Sabbat gebrochen und ihre Traditionen verworfen habe. Thamar zeigt das Halsband, den Ring und den Stab vor und vermochte sich durch das Geheimnis der Dreizahl von der drohenden Strafe zu lösen. Die Kirche aber bringt in Wahrheit selbst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes nicht nur die gegenwärtigen Feuersgluten des Teufels zum Erlöschen, sondern sie überwindet damit auch den Brand des zukünftigen Gerichtstages. Thamar ging gerechtfertigt von dannen: die Kirche aber wird, verherrlicht durch das Wachstum eurer Zahl und eures Glaubens,12 mit Christus bleiben in alle Ewigkeit S. 251 durch unsern Herrn und Erlöser Jesus Christus, der gelobt ist mit dem Vater und dem Heiligen Geiste vor der Zeit, in der Zeit und in Ewigkeit. Amen.


  1. Gen. 38, 3—26 — Der Traktat wird unter dem Titel: De Juda et Thamar mehrfach von Ratherius von Verona zitiert. Vgl. die Einleitung S« 18 f« Der Traktat wurde nach der Handbemerkung in der Handschrift von Pistoja und einer aus Urbino stammenden vatikanischen Handschrift am dritten Sonntag der Fastenzeit zur liturgischen Lesung verwertet. ↩

  2. Die Namen Aunan und Selon fanden sich in dem aus der Septuaginta geflossenen Bibeltexte Zenos; hebräisch und Vulgata: Onan und Sela(ch). ↩

  3. Das heißt: die Zeit der Trauer vorüber war. ↩

  4. Zenos Text bietet monile, Halsband; dem entspricht es, daß es (in c. 4) gedeutet wird als lex, quae non colla, sed corda decorare consuevit. Die Vulgata bietet armilla. ↩

  5. Die handschriftliche Überlieferung ist außerordentlich unübersichtlich, und so auch der Text in den Ausgaben. Die älteste Rheimser Handschrift bietet: At illa constanter adest, sibi quae non impudicitiae, sed futuris licet initia negotium procuraret; ähnlich die Handschrift von Pistoja:... sibi quae non impudicitiae, sed futuri scilicet indicia negotium procuraret. Die Ballerini haben emendiert: At illa constanter adest, sibi quae non impudicitiae, sed futuris in se iam negotium procuraverat. Giuliari gibt die Stelle wieder: ... adest, sibi quae non impudicitiae, sed futuri scilicet iudicii negotium praecaverat. Aber es ist wohl in Berücksichtigung der ältesten Handschriften zu lesen: ... adest, sibi quae non impudicitiae, sed futuri scilicet indicia negotium procuraret. Darnach ist die obige Übersetzung gestaltet, Sie bringt zum Ausdruck, daß die Beiwohnung von Seite der Thamar und der damit in Zusammenhang stehende Handel nicht aus Unkeuschheit ihrerseits, sondern aus Rücksicht auf die Kinderzeugung hervorging, die eine Vorbedeutung für die Zukunft war, insofern sie Stammutter Jesu Christi wurde (Matth. 1,3). ↩

  6. Bei der Schilderung, in die auch antike Vorstellungen hineinklingen, schwebte Zeno wohl hauptsächlich Gen. 6, 4 vor. Vgl. Sir. 16, 8; Bar. 3, 26. ↩

  7. Luk. 8, 11. 12. ↩

  8. Joh. 8, 44. ↩

  9. Matth. 21, 31. ↩

  10. Ebd. 25, 32. 33. ↩

  11. Ps. 22, 4. 5. ↩

  12. Die Ausgabe der Ballerini und von Giuliari lesen: haec (ecclesia) glorificata veri numeri incrementis ac fidei cum Christo... permanebit. Es ist aber wohl mit mehreren Handschriften zu lesen: vestri numeri incrementis ac fidei. ↩

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