6. Ponticianus erzählt ihm das Leben des Antonius.
Wie du mich aus den Fesseln sinnlicher Liebe, die mich so fest umschlungen hielt, und aus der Knechtschaft weltlicher Geschäfte befreit hast, will ich jetzt bekennen und deinen Namen preisen, „Herr, mein Helfer und Erlöser“1. Ich lebte in meiner gewöhnlichen, stets wachsenden Angst dahin, und täglich seufzte ich nach dir; ich besuchte häufig deine Kirche, so oft es mir die Geschäfte, unter deren Last ich seufzte, verstatteten. Bei mir war Alypius; frei von juristischer Tätigkeit, nachdem er zum dritten Male Beisitzer gewesen war, wartete er auf Leute, denen er wiederum seinen Rat verkaufen könnte, wie ich die Redekunst verkaufte, wenn sie überhaupt durch unterrichtliche Tätigkeit vermittelt werden kann. Nebridius aber war aus Freundschaft für uns bei unserem gemeinschaftlichen lieben Freunde Verecundus, einem Bürger und Professor in Mailand, Hilfslehrer geworden; dieser wünschte treue Unterstützung, deren er gar dringend bedurfte, und forderte sie mit dem Rechte der Freundschaft aus unserer Mitte. Nebridius zog also nicht aus Hoffnung auf äußere Vorteile dahin - denn wenn er gewollt hätte, hätte er mit seiner Wissenschaft viel größeren Gewinn erzielen können -, sondern nur aus Gefälligkeit wollte der liebenswürdige und sanfte Freund uns unsere Bitte nicht abschlagen. Dabei ging er sehr klug zu Werke, indem S. 171 er sich hütete in allzu nahe Berührung mit den Großen dieser Welt zu kommen, und so mit ihnen jede Unruhe des Gemütes vermied; denn er wollte es sich frei erhalten und möglichst viel freie Zeit haben, um über die Weisheit forschen und lesen oder von ihr hören zu können.
Eines Tages nun, als Nebridius aus irgendeinem Grunde nicht zu Hause war, siehe da kam zu mir und Alypius ein gewisser Ponticianus, der als Afrikaner ein Landsmann von uns war und bei Hofe ein hervorragendes Amt bekleidete. Ich weiß nicht, was er von uns wollte. Wir setzten uns zur Unterhaltung nieder. Zufällig bemerkte er auf dem Spieltische vor uns ein Buch. Er nahm und öffnete es und fand, allerdings ganz wider sein Erwarten, den Apostel Paulus; denn er hatte gemeint, es sei eins der Bücher, deren Erklärung meine Kräfte verzehrte. Dann aber blickte er mich lächelnd an und wünschte mir Glück, daß er dieses Buch und nur dieses Buch so unerwartet vor meinen Augen gefunden habe. War er doch ein gläubiger Christ, der sich häufig in der Kirche vor dir, o Gott, in langem und wiederholtem Gebet niederwarf, Als ich ihm nun erzählte, daß ich diesen Schriften größte Aufmerksamkeit zuwendete, entspann sich ein Gespräch über den ägyptischen Mönch Antonius, dessen Namen bei deinen Dienern damals in hohen Ehren stand, uns aber bis zur Stunde unbekannt geblieben war. Sobald er dies merkte, verweilte er länger dabei und machte uns Unwissende mit jenem Manne bekannt, wobei er höchlichst über unsere Unwissenheit staunte. Wir aber staunten, als wir von deinen so sicher bezeugten Wundern vernahmen, die erst kürzlich, sozusagen noch zu unserer Zeit, im wahren Glauben und in deiner katholischen Kirche geschehen waren. Wir alle wunderten uns, wir, weil die Wunder so groß waren, er, weil wir noch nie davon gehört hatten.
Darauf wandte sich seine Rede zu den Scharen der Klöster, zu den Sitten der Mönche, die von deinem Wohlgeruche duften, und zu den fruchtbaren Einöden der Wüste, von denen wir noch nichts wußten. Auch in Mailand war ein Kloster außerhalb der Stadt; gute Brüder S. 172 bewohnten es unter des Ambrosius Obhut, wir aber wußten noch nichts davon. Jener fuhr in seiner Rede fort, während wir gespannt zuhörten. So kam es, daß er erzählte, er sei einst - ich weiß nicht wann - mit drei Freunden in Trier, als der Kaiser nachmittags den Zirkusspielen beiwohnte, in den an die Stadtmauern anstoßenden Gärten spazieren gegangen; und während sie so selbander, er mit einem anderen und ebenso die beiden anderen für sich, nach verschiedenen Richtungen sich getrennt hätten, seien jene beim Herumstreifen auf eine Hütte gestoßen, wo einige deiner Diener wohnten, „Arme im Geiste, derer das Himmelreich ist“2, und dort hätten sie ein Buch gefunden, darin das Leben des Antonius beschrieben war. Einer von ihnen begann es zu lesen; er ward von Bewunderung ergriffen, geriet in Glut und sann schon während des Lesens nach, wie er den Dienst dieser Welt verlassen, ein solches Leben einschlagen und dir dienen könne; sie gehörten aber zur Zahl der geheimen Kuriere. Von heiliger Liebe erfüllt und in keuscher Scham sich zürnend richtete der Jüngling plötzlich die Augen auf seinen Freund und sprach zu ihm: "Sage doch, ich bitte dich, was wollen wir mit all unseren Anstrengungen erlangen, was suchen wir? Weswegen stehen wir im kaiserlichen Dienste? Können wir am Hofe ein größeres Ziel erhoffen als die Freundschaft des Kaisers? Und ist nicht da alles hinfällig und gefahrdrohend? Folgt nicht jeder entschwundenen Gefahr ständig eine größere? Wie lange dauert es, bis wir unser Ziel erreichen? Ein Freund Gottes aber kann ich, wenn ich will, augenblicklich werden". So sprach er und heftete unruhig in den Geburtswehen seines neuen Lebens wiederum die Augen auf die Blätter und las. Sein Inneres wurde - du sahest es - umgewandelt, und sein Geist löste sich, wie es sich bald zeigte, von der Welt. Denn während er las und die Wogen seines Herzens hochgingen, seufzte er bisweilen, unterschied vom Guten das Bessere und entschied sich dafür. Schon dein Diener, sagte er zu seinem Freunde: "Ich habe mich bereits von unserer irdischen Hoffnung losgerissen, habe beschlossen, S. 173 Gott zu dienen, und damit fange ich in dieser Stunde und an diesem Orte an. Wenn du mir nicht folgen kannst, so hindere mich wenigstens nicht". Der andere erwiderte, er wolle sein Gefährte bei diesem Kampfe sein, um dann auch den großen Lohn mit ihm zu teilen. Und nun gehörten beide dir und erbauten einen Turm des Heiles mit den geeigneten Mitteln, d. h. sie verließen all das Ihrige und folgten dir nach. Da kamen Ponticianus und der vierte, die auf anderen Wegen im Garten gewandelt, auf der Suche nach ihnen an diesen Ort, und da sie sie fanden, baten sie sie, umzukehren, da sich der Tag schon geneigt habe. Aber jene erzählten ihren Entschluß und ihr Vorhaben und wie solcher Wille in ihnen entstanden und fest geworden sei, und baten sie, ihnen nicht hinderlich zu sein, wenn sie ihnen nicht folgen könnten. Die zwei aber blieben ganz und gar die gleichen, weinten zwar, wie Ponticianus erzählte, über sich und empfahlen sich unter innigen Glückwünschen ihren Gebeten, aber kehrten, ihr Herz auf der Erde schleppend, in den Palast zurück. Jene aber hefteten ihr Herz auf den Himmel und blieben in der Hütte. Diese beiden hatten Bräute, die auf die Kunde von dieser Sinnesänderung auch ihre Jungfraulichkeit dir weihten.