5. Autorität und Notwendigkeit der Heiligen Schrift.
Seitdem aber gab ich doch schon der katholischen Lehre den Vorzug und erkannte, daß sie bescheidener und ohne jedwede Täuschung Glauben an das verlangt, was nicht bewiesen wurde - mochte es nun beweisbar sein, nur nicht für jeden, oder unbeweisbar -, während auf der Gegenseite unter dreisten Verheißungen wissenschaftlicher Erkenntnis die Leichtgläubigkeit verhöhnt und dennoch fester Glaube an so vieles höchst Fabelhafte und Ungereimte, weil es nicht bewiesen werden S. 112 konnte, verlangt wurde. Dann aber nahmst du, o Herr, mein Herz ordnend und leitend in deine überaus milde und barmherzige Hand. Und indem ich erwog, wie ich ja Unzähliges glaubte, was ich nicht sah oder wobei ich, als es geschah, nicht anwesend war: so viele Ereignisse in der Weltgeschichte, so viele Tatsachen von Orten und Stätten, die ich noch nicht gesehen hatte, so vieles meinen Freunden, so vieles den Ärzten, so vieles diesen und jenen Menschen glaubte, weil ohne solchen Glauben jegliches Handeln in diesem Leben gelähmt würde, schließlich wie ich mit unerschütterlichem Glauben festhielt, von welchen Eltern ich geboren sei, was ich nicht wissen konnte, wenn ich es nicht von anderen gehört hätte -, da überzeugtest du mich, daß nicht diejenigen, welche deinen Büchern, deren so festes Ansehen du bei allen Völkern begründet hast, Glauben schenkten, sondern diejenigen, die nicht glaubten, angeklagt werden müßten und daß man ihnen nicht zuhören dürfe, wenn sie mir etwa sagten: ”Woher weißt du, daß jene Bücher durch den Geist des einen und wahrhaftigen Gottes dem Menschengeschlechte vermittelt worden sind? Denn gerade das mußte ich vor allem glauben, da ja keine Streitsucht, keine böswilligen Zweifel in den vielen Büchern, die ich von Philosophen, die sich untereinander bekämpften, gelesen hatte, mir das Geständnis abnötigen konnten, daß ich auch nur einen Augenblick geglaubt hätte, du seiest nicht, wenn ich auch nicht wußte, was du seiest, oder die Leitung menschlicher Angelegenheiten stehe nicht in deiner Hand.
War auch dieser Glaube bald stärker, bald schwächer in mir, immer jedoch habe ich geglaubt, daß du seiest und dich um uns bekümmertest, auch wenn ich nicht wußte, was von deinem Wesen zu halten sei oder welcher Weg zu dir hinführe oder zurückführe. Da wir also zu schwach waren, mit klarer Erkenntnis die Wahrheit zu finden, und deshalb der Autorität der Heiligen Schrift bedurften, so glaubte ich schon, du würdest auf keinen Fall jener Schrift ein so hervorragendes Aussehen verliehen haben, wenn du nicht gewollt hättest, daß man durch sie an dich glauben und durch sie dich suchen solle. Die Ungereimtheiten nämlich, welche mir S. 113 in jenen Büchern bis dahin Anstoß erregten, führte ich nunmehr, nachdem ich vielfach annehmbare Erklärungen gehört hatte, auf die Tiefe ihrer Geheimnisse zurück; und umso verehrungswürdiger und des heiligen Glaubens werter erschien mir ihre Autorität, als sie allen zum Lesen zugänglich waren und doch die Würde ihrer Geheimnisse unter tieferem Sinn bewahrten. Mit klaren Worten und in demütigster Redeweise boten sie sich allen dar und nahmen zugleich die Geisteskraft ernster Forscher in Anspruch, um alle in ihren leutseligen Schoß aufzunehmen, aber nur wenige durch enge Zugänge zu dir hinüberzuführen, und doch weit mehr, als wenn sie nicht mit solch erhabener Autorität hervorleuchteten oder die Scharen nicht in den Schoß heiliger Niedrigkeit an sich zögen. Dies bedachte ich, und du standest mir bei; ich seufzte, und du hörtest mich; ich schwankte, und du lenktest mich; ich wandelte den breiten Weg der Welt, aber du verließest mich nicht.