20.
Wie man sagt, verrichten die Brüder in Ägypten zwar häufig Gebete, aber sie sollen ganz kurz, gleichsam Pfeilgebete sein, damit nicht die sorgfältig erweckte Herzensandacht, die dem Beter vorzüglich notwendig ist, durch zu lange Dauer dahinschwinde und ihre Kraft verliere. Auch zeigen sie uns dadurch, daß man diese Herzensandacht ebensowenig abstumpfen lassen darf, wenn sie nicht auszudauern vermag, als man sie plötzlich abbrechen soll, wenn sie noch andauert. Ferne sei vom Gebete vieles Reden, aber es fehle nicht an vielen Bitten, wenn der Eifer der Andacht fortwirkt. Denn viel redet man, wenn man beim Gebet das, was uns notwendig ist, mit überflüssigen Worten erörtert. Man bittet aber viel, wenn man mit andauernder und frommer Herzensregung sich an jenen wendet, zu dem wir beten. Denn dieses Geschäft wird meistens besser mit Seufzern als mit Worten, besser mit Weinen als mit Reden betrieben. Der alles durch sein Wort erschaffen hat und kein Verlangen trägt nach Menschenworten, „er setzt unsere Tränen vor sein Angesicht“1, und unser Seufzen ist vor ihm nicht verborgen.
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Ps. 55, 9. ↩