22.
Oft freilich kommt es vor, daß sie uns täuschen, indem sie entweder den Diebstahl leugnen oder behaupten, Wiedererstattung nicht leisten zu können. Aber oft seid auch ihr im Irrtume, wenn ihr glaubt, daß wir nicht auf Wiedererstattung dringen oder daß die Leute sie zu leisten vermöchten. Wir Menschen alle oder fast alle lieben es, unsere Vermutungen Gewißheit zu nennen oder, wenn wir einige Wahrscheinlichkeitsgründe dafür haben, für sicher zu halten; und doch sind manche wahrscheinliche Dinge unwahr, wie manche unwahrscheinliche wahr. Da du deshalb von solchen sprichst, die zwar wünschen, daß ihnen die Strafe für ihr Verbrechen erlassen werde, aber auch behalten wollen, weshalb sie das Verbrechen begangen haben, fügst du die Worte bei: „Auch für diese glaubt eure priesterliche Würde Fürbitte einlegen zu müssen.“ Es ist freilich möglich, daß du weißt, was ich nicht weiß, und daß ich deshalb in S. 583 einer Sache Fürbitte einlegen zu müssen glaube, in der ich getäuscht werden konnte, während du nicht getäuscht werden konntest; leicht kann ich daher zu der Meinung kommen, es besitze einer etwas nicht, obwohl er es nach deiner Kenntnis besitzt. So kann es geschehen, daß zwar unsere Ansicht über einen Schuldigen nicht die gleiche ist, aber keiner von uns beiden daran Freude hat, wenn das fremde Gut nicht wiedererstattet wird. Als Menschen sind wir über einen Menschen verschiedener Ansicht, in bezug auf die Gerechtigkeit aber haben wir dieselbe Gesinnung. So kann es auch Vorkommen, daß ich weiß, es ist einer unvermögend; du aber hältst es zwar nicht für ganz gewiß, daß er vermögend ist, siehst es aber für wahrscheinlich an, und deshalb kommt es vor, daß ich für jemanden Fürbitte einlege, der zwar Strafnachlaß für sein Verbrechen wünscht, aber behalten will, weswegen er das Verbrechen begangen hat. Also mit kurzen Worten: Weder vor dir noch vor deinesgleichen — wenn es solche gibt, die so sind, wie du zu unserer Freude bist — noch vor denen, die mit großer Beflissenheit nach fremdem Gute streben, das ihnen nichts nützt, vielmehr sehr gefährlich und verderblich ist, aber auch nicht in meinem eigenen Herzen, wofür Gott Zeuge ist, möchte ich behaupten, denken oder entscheiden, man solle für jemanden Fürbitte einlegen, damit er ohne Bestrafung seines Verbrechens besitze, was er verbrecherisch entwendet hat; sondern es soll nur geschehen, damit nach Vergebung der Schuld zurückgegeben werde, was mit Unrecht entwendet worden ist, vorausgesetzt, daß die entwendete Sache oder ihr Wert noch in seinen Händen ist.