18.
Wie es sich indessen auch immer mit dieser Frage verhalten mag: wenn auch in diesem Leben kein Mensch ohne Sünde gefunden wird, so wird doch nur behauptet, es sei dies möglich durch die Hilfe der Gnade und des Geistes Gottes und man müsse sich bemühen und beten, daß es geschehe. Es ist also immerhin ein erträglicher Irrtum, nicht eine teuflische Ruchlosigkeit, sondern eine menschliche Täuschung, Erstrebenswertes und Wünschenswertes zu behaupten, wenn man auch nicht beweisen kann, was man behauptet. Man hält für möglich, was zu wollen ohne Frage löblich ist. Uns aber genügt es, daß in der Kirche Gottes kein Gläubiger auf irgendeiner Stufe der Gerechtigkeit, mag sie auch noch so hoch sein, gefunden wird, der die Behauptung wagen würde, für ihn sei die Bitte im Gebete des Herrn: „Vergib uns unsre Schulden“1 nicht nötig, oder der sagen möchte, er habe keine Sünde. Er würde sich ja sonst selbst täuschen, und die Wahrheit wäre nicht in ahm, wenn er sonst auch ohne Tadel lebte. Denn nicht alles, wozu ein Mensch versucht wird, sondern nur die schwere Sünde zieht den Tadel zu.
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Matth. 6, 12 und Luk. 11, 4. ↩