36. Kapitel: Der objektive und subjektive Wahrheitswert der Rhetorik
54. Es gibt auch noch Regeln einer wortreichen Dialektik, die man Beredsamkeit heißt. Diese Regeln selbst sind wahr, obgleich durch sie auch Falsches geraten werden kann. Weil aber das Angeratene auch wahr sein kann, so ist nicht die Gabe der Beredsamkeit an sich schuldbar, sondern der verkehrte Wille jener, die davon einen schlechten Gebrauch machen. Denn das ist keine menschliche Einrichtung, daß eine vom Geist der Liebe getragene Art der Rede den Zuhörer gewinnt oder daß eine knappe und klare Art der Darstellung geeignet ist, die Absicht (des Redenden) erreichen zu lassen, oder daß eine abwechslungsreiche Rede die Zuhörer vor Langweile bewahrt und ihre Aufmerksamkeit fesselt. Diese und ähnliche Beobachtungen, die bei wahren so gut wie bei falschen Gegenständen insofern wahr sind, als sie eben ein Wissen oder ein Glauben bewirken oder jemand dazu veranlassen, etwas anzustreben oder etwas zu fliehen, sind mehr in ihrer Zweckdienlichkeit erst aufgefunden, als eigens zu diesen Zwecken eingerichtet worden.