21.
Es ist zu untersuchen, ob jener Feigenbaum etwas bedeutet. Denn höret, meine Brüder. Wir finden, wie ein Feigenbaum verflucht wurde, weil er bloß Blätter und keine Frucht hatte1. Als beim Beginn des Menschengeschlechtes Adam und Eva gesündigt hatten, S. 131 machten sie sich aus Feigenblättern Schürzen2; unter den Feigenblättern sind also die Sünden zu verstehen. Es war aber Nathanael unter dem Feigenbaum, gleichsam im Schatten des Todes. Es sah ihn der Herr, von dem es heißt: „Denen, die im Schatten des Todes saßen, ist ein Licht aufgegangen“3. Was also wurde zu Nathanael gesagt? Du sprichst zu mir, o Nathanael: „Woher kennst du mich“? Nunmehr sprichst du bereits mit mir, weil dich Philippus rief. Schon vorher sah er, daß der, welchen er durch den Apostel berief, zu seiner Kirche gehöre. O du Kirche, o du Israel, in welchem kein Falsch ist, wenn du das Volk Israel bist, in welchem kein Falsch ist, so hast du jetzt schon Christus durch die Apostel erkannt, wie Nathanael Christus durch Philippus erkannte. Aber in seiner Barmherzigkeit hat er dich gesehen, bevor du ihn erkanntest, als du unter der Sünde lagest. Denn haben denn etwa wir zuerst Christus gesucht, und nicht vielmehr er uns? Sind etwa wir, die Kranken, zum Arzt gekommen, und nicht vielmehr der Arzt zu den Kranken? War nicht jenes Schaf verloren gegangen, und der Hirte suchte es unter Zurücklassung der neunundneunzig und fand es und trug es dann freudig auf seinen Schultern zurück? War nicht jene Drachme verloren gegangen, und das Weib zündete ein Licht an und suchte sie im ganzen Hause, bis sie dieselbe fand? Und als sie dieselbe gefunden hatte, sprach sie zu ihren Nachbarinnen: „Freuet euch mit mir, denn ich habe die Drachme gefunden, die ich verloren hatte“4. So waren auch wir verloren gegangen wie ein Schaf, wie eine Drachme, und unser Hirte fand das Schaf, aber er suchte das Schaf; das Weib fand die Drachme, aber es suchte die Drachme. Wer ist das Weib? Das Fleisch Christi5. Was ist das Licht? „Ich habe meinem Christus eine Leuchte bereitet“6. Also gesucht sind wir worden, damit wir gefunden würden; nachdem wir gefunden sind, reden wir. Laßt uns nicht S. 132 stolz sein, da wir, bevor wir gefunden wurden, verloren gewesen wären, wenn wir nicht gesucht worden wären. Es sollen also die, welche wir lieben und die wir dem Frieden der katholischen Kirche gewinnen wollen, zu uns sprechen: Was wollt ihr uns? Was sucht ihr uns, wenn wir Sünder sind? Deshalb suchen wir euch, damit ihr nicht verloren gehet; wir suchen, weil auch wir gesucht wurden; wir wollen euch finden, weil auch wir gefunden wurden.