7.
Wie nun, meine Lieben? Werden wir erklären, um was wir gefragt haben, wie das Wort sieht, wie der Vater vom Worte gesehen wird, was das Sehen des Wortes ist? Ich bin nicht so kühn, nicht so verwegen, daß ich eine Erklärung darüber in Aussicht stellen möchte, sei es von mir oder von euch; wie immer ich auch eure Fähigkeit einschätze, jedenfalls kenne ich die meinige. Wenn es also gefällig ist, so laßt uns nicht länger zögern, laßt uns das Lesestück durchgehen und sehen, daß durch die Worte des Herrn die fleischlichen Herzen beunruhigt werden, und zwar zu dem Zwecke beunruhigt werden, damit sie nicht bei dem, was sie festhalten, stehen bleiben. Wie den Knaben soll ihnen das kindische Spielzeug entwunden werden, wodurch sie in verkehrter Weise abgelenkt werden, damit ihnen, nachdem sie reifer geworden, Nützlicheres beigebracht werden kann, damit die voranschreiten können, die bisher auf der Erde krochen. Steh auf, suche, seufze, verlange sehnsüchtig und klopfe an dem, was verschlossen ist. Wenn wir aber noch nicht begehren, noch nicht verlangen, noch nicht seufzen, dann sind wir daran, die S. 308 Perlen dem nächsten Besten hinzuwerfen oder selbst wie immer beschaffene Perlen zu finden. Ich möchte also, meine Lieben, ein Verlangen in eurem Herzen erwecken. Die Sitten führen zur Erkenntnis, die eine Lebensart führt zur andern1. Ein anderes ist das irdische Leben, ein anderes das himmlische; ein anderes das Leben der Tiere, ein anderes das Leben der Menschen, ein anderes das Leben der Engel. Das Leben der Tiere brennt vor Gier nach irdischen Lüsten, es verlangt nur Irdisches, dazu ist es geneigt und veranlagt; das Leben der Engel ist nur himmlisch; das Leben der Menschen steht in der Mitte zwischen dem der Engel und der Tiere. Wenn der Mensch nach dem Fleische lebt, gleicht er den Tieren; wenn er nach dem Geiste lebt, wird er den Engeln beigesellt. Wenn du nach dem Geiste lebst, so frage auch bei diesem englischen Leben, ob du klein oder groß bist. Denn wenn du noch klein bist, sagen die Engel: Wachse; wir essen Brot, du nährst dich mit Milch, mit der Milch des Glaubens, damit du zur Speise der Anschauung gelangest. Wenn man aber noch nach gemeinen Lüsten Verlangen hat, wenn man noch auf Betrug sinnt, wenn man Lügen nicht meidet, wenn man zu den Lügen noch falsche Eide häuft; ein so unreiner Geist wagt zu sagen: Erkläre mir, wie das Wort sieht? Als ob ich es könnte, als ob ich es schon sähe. Sodann aber, wenn ich vielleicht diese Sitten nicht pflege und dennoch von dieser Anschauung weit weg bin, wie weit dann erst ein solcher, der noch nicht von diesem höheren Verlangen hingerissen wird, der noch mit irdischen Begierden beschwert ist? Es ist ein großer Unterschied zwischen dem, der Widerwillen und dem, der Verlangen hat, und wiederum ist ein großer Unterschied zwischen dem, der Verlangen hat, und dem, der schon genießt. Lebst du wie die Tiere, so hast du Widerwillen; die Engel genießen. Wenn du aber nicht lebst wie die Tiere, so hast du bereits keinen Widerwillen mehr, du verlangst nach S. 309 etwas und verstehst es noch nicht; du hast durch dieses Verlangen das Leben der Engel begonnen. Es möge wachsen in dir und vollendet werden in dir; und mögest du dies fassen nicht von mir, sondern von dem, der mich und dich erschaffen hat.
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Augustin weist damit auf den Zusammenhang zwischen dem praktischen Leben und der theoretischen (Glaubens-) Erkenntnis hin oder auf die Wahrheit, daß ein gutes Leben zur höheren Erkenntnis führt, ein böses Leben davon abhält. ↩