12.
„Denn, sagte er, der Vater richtet niemand, sondern hat alles Gericht dem Sohne übergeben.“ Kurz vorher konnten wir meinen, der Vater tue etwas, was der Sohn nicht tut, da er sagte: „Denn der Vater liebt den Sohn und zeigt ihm alles, was er selbst tut“, als ob der Vater es tun und der Sohn zusehen würde. So konnte sich in unserm Geiste ein fleischliches Verständnis einschleichen, als ob der Vater etwas tun würde, was der Sohn nicht tut, der Sohn aber dem Vater zuschauen würde, wie er zeigt, was vom Vater geschieht. Also wie S. 366 der Vater etwas tat, was der Sohn nicht tat, so sehen wir nun jetzt den Sohn etwas tun, was der Vater nicht tut. Wie er uns umwendet und unsern Geist in Anspruch nimmt, dahin und dorthin führt, an einem Ort des Fleisches nicht bleiben läßt, um uns durch Umwendung zu üben, durch Übung zu reinigen, durch Reinigung empfänglich zu machen, die empfänglich Gemachten zu erfüllen. Was machen diese Worte mit uns? Was redete er? Was redet er? Kurz vorher sagte er, daß der Vater dem Sohne alles zeigt, was er tut. Ich sah den Vater gleichsam handeln, den Sohn zuwarten; jetzt hinwieder sehe ich den Sohn handeln, den Vater untätig sein; „denn der Vater richtet niemand, sondern hat alles Gericht dem Sohne übergeben“. Wenn also der Sohn richten wird, wird da der Vater müßig sein und nicht richten? Was ist das? Was soll ich denken? Herr, was sagst Du? Du bist Gott das Wort, ich bin ein Mensch. Du sagst: „Der Vater richtet niemand, sondern hat alles Gericht dem Sohne übergeben“. Ich lese, wie Du an einer andern Stelle sagst: „Ich richte niemand, es ist einer, der sucht und richtet“1; von wem sagst Du: „Es ist einer, der sucht und richtet“, wenn nicht vom Vater? Der sucht deine Ungerechtigkeiten, der hält Gericht über deine Ungerechtigkeiten. Wie sagst Du hier: „Der Vater richtet niemand, sondern hat alles Gericht dem Sohne übergeben“? Fragen wir auch den Petrus, vernehmen wir, wie er in seinem Briefe sagt: „Christus hat für uns gelitten, sagt er, uns ein Beispiel hinterlassend, daß wir seinen Fußtapfen folgen; er hat keine Sünde getan, noch ward Trug gefunden in seinem Munde; als er geschmäht wurde, schmähte er nicht wieder; da ihm Unrecht widerfuhr, drohte er nicht, sondern empfahl es dem, der gerecht urteilt“2. Wie ist es also wahr: „Der Vater richtet niemand, sondern hat alles Gericht dem Sohne übergeben“? Wir kommen hier in Verwirrung; schwitzen wir in unserer Verwirrung, schwitzend mögen wir gereinigt werden. Suchen wir irgendwie mit seiner Gnade einzudringen in die hohen S. 367 Geheimnisse jener Worte. Verwegen handeln wir vielleicht, daß wir die Worte Gottes untersuchen und durchforschen wollen. Und warum sind sie gesagt, als um bekannt zu werden? Warum ertönten sie, als um gehört zu werden? Warum wurden sie gehört, als um verstanden zu werden? Er stärke uns also und gebe uns etwas, soviel er sich würdigt; und wenn wir noch nicht bis zur Quelle vordringen, so laßt uns vom Bächlein trinken. Siehe, Johannes selbst floß uns wie ein Bächlein daher, führte zu uns herab von der Höhe das Wort, erniedrigte und breitete es gewissermaßen aus, damit wir nicht erschrecken vor dem Hohen, sondern zu dem Niedrigen hinzutreten.