25. Kapitel
45. Alles, was wir als weit zurückliegende Prophezeiung lesen, sehen wir nun also genau so erfüllt. Und wie die ersten Christen durch Wundertaten zum Glauben bewegt wurden, weil sie ja noch nicht sahen, daß jene Prophezeiungen sich tatsächlich erfüllt hatten, so werden wir zum Glauben. S. 82 auferbaut,1 weil sie sich nun so erfüllt haben, wie wir sie in den Büchern lesen, die lange zuvor geschrieben wurden, wo all das, was wir jetzt bereits als gegenwärtig sehen, als zukünftig berichtet wird.
Demnach können wir ohne Bedenken, geduldig im Herrn wartend und verharrend, daran glauben, daß auch das übrige noch eintreten wird, etwa wenn wir in denselben Schriften noch von zukünftiger Drangsal lesen, im besonderen vom letzten Tag des Gerichts, an dem alle Bürger jener zwei Bürgerschaften ihre Körper wiedererlangen, auferstehen und vor dem Richterstuhl Christi, des Richters, Rechenschaft über ihr Leben ablegen werden.2 Erscheinen wird dann nämlich im Glanz seiner Macht, der zuvor sich herabgelassen hat, in der Niedrigkeit seiner Menschennatur zu uns zu kommen; und er wird alle Frommen von den Gottlosen trennen, nicht nur von denen, die überhaupt nicht an ihn glauben wollten, sondern auch von denen, die sich vergeblich und ohne daß es ihrem Heil förderlich war, um den Glauben mühten. Die Guten werden Anteil haben am ewigen Reich zusammen mit Christus, den Bösen aber wird die ewige Strafe zusammen mit dem Teufel zuteil werden. Wie man aber im Bereich der zeitlichen Dinge keine Freude finden kann, die auch nur entfernt jener Freude vergleichbar wäre, die die Heiligen im ewigen Leben empfangen, ebenso kann keine Qual im Bereich der zeitlichen Strafen mit den ewigen Qualen der Ungerechten verglichen werden.
46. Wappne dich also, mein Bruder, im Namen und mit der Hilfe dessen, an den du glaubst, gegen die Reden derer, die unseren Glauben lächerlich machen: Aus ihrem Munde spricht der Teufel verführerische Worte, dessen Hauptziel es ist, den Glauben an die Auferstehung lächerlich zu machen. Aus dir selber entnimm den Glauben an dein Weiterleben S. 83 nach diesem Leben: Du siehst nämlich, daß du heute lebst, obwohl du früher nicht lebtest. Wo war denn die Masse deines Körpers, wo deine Gestalt und der Organismus deiner Glieder vor wenigen Jahren, als du noch nicht geboren warst, als du noch nicht einmal im Mutterschoß empfangen warst? Wo war diese Masse, wo dein Körper in seiner ganzen Größe? Kam er nicht aus den verborgenen Tiefen dieser Schöpfung durch die unsichtbar formende Hand Gottes des Herrn ans Licht, entfaltete er sich nicht in vorbestimmtem, altersgemäßem Wachstum zur jetzigen Größe und Gestalt? Bildet es da für Gott, der in kürzester Zeit aus der Tiefe Wolkenberge zusammenziehen und in Blitzesschnelle den Himmel verhüllen kann, auch nur die geringste Schwierigkeit, den äußeren Zustand deines Körpers so wiederherzustellen, wie er einmal war, da er ihn doch so erschaffen konnte, als er noch nicht war? Glaube also fest und unerschütterlich, daß alles, was sich dem Auge des Menschen in scheinbarer Auflösung gleichsam entzieht, für die Allmacht Gottes wohlbehalten und unversehrt ist; daß er es, wenn er nur will, ohne Verzögerung und ohne Schwierigkeit wiederherstellen wird, wenigstens das, was seine Gerechtigkeit für würdig hält, wiederhergestellt zu werden. Also müssen die Menschen in denselben Körpern für ihre Taten Rechenschaft ablegen, in denen sie diese begangen haben. In diesen Körpern werden sie als verdienten Lohn für ihre Frömmigkeit die Umwandlung in die himmlische Unvergänglichkeit erfahren oder aber als verdiente Strafe für ihre Ungerechtigkeit den Zustand der Vergänglichkeit behalten, nicht damit dieser Zustand einmal durch den Tod zu Ende gehe, sondern damit er Anlaß zu ewigen Qualen gebe.
47. Fliehe also durch unerschütterlichen Glauben und guten Lebenswandel, fliehe, mein Bruder, vor jenen Foltern, bei denen die Folterknechte nie ermüden, die Gefolterten nie sterben! Es ist für sie ein Tod ohne Ende, in den Qualen nicht sterben zu können. Entbrenne in Liebe und Sehnsucht nach S. 84 dem ewigen Leben der Heiligen, deren Arbeit nicht Beschwernis, deren Ruhe nicht Müßiggang sein wird. Das Lob Gottes wird dort ertönen ohne Überdruß und ohne Ermüdung, die Seele wird keinen Widerwillen, der Körper keine Mühsal kennen, es wird keinen Mangel geben, weder bei dir, so daß du Hilfe ersehntest, noch bei deinem Nächsten, so daß du zu Hilfe eilen möchtest. Gott wird dort der Inbegriff der Wonne und der Fülle für die Gemeinschaft der Heiligen sein, die in ihm und aus ihm in Weisheit und Glück leben. Wir werden dort nämlich den Engeln Gottes gleich werden,3 so wie wir es von Gott nach seiner Verheißung erhoffen und erwarten. Und so wie wir bis jetzt im Glauben an die Dreifaltigkeit wandeln, werden wir dann mit den Engeln in gleicher Weise die dauernde Anschauung Gottes genießen.4 Wir glauben nämlich, was wir nicht sehen,5 um durch das Verdienst des Glaubens einmal würdig zu sein, das, woran wir jetzt glauben, zu schauen, und mit ihm untrennbar verbunden zu sein.
Von der Wesensgleichheit des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes und von der Einheit eben dieser Dreifaltigkeit – wie diese Drei Ein Gott sind – werden wir dann nicht mehr in Worten des Glaubens und in geräuschvoller Sprache laut künden, wir werden dies vielmehr an jenem Ort der Stille voller Ehrfurcht und Hingabe betrachten und in uns aufnehmen.
48. Das behalte fest in deinem Herzen und rufe zu Gott, an den du glaubst, daß er dich gegen die Versuchungen des Teufels schütze. Und sieh zu, daß sich jener Feind nicht auf anderem Weg bei dir einschleicht, denn in seiner Mißgunst sucht er als üblen Trost für seine Verdammung nach Leidensgenossen, die mit ihm verdammt werden; dabei untersteht er S. 85 sich, die Christen nicht nur durch jene Menschen zu versuchen, die den Christennamen hassen, die verärgert sind, daß dieser Name sich den ganzen Erdkreis erobert hat, die noch immer danach verlangen, Götzenbildern und teuflischem Blendwerk zu dienen. Er sucht dieses Ziel auch durch jene zu erreichen, die wir kurz vorher erwähnt haben,6 die von der Einheit der Kirche wie von einem Weinstock abgeschnitten wurden, durch die sogenannten Häretiker und Schismatiker. Ja bisweilen benutzt er gar die Juden als Mittel zu Verführung und Versuchung. Am meisten aber muß ein jeder sich in acht nehmen, daß er nicht durch Menschen versucht und irregeleitet wird, die sich innerhalb der katholischen Kirche befinden, durch Leute, welche die Kirche gleich der Spreu bei sich duldet bis zum Zeitpunkt des Worfelns, wo Spreu und Weizen getrennt werden. Ihnen gegenüber zeigt Gott Geduld,7 um einerseits den Glauben und die Klugheit seiner Erwählten durch deren Verkehrtheit zu üben und zu stärken, anderseits weil aus der Zahl dieser Leute viele voranschreiten und aus Erbarmen mit ihrer Seele8 in einem plötzlichen Entschluß sich bekehren, um Gott wohlgefällig zu werden. Denn nicht alle lassen den Zorn Gottes dank seiner Geduld sich anhäufen für den Tag des Zornes, den Tag seines gerechten Gerichtes: Viele führt im Gegenteil diese Geduld des Allmächtigen zum höchst heilsamen Schmerz der Buße.9 Bis sie dahin kommen, bilden sie für jene, die den rechten Weg bereits eingeschlagen haben, einen Prüfstein nicht nur für ihre Duldsamkeit, sondern auch für ihre Barmherzigkeit. Du wirst also Trinkern in großer Zahl begegnen, Habgierigen, Betrügern, Glücksspielern, Ehebrechern, Unzüchtigen, Trägern von gottlosen Amuletten, Menschen, die sich Zauberern, Sterndeutern und sonstigen Vertretern ruchloser Wahrsagekünste S. 86 ausgeliefert haben. Du wirst auch feststellen, daß dieselben Massen an den Feiertagen der Christen die Kirchen füllen, die an den Festtagen der Heiden die Theater füllen. Und wenn du dies sehen wirst, wirst du versucht sein, sie nachzuahmen. Doch was sage ich »wenn du dies sehen wirst«, denn dies alles ist dir natürlich schon jetzt bekannt. Du weißt ja ganz genau, daß viele, die man Christen nennt, all diese Übeltaten, die ich kurz erwähnt habe, wirklich begehen. Und es ist dir ebenso bekannt, daß Menschen, von denen du weißt, daß sie Christen genannt werden, vielleicht noch um einiges schlimmere Taten begehen. Wenn du aber in der Absicht gekommen bist, derartiges in der Kirche gleichsam unbesorgt begehen zu können, dann irrst du dich gewaltig; der Name Christi wird dir nichts nützen, wenn jener dann einmal beginnen wird, mit äußerster Strenge zu richten, der sich zuvor herabgelassen hat, mit größter Barmherzigkeit uns zu Hilfe zu kommen. Er kündigte dies nämlich an und sagte im Evangelium: »Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr, Herr! wird in das Himmelreich eingehen, sondern der, welcher den Willen meines Vaters tut. Viele werden an jenem Tag sagen: Herr, Herr, in deinem Namen haben wir gegessen und getrunken.«10 Für alle, die in solchen Werken verharren, bedeutet also das Ende Verdammnis. Auch wenn du siehst, daß viele Menschen derartige Taten nicht nur begehen, sondern sie auch noch verteidigen und dazu raten, so halte dich also an das Gesetz Gottes und folge nicht denen, die es übertreten!
Denn du wirst nicht nach der Meinung jener Leute gerichtet werden, sondern nach seiner Wahrheit.
49. Schließe dich den Guten an, bei denen du siehst, daß sie gleich dir deinen König lieben. Menschen dieser Art wirst du in großer Zahl antreffen, wenn du erst einmal selber beginnst, ein echter Christ zu sein. Schon bei den Schauspielen drängte es dich ja, mit Menschen zusammen zu sein und dich fest an S. 87 sie zu binden, die gleichzeitig mit dir einen bestimmten Wagenlenker, Tierkämpfer oder sonstigen Bühnendarsteller verehrten. Um wieviel mehr muß dich die Verbindung mit Menschen beglücken, die gleich dir Gott lieben, für den sich keiner, der ihn liebt, je zu schämen braucht, da er selber nicht besiegt werden kann und auch jene, die ihn lieben, unbesiegbar macht! Deine Hoffnung freilich darfst du auch auf diese Guten nicht setzen,11 die dir auf dem Weg zu Gott vorangehen oder dich dabei begleiten; denn nicht einmal auf dich selber darfst du sie setzen, magst du noch so sehr im Glauben vorangekommen sein. Auf Gott setze deine Hoffnung,12 der dich und jene rechtfertigt und dadurch zu dem macht, was ihr seid! Sicherheit gewinnst du nämlich aus Gott, da er sich nicht ändert, vom Menschen aber wird vernünftigerweise niemand Sicherheit erwarten. Wenn wir aber schon jene lieben müssen, die noch nicht gerecht sind, damit sie gerecht werden, mit welcher Hingabe müssen wir dann erst jene lieben, die es bereits sind! Doch es ist eine Sache, den Menschen zu lieben, eine andere, seine Hoffnung auf ihn zu setzen. So groß ist der Unterschied, daß Gott das erste befiehlt,13 das zweite aber verbietet.14 Erleidest du aber für den Namen Christi Verspottung und Drangsal, ohne dadurch vom Glauben abzufallen und vom rechten Weg abzuweichen, dann wirst du noch größeren Lohn empfangen. Wer aber dabei dem Teufel nachgibt, wird auch den geringeren Lohn noch verlieren. Beuge dich demütig vor Gott, damit er nicht zuläßt, daß du über deine Kräfte hinaus versucht wirst.15
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Vgl. Jud 17–20. ↩
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Vgl. Mt 25,31–46; 16,27. ↩
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Vgl. Mt 22,30; Mk 12,25; Lk 20,36. ↩
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Vgl. 2 Kor 5,7. ↩
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Vgl. Joh 20,29. ↩
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In 44. ↩
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Vgl. Sir 18,9. ↩
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Es ist die Lesart miserati übernommen. ↩
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Vgl. Röm 2,4—5; 2 Kor 7,10 ↩
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Mt 7,21; vgl. Lk 13,26. ↩
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Vgl Jer 17 5a ↩
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Vgl. Ps 77,7. ↩
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Vgl. Mt 22,39. ↩
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Vgl. Jer 17,5a. ↩
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Vgl. 1 Kor 10,13. ↩