8.
Freilich über die Zweiheit war mit der Liebe nicht hinauszukommen. Doch stellt sich sogleich die dem menschlichen Geiste wesensgemäße Dreiheit ein, wenn man erwägt, daß es keine Liebe ohne vorausgehende Erkenntnis geben kann. Mit dieser Feststellung ist jene Dreiheit im Menschen aufgefunden, die Augustinus in verschiedenen Weisen benennt und ausführt, deren Grundgedanke jedoch sein Trinitätswerk beherrscht und seine eigene schöpferische Leistung ist.1 Die Dreiheit heißt im allgemeinen: Das geistige Sein des Menschen, seine Erkenntnis und seine Liebe. In dieser allgemeinsten Form erscheint die genannte Dreiheit im Gottesstaat und in den Konfessionen.2 Wir sind, wir wissen, daß wir sind, und wir lieben unser Sein und Wissen. In den S. 47 Konfessionen nennt Augustinus als drittes Glied statt der Liebe den Willen. Da die Liebe die Grundbetätigung des Willens ist, besteht zwischen diesen beiden Formeln kein sachlicher Unterschied. Die drei Glieder bedingen sich gegenseitig und schließen sich gegenseitig ein. „Ich habe Sein als Wissender und Wollender, ich weiß um mein Sein und Wollen, ich will mein Sein und Wissen.“3 Diese drei sind ein Wesen, ein Leben, ein Geist. Wenn man von dieser Dreiheit aus freilich den Blick auf Gott richtet, dann enthüllt sich uns zwar die göttliche Wirklichkeit als Sein, Wissen und Wollen in untrennbarer Einheit, aber nicht als Dreieinigkeit göttlicher Personen. Anregung zu dieser Dreiheit empfing Augustinus von Marius Viktorinus.4 Bei ihm fand er das Schema: Sein — leben — erkennen. Das göttliche Sein ist eine Dreieinigkeit von esse — vivere — intelligere. Indem Marius Viktorinus diese Dreiheit zunächst als eine innerseelische erweist und auf Grund der Analogie zwischen Gott und Mensch auf Gott rückschließt, kommt er zu dieser trinitarischen Bestimmung des göttlichen Seins. Der große Unterschied zwischen der viktorinischen und der augustinischen Dreiheit springt sofort in die Augen. Augustinus hat den Willen als drittes Glied eingeführt. Noch wesentlicher ist freilich ein anderer Unterschied. Wie sich noch zeigen wird, versteht Augustinus Sein, Erkennen und Wollen durchaus nicht als die Entfaltungsweisen des göttlichen Wesens. Bei seiner Grundauffassung der göttlichen Dreieinigkeit muß er jeder einzelnen Person wieder Sein, Erkennen und Wollen zuschreiben. Seine vorbehaltlose und entschiedene Behauptung der völligen Gleichheit der Personen und ihrer absoluten Wesenseinheit verurteilt jeden Versuch, ihn zu einem wenn auch schöpferischen Schüler des Neuplatonismus zu machen, zum Tode. So zahlreich und tiefgreifend die Anregungen von seiten des Neuplatonismus sein mochten, sein schöpferischer Geist drückte jeder Idee, die ihm von irgendwoher zufloß, das Gepräge seines eigenen Denkens auf. Er behaute alle Bausteine, woher immer er sie nahm, bis sie sich einfügten in sein christliches Gedankengebäude. So mag ihre Herkunft S. 48 neuplatonisch sein. Ihr Charakter in Augustins Gedankenbau ist es nicht mehr.
Genauer faßt Augustinus das erste Glied, wenn er nicht vom Sein im allgemeinen redet, sondern das erste Glied Geist (mens) nennt. Da ergibt sich die Dreiheit Geist, Selbsterkenntnis und Selbstliebe (mens, notitia, amor). Diese Dreiheit behandelt der Kirchenvater vor allem im neunten Buche des Trinitätswerkes. Der Geist weiß um sich, ist sich seiner gewiß in unmittelbarem Erfassen seines Selbst. Wie sollte er sich nicht kennen oder erst von sich durch Vermittlung anderer Dinge erfahren, wo nichts ihm gegenwärtiger ist als er sich selbst? Von der aristotelischen Lehre der Selbsterkenntnis ist diese augustinische grundverschieden. Über sein Wesen kann sich der Geist irren, nicht aber über sein Ich. Das Bewußtsein um sein Ich ist von ihm unablösbar, mögen die Anschauungen über das Wesen des Ich noch so sehr sich wandeln. Augustinus ist freilich überzeugt und zeigt in überzeugender Weise, daß das Wesen des Geistes substanziell, unstofflich und unsterblich ist.5 Mit seiner Lehre von der untrüglichen Sicherheit des Bewußtseins um das eigene Ich hat er für alle Zeiten den absoluten Skeptizismus überwunden und lange vor Descartes die Gewißheitserkenntnis in festestem Grund verankert.6 Der Geist hat indes von seinem eigenen Selbst nicht immer ein bewußtes Wissen. Er besitzt sich dann so, wie wir die Inhalte des Gedächtnisses besitzen. Dem Geiste ist seine Selbsterkenntnis und seine Selbstliebe gleich. Denn bei der Selbsterkenntnis und Selbstliebe gehören Erkenntnis und Liebe der gleichen Seinsordnung an wie das Erkannte und Geliebte. Wenn der Geist etwas über ihm Stehendes erkennt und liebt, dann ist seine Erkenntnis und Liebe geringer als das Erkannte und Geliebte. Wenn er etwas unter ihm Stehendes erkennt und liebt, dann ist seine Liebe und Erkenntnis dem erkannten und geliebten Gegenstand S. 49 überlegen. Wenn der Geist hingegen sich selbst erkennt und liebt, dann gehört der Begriff von sich und die Liebe zu sich derselben Seinsstufe an wie der Geist. Also ist die Selbsterkenntnis und Selbstliebe dem Geiste gleich. Augustinus macht indes die zugleich erklärende und einschränkende Bemerkung, daß diese Gleichheit nur stattfindet, wenn Liebe und Erkenntnis vollkommen sind, das heißt wenn der Geist sich in seiner Ganzheit erkennt und liebt und nichts außer sich. Selbsterkenntnis und Selbstliebe sind keine Akzidenzien, sondern Substanzen. Würden nämlich Selbsterkenntnis und Selbstliebe dem Geiste als Akzidenzien zukommen, dann könnten Erkenntnis und Liebe nicht über den Geist hinauslangen, da ja Akzidenzien nicht über ihren Träger hinausreichen können. Tatsächlich kann sich aber die Erkenntnis und Liebe auch auf andere Gegenstände richten. Die Selbsterkenntnis und Selbstliebe sind also Substanzen. Sie sind von einem und demselben Wesen wie der Geist. Sie sind der Geist selbst, sofern er erkennt und liebt. Darum bilden Geist, Selbsterkenntnis und Selbstliebe eine reale Einheit. Sie sind trotzdem voneinander verschieden, und zwar ist die Verschiedenheit eine beziehentliche. Der liebende Geist steht in unaufhebbarer Beziehung zu Selbsterkenntnis und Selbstliebe und diese zum erkennenden und liebenden Geist.
Eine schwer zu lösende Frage ist es, ob Augustinus bei der Selbsterkenntnis und Selbstliebe an die unbewußte, zuständliche oder an die bewußte, tatwirkliche7 Selbsterkenntnis und Selbstliebe denkt. Die Selbsterkenntnis, die er notitia heißt, läßt er im neunten Buche entstehen durch das Sicherkennen, das er se cognoscere nennt. Er verwendet demgemäß statt des Ausdrucks notitia auch den Ausdruck cognitio. Das sind Bezeichnungen für das bewußte Sichwissen. Ferner ist Augustinus der Meinung, daß Selbsterkenntnis und Selbstliebe aufhören können. Endlich setzt er die Selbsterkenntnis mit dem Verbum, dem geistigen Worte, gleich, das wir gleich noch besprechen müssen. Das S. 50 geistige Wort kommt indes nur zustande durch das Sichdenken (se cogitare). Der Geist sucht sich, um sich zu erkennen (nosse) und so ein Wort von sich zu bilden. So scheint Augustinus das bewußte, tatwirkliche Selbstbewußtsein und die bewußte, tatwirkliche Selbstliebe im Auge zu haben. Im zehnten Buche freilich sagt er von der Selbsterkenntnis und Selbstliebe, daß sie der Geist immer besitzt; hier stellt er das nosse dem cogitare gegenüber. Im vierzehnten Buche weist er die notitia, die dem Geiste innewohnt, auch wenn sein Gegenstand nicht gedacht wird, dem Gedächtnis zu. Man könnte annehmen, daß Augustins Anschauung eine Entwicklung vom neunten bis zum vierzehnten Buche durchmachte. Man könnte auch sagen, daß für Augustinus die aufgeworfene Frage gar nicht bestand, da er den Geist als lebendige Wirklichkeit sieht, und daß er bald mit Vorzug an die tatwirkliche Selbsterkenntnis und Selbstliebe denkt, ohne die unbewußte, zuständliche zu vergessen, bald an die letztere, ohne die erstere zu vergessen.8 Jedenfalls hat er im vierzehnten Buche nur noch den unbewußten Charakter der Dreiheit im Auge. Aber auch schon im neunten Buche sagt er, daß sie gleichsam eingehüllt sei in die Substanz der Seele und daß sie erst entwickelt, herausgewickelt werden müsse.9 Deshalb hält er eine andere Dreiheit für ein deutlicheres Bild der stets verwirklichten und sich verwirklichenden göttlichen Dreieinigkeit.10
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Man glaubte, in Ambrosius einen Vorläufer der augustinischen Grundkonzeption sehen zu dürfen. Doch sind die angeblichen ambrosianischen Schriften, auf die man sich hierfür berief, unecht und nachaugustinisch. Vgl. Schmaus a. a. O. 30 f. ↩
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De civ. Dei, l. XI c. 26; c. 28. Confess. l. XIII c. 11. ↩
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Confess. l. XIII c. 11. ↩
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Benz a. a. O. 139―142. ↩
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M. Grabmann, Die Grundgedanken des hl. Augustinus über Seele und Gott. Köln 1929, 25―66. ↩
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Vgl. für die Gewißheitserkenntnis neuestens: Ernst Haenchen, Die Frage nach der Gewißheit beim jungen Augustin. Stuttgart 1932. ↩
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Diesen Ausdruck entnehme ich der eben bei Hegner, Leipzig, erscheinenden Übersetzung der „Summe wider die Heiden“. ↩
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Gilson a. a. O. 378, 559 f. Schmaus a. a. O. 250―253. ↩
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De trin. l. IX c. 4 n. 5. ↩
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De trin. l. XV c. 3 n. 5. ↩