9. Kapitel. Nicht aus menschlichen Beweisen, sondern aus dem Glauben erfahren wir, daß die Glückseligkeit ewig ist.
S. 179 12. Ob die menschliche Natur die Unsterblichkeit, die sie als ein so erstrebenswertes Gut bekennt, ergreifen kann, ist keine kleine Frage. Wenn aber der Glaube da ist, der denen innewohnt, denen Gott die Macht gab, Kinder Gottes zu werden,1 dann ist es keine Frage. Was die Versuche betrifft, mit rein menschlichen Überlegungen diese Dinge ausfindig zu machen, so haben ganz wenige, sehr begabte Menschen, die viel Muße hatten und eine sehr gründliche Ausbildung genossen hatten, zu der Entdeckung der Unsterblichkeit allein nur der Seele gelangen können. Sie fanden jedoch für die Seele das glückliche Leben nicht als ein für die Dauer bestehendes, das heißt als ein wahres. Sie sagten ja, daß die Seele auch nach der Glückseligkeit wieder zu den Mühsalen dieses Lebens zurückkehre. Diejenigen von ihnen, die sich solcher Anschauungen schämten und glaubten, daß die gereinigte Seele ohne den Leib in ein immerwährendes Glück versetzt werde, haben doch wieder derartige Anschauungen von der Ewigkeit der Welt, daß sie diese ihre Anschauungen über die Seele selbst wieder zurücknehmen. Dies hier zu erläutern, würde zu weit führen; es wurde aber von uns im zwölften Buch über den Gottesstaat,2 wie ich glaube, hinlänglich erklärt. Der Glaube aber verheißt, daß der ganze Mensch, der doch aus Leib und Seele besteht, unsterblich sein wird, und daß er daher wahrhaft glücklich sein wird; er verheißt es nicht in menschlicher Beweisführung, sondern mit göttlicher Autorität. Nachdem also im Evangelium gesagt worden war, daß Jesus „denen, die ihn aufnahmen, Macht gab, Kinder Gottes S. 180 zu werden“, und nachdem kurz dargelegt worden war, was es heißt, ihn aufzunehmen, und zwar mit den Worten: „denen, die an seinen Namen glauben“, und auch noch beigefügt worden war, wie sie Kinder Gottes werden: „die nicht aus dem Blute, nicht aus Fleischeswollen, nicht aus Manneswollen, sondern aus Gott geboren sind“,3 wurde, damit auch die menschliche Ohnmacht, die wir sehen und mit uns schleppen, an einer solchen Erhabenheit nicht verzweifeln muß, daran das Wort gefügt: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt“,4 auf daß von der anderen Seite des Seins her verständlich werde, was unglaublich schien. Wenn nämlich jener, der von Natur Gottes Sohn ist, um der Menschensöhne willen aus Erbarmen Menschensohn wurde — das heißt ja: „Das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns“ Menschen „gewohnt“ —, um wieviel glaublicher ist es da, daß jene, die von Natur aus Menschensöhne sind, durch die Gnade Gottes Gottessöhne werden und in Gott wohnen, in dem allein und aus dem allein glücklich sein können diejenigen, welche seiner Unsterblichkeit teilhaftig wurden! Um diese Überzeugung zu schaffen, wurde der Sohn Gottes unserer Sterblichkeit teilhaftig.
