13. Kapitel. Nicht durch Gewalt, sondern mit Gerechtigkeit mußte der Mensch dem Teufel entrissen werden.
17. Nicht aber sollte der Teufel durch die Gewalt Gottes überwunden werden, sondern durch seine Gerechtigkeit. Was gibt es an sich Mächtigeres als den Allmächtigen? Oder welches Geschöpf kann an Gewalt mit der Gewalt des Schöpfers verglichen werden? Da aber der Teufel durch das Laster seiner Verderbtheit Liebhaber der Macht und Verräter und Angreifer der Gerechtigkeit wurde — so ahmen ihn nämlich auch die Menschen um so mehr nach, je mehr sie unter Hintansetzung der Gerechtigkeit oder auch in Haß gegen sie nach Macht trachten und sich an ihrer Erlangung freuen oder auch in Gier nach ihr entbrennen —, gefiel es Gott, den Teufel, damit der Mensch der Herrschaft des Teufels entrissen werde, nicht durch Macht, sondern durch Gerechtigkeit zu besiegen; und so sollten auch die Menschen, Christus nachahmend, den Teufel durch Gerechtigkeit zu besiegen suchen, nicht durch Macht. Nicht als ob die Macht gleichsam als etwas Schlechtes zu fliehen wäre, sondern weil die Ordnung einzuhalten ist, nach der die Gerechtigkeit voran steht. Denn wie groß kann die Macht der Sterblichen sein? Es sollen also die Sterblichen Gerechtigkeit wahren, die Macht wird den Unsterblichen gegeben werden. Im Vergleich mit ihr erweist sich auch die größte Macht der S. 187 Menschen, die in dieser Welt die Mächtigen heißen, als lächerliche Ohnmacht, und dort wird dem Sünder eine Grube gegraben, wo die Bösen am mächtigsten zu sein scheinen. Der Gerechte aber singt und sagt: „Glücklich der Mensch, den du unterweisest, o Herr, und in deinem Gesetze unterrichtest, auf daß du ihn verschonst mit bösen Tagen, während dem Sünder eine Grube gegraben wird. Denn nicht verstößt der Herr sein Volk, und sein Erbe verläßt er nicht, bis wieder Gerechtigkeit zurückkehrt zum Gerichte, und die sie haben, sind alle rechten Herzens.“1 In der Zeit also, in welcher die Macht des Volkes Gottes aufgeschoben wird, „verstößt der Herr sein Volk nicht, und sein Erbe verläßt er nicht“, wie Bitteres und Unwürdiges es auch in seiner Erniedrigung und Ohnmacht ertragen muß, „bis die Gerechtigkeit“, welche jetzt der Ohnmacht der Frommen eigen ist, „wieder zurückkehrt zum Gerichte“, das heißt wieder die Gewalt erhält, zu richten. Den Gerechten ist das am Ende vorbehalten, wenn der in ihrer Ordnung vorausgehenden Gerechtigkeit die Macht folgt. Wenn nämlich die Macht sich mit der Gerechtigkeit verbindet oder die Gerechtigkeit zur Macht hinzukommt, dann entsteht richterliche Gewalt. Die Gerechtigkeit aber gehört zum guten Willen, deshalb wird von den Engeln nach der Geburt Christi gesagt: „Ehre ist Gott in der Höhe, und auf Erden Friede den Menschen des guten Willens.“2 Die Macht muß also der Gerechtigkeit folgen, nicht vorangehen. Deshalb nimmt man sie auch an bei willig folgenden, das heißt bei günstigen Geschehnissen; willig folgend kommt aber von folgen. Da nämlich, wie wir oben darlegten, zwei Dinge glücklich machen: Gutes wollen und können, was man will, so darf nicht jene Verkehrtheit entstehen, die in eben diesen Darlegungen vermerkt wurde, daß nämlich der Mensch aus jenen zwei Dingen, die glücklich machen, das „Können, was man will“, herausnimmt und das S. 188 “Wollen, wie es sich gehört“, vernachlässigt, während er zuerst einen guten Willen haben muß, nachher erst große Gewalt. Der gute Wille ist sonach zu reinigen von den Fehlern, von denen der Mensch nicht besiegt werden darf, wenn er nicht einen bösen Willen haben will. Wie sollte da sein Wille noch gut sein? Es ist also zu wünschen, daß jetzt Gewalt verliehen wird, aber gegen die Laster, für deren Besiegung die Menschen nicht mächtig sein wollen — sie wollen es sein für die Besiegung der Menschen. Wozu anders führt das, als daß sie, in Wahrheit besiegt, scheinbar siegen und nicht in Wahrheit, sondern in Vorurteilen Sieger sind. Der Mensch mag klug sein wollen, mag tapfer sein wollen, mag maßvoll sein wollen, mag gerecht sein wollen, und damit er dies alles wahrhaft könne, wünsche er sich durchaus Macht und strebe darnach, daß er in sich selbst und, so seltsam dies klingt, gegen sich für sich mächtig sei. Das Übrige aber, das er guten Sinnes will und doch nicht verwirklichen kann, wie die Unsterblichkeit und die wahre und volle Glückseligkeit, höre er nicht auf zu ersehnen und erwarte er in Geduld.
