1. Kap. Die gelehrten Verteidigungen des Christentums werden wenig beachtet. Darum soll jetzt die schlichte Menschenseele, wie sie an sich ist, Zeugnis ablegen.
Starker Wißbegierde und eines noch weit stärkern Gedächtnisses bedarf es zum Studium, wenn man aus den am meisten verbreiteten Schriften der Philosophen, Dichter und sonstigen Lehrmeister in weltlicher Gelehrsamkeit und Weisheit die Zeugnisse für die christliche Wahrheit ausheben wollte, um deren Feinde und Verfolger aus ihrem eigenen gelehrten Apparat sowohl des Irrtums als auch der Ungerechtigkeit gegen uns zu überführen. Zwar haben einige der Unsrigen, denen von ihrer ehemaligen literarischen Beschäftigung her noch die Arbeitslust der Wißbegierde und Treue des Gedächtnisses geblieben ist, kleine Werke von dieser Richtung abgefaßt und im einzelnen den Grund und den Ursprung der Traditionen, sowie auch die Beweise für die Meinungen beigebracht und mit Zeugnissen belegt, S. 204woraus man genau zu ersehen imstande ist, daß wir nichts Unerhörtes und Auffallendes unternommen haben, nichts, worin uns nicht sogar allgemein verbreitete und öffentlich bekannte Schriften durch ihre Zustimmung zu Hilfe kämen, mag es nun sein, daß wir etwas als Irrtum verwerfen oder etwas als berechtigt zulassen. Leider aber hat die Hartnäckigkeit der Menschen im Unglauben sogar bei den eigenen Lehrern, die sonst die bewährtesten und gelesensten sind, deren Zuverlässigkeit beanstandet, wenn sie irgendwo den Beweismitteln der christlichen Apologetik nahekommen. Die Poeten sind dann Toren, wenn sie die Götter mit menschlichen Leidenschaften und nach Fabeln schildern, die Philosophen sind dann unverdaulich, wenn sie an der Pforte der Wahrheit anpochen. Wer etwas annähernd Christliches ausspricht, wird soweit noch für einen weisen und verständigen Mann gehalten werden, während er, wenn er ernstlich nach Weisheit und Verständigkeit streben und entweder die heidnischen Zeremonien verschmähen oder die Welt überwinden sollte, als ein Christ übel angesehen wird. Wir wollen also nichts mehr mit den Büchern und der Anleitung zu einer verkehrten Glückseligkeit zu tun haben, der man eher glaubt in dem, was an ihr falsch, als in dem, was wahr ist. Meinetwegen mögen manche Aussprüche über den einzigen und wahren Gott getan haben! Nein, es soll gar nichts berichtet worden sein, was der Christ anerkennt, ohne es tadeln zu können; denn auch das, was wirklich berichtet wird1, ist nicht allen bekannt, und die, welchen es bekannt ist, halten es nicht für gehörig begründet. So viel fehlt daran, daß die Leute unseren Schriften zustimmen, zu denen niemand Zutritt hat, als wer schon Christ ist.
Ich rufe ein ganz neues Zeugnis an, oder besser ich rufe ein Zeugnis an, bekannter als alle Büchergelehrsamkeit, lebensvoller als alle Theorie, verbreiteter als jede Veröffentlichung, größer als der ganze Mensch, nämlich alles, was der Mensch ist. So tritt denn herzu, o Seele; magst du nach der Meinung mehrerer S. 205Philosophen etwas Göttliches und Ewiges sein, so wirst du um so weniger lügen, oder wenn du durchaus nichts Göttliches bist, weil sterblich, wie Epikur meint - freilich er allein - dann wirst du um so weniger lügen dürfen, magst du nun aus dem Himmel gekommen oder von der Erde empfangen, aus Zahlen oder Atomen zusammengefügt sein, magst du endlich mit dem Körper zugleich das Dasein empfangen oder nach dem Körper hereingeführt werden, woher auch immer und auf welche Weise du geworden sein magst - du bist es, die den Menschen zum vernünftigen und der Einsicht und Wissenschaft empfänglichen Wesen macht. Aber nicht dich rufe ich herbei, die du in Schulen gebildet, in Bibliotheken bewandert, in den Akademien und Attischen Säulenhallen geistig gespeist, Weisheit von dir gibst. Dich rede ich an, die du einfach und unverfeinert, ungebildet und unwissend bist, wie bei Leuten, die dich allein haben und weiter nichts, die Seele, ganz wie sie von der Gasse, von den Straßenecken, aus der Werkstätte herkommt. Gerade deines Mangels an Erfahrung bedarf ich, da deiner Erfahrung, so gering sie auch ist, niemand glaubt. Ich will aus dir herausfragen, was du mit dir in den Menschen hineinbringst, wie du von dir selbst oder durch deinen Urheber, wer er auch sei, fühlen gelernt hast. Du bist, soviel ich weiß, keine Christin; denn du pflegst erst eine Christin zu werden und nicht als solche auf die Welt zu kommen. Dennoch verlangen jetzt die Christen von dir ein Zeugnis, von einer ihnen Fremden gegen die deinigen, damit diese sogar vor dir erröten, weil sie uns deswegen hassen und verspotten, als dessen Mitwisserin sie dich nun entdecken.
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In der heidnischen Literatur. ↩