2. Von der Behauptung: der Zorn, mit dem man Sündern zürne, sei nicht sündhaft, da man auch von Gott sage, daß er zürne.
Ich hörte, wie Einige diese der Seele so verderbliche Krankheit in der Weise zu entschuldigen versuchten, daß sie dieselbe durch eine sehr ruchlose Deutung der heiligen Schrift abzuschwächen beflissen waren. Sie sagten nämlich, es sei nicht sündhaft, gegen fehlende Brüder zu zürnen, da man ja auch von Gott aussage, er wüthe und zürne gegen Jene, die ihn mit oder ohne ihr Wissen verachten, wie an jener Stelle:1 „Und es entbrannte der Herr in Zorn gegen sein Volk,“ oder wenn der Prophet2 betet: „O Herr, nicht in S. 177 deinem Grimme strafe mich, und nicht in deinem Zorne züchtige mich!“ Aber sie sehen nicht ein, daß, während sie den Menschen die Möglichkeit des verderblichen Fehlers einräumen wollen, sie der Unermeßlichkeit Gottes, der Quelle aller Reinheit, die Schmach einer fleischlichen Leidenschaft beimischen.