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Dialog gegen die Pelagianer (BKV)
4.
C. Ich will nicht als streitsüchtig erscheinen und ins Ungemessene nach verschiedenen Richtungen hin abschweifen, aber dies eine gib mir wenigstens zu, daß sehr viele in der Schrift gerecht genannt werden!
A. Nicht nur für sehr viele, sondern für unzählige trifft dies zu.
C. Wenn es unzählige Gerechte gibt, wenn diese Tatsache nicht bestritten werden kann, warum war es denn verkehrt, wenn ich behauptet habe, der Mensch könne sündlos sein, wofern er wolle? Das heißt mit anderen Worten, der Gerechte kann ohne Sünde sein, eben weil er gerecht ist.
A. Ich gebe zu, daß es Gerechte gibt, daß sie aber ohne jegliche Sünde seien, darin stimme ich dir durchaus nicht bei. Ich sage wohl, daß der Mensch ohne Laster, wofür die Griechen ἀκακία [akakia] sagen, sein kann. Ich leugne jedoch, daß er ἀναμάρτητος [anamartētos], d. h. sündlos sei; denn diese Eigenschaft kommt nur Gott zu, während jedes Geschöpf der Sünde unterworfen ist und Gottes Barmherzigkeit nötig hat nach dem Schriftworte: „Die Erde ist voll von der Barmherzigkeit des Herrn“1. Um den Schein zu vermeiden, als stöberte ich gewisse Makel an heiligen Männern auf, in welche sie mehr aus Irrtum gefallen sind, so will ich nur wenige Stellen anführen, die nicht einen einzelnen, sondern alle S. 409 insgemein erfassen. Im 31. Psalm [Hebr. Ps. 32] steht geschrieben: „Ich sprach: Ich werde gegen mich meine Ungerechtigkeit dem Herrn bekennen, und Du wirst die Gottlosigkeit meines Herzens verzeihen“2. Sofort folgt: „Wegen dieser, nämlich wegen der Ungerechtigkeit oder Gottlosigkeit (beides kann damit gemeint sein), muß jeder Heilige zu Dir flehen zur günstigen Zeit“ 3. Wenn er heilig ist, warum fleht er wegen seiner Ungerechtigkeit? Lastet aber Ungerechtigkeit auf ihm, mit welchem Recht wird er dann heilig genannt? Zweifellos aus der von mir vertretenen Auffassung heraus, die sich auch an anderen Stellen offenbart, wo es heißt: „Sieben Mal fällt der Gerechte und stehet wieder auf4. Der Gerechte klagt sich selbst an zu Beginn seiner Rede5. Entfremdet sind sie als Sünder vom Mutterschoße an, abgeirrt von der Geburt an, Trug führten sie im Munde“6. Gleich nachdem sie geboren waren, waren sie der Sünde unterworfen nach Art der Pflichtverletzung Adams, der ein Bild des Zukünftigen ist7, sicherlich aber sobald Christus, von dem es heißt: „Ein jeder, welcher den Mutterleib öffnet, wird heilig dem Herrn genannt werden“8, aus jungfräulichem Schoße geboren war. Alle haben als Häretiker geirrt, die das Geheimnis seiner Geburt nicht begriffen. Denn das Wort: „Was den Mutterschoß öffnet, wird als dem Herrn geheiligt bezeichnet werden“, läßt sich besser auf die Geburt des Erlösers insbesondere, als auf die aller Menschen beziehen. Christus hat nämlich allein die verschlossenen Pforten des jungfräulichen Schoßes eröffnet, die dennoch beständig verschlossen blieben. Dieser ist die nach Osten gelegene verschlossene Türe, durch welche nur der Hohepriester ein- und ausgeht, und die nichtsdestoweniger stets geschlossen ist9.
Auch eine Stelle aus dem Buche Job will ich anführen: „Wird ein Mensch rein sein vor Gott, oder gibt S. 410 es einen Mann, untadelhaft in seinen Werken? Wenn er auf seine Diener nicht vertraut und in seinen Engeln Böses findet, um wieviel mehr wird dies bei solchen zutreffen, die in irdischer Hülle wohnen?“10 Zu diesen gehören auch wir, die wir von demselben Staub gebildet sind. Solltest du aber behaupten, hier komme die persönliche Ansicht des Themaniters Eliphas zum Ausdruck, dann bedenke, daß nicht er der Sprecher ist, sondern jene Engelsgestalt, welche in einem Gesichte sich ihm offenbart und ihm Gottes Aussprüche übermittelt! Doch meinetwegen mag Eliphas sprechen, was zweifellos der Engel spricht. Werden aber folgende Äußerungen nicht voll und ganz im Namen Jobs gesprochen: „Eine Prüfung ist des Menschen Leben auf Erden“11. „Wenn ich gesündigt habe, was kann ich tun?“12 „Warum hast Du vergessen, meine Missetat von mir zu nehmen und mich von meiner Sünde zu reinigen?“13 „Wie kann ein Mensch auf Erden vor Gott gerecht sein?“14 „Wenn ich gerecht bin, wird er mich nicht hören; aber seines Gerichtes entbehre ich“15. „Ich bin gottlos; wozu habe ich mich umsonst bemüht? Wenn ich mich auch wasche mit Schnee und mit reinen Händen dastehe, so hast Du mich doch zur Genüge in den Schmutz getaucht“16. „Wenn ich sündige, wirst Du auf mich acht haben; aber Du wirst mich nicht reinigen von meinen Vergehen“17. „Wenn ich gottlos handle, wehe mir! Wenn ich gerecht bin, dann kann ich nicht atmen. Denn ich bin voller Schande“18. „Wer wird rein sein vor Schmutz? Auch nicht einer, selbst wenn sein Erdenleben nur einen Tag dauerte und nach Monaten zu zählen wäre“19. Solltest du bemerken wollen, daß das Fragefürwort „wer“ nicht die Unmöglichkeit, sondern zuweilen nur die Schwierigkeit andeutet, dann werde ich dir antworten: „Wo steht denn deine kühne Behauptung verzeichnet, daß die Gebote Gottes leicht und S. 411 ohne Schwierigkeit zu erfüllen seien?“ Die Schrift sagt doch: „Der Mensch arbeitet unter Schmerzen für sich, und mit Gewalt wehrt er sich gegen sein Verderben“20, damit nach Unterdrückung, nach Unterjochung und nach Abtötung des Fleisches der Geist in ihm lebe. Die lächerliche Deutung eures Demosthenes21, Job habe nicht gesagt: „Wer wird rein von der Sünde sein“, sondern: „Wer wird rein vom Schmutze sein“ übergehe ich. Er sucht auf diese Weise darzulegen, daß an den Schmutz der Windeln in der Kindheit, aber nicht an Laster und Sünde zu denken sei. Ist dies aber nicht seine Auffassung, dann sagt mir doch, wie er die Stelle versteht! Seine Aussagen sind so schwer zu erfassen und in einen solchen Wortschwall eingehüllt, daß er bei dem Leser eher Verdacht wachruft, als ihm Belehrung bietet. Am Schlusse sagt Job: „Was soll ich hierauf antworten? Ich will meine Hand auf meinen Mund legen. Einmal habe ich gesprochen; ich will nichts hinzufügen“22. Was ist das zuletzt für eine Gerechtigkeit, mit welcher Job, der makellose und gerechte Mann, der ohne Fehl sich alles Bösen enthielt, verherrlicht wird, wenn er schließlich auf Gottes Barmherzigkeit angewiesen ist? Es trifft hier zu, was wir in den Sprichwörtern lesen: „Wer wird sich rühmen, daß er ein keusches Herz habe? Wer wird darauf bauen, daß er rein sei von Sünde?“23 Behaupte, daß auch hier „wer“ nicht die Unmöglichkeit, sondern die Schwierigkeit zum Ausdruck bringt! Hinweg darum mit deinem Lehrsatze! Entferne aus deinem Buche die Worte: „Gottes Gebote sind leicht“!
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Ps. 32, 5; 118, 64 [Hebr. Ps. 33, 5; 119, 64]. ↩
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Ps. 31, 5 [Hebr. Ps. 32, 5]. ↩
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Ps. 31, 6 [Hebr. Ps. 32, 6]. ↩
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Spr. 24, 16. ↩
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Spr. 18, 17. ↩
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Ps. 57, 4 [Hebr. Ps. 58, 4]. ↩
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Röm. 5, 14. ↩
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Exod. 13, 2; Exod. 34, 19. ↩
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Ezech. 44, 1 f. ↩
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Job 4, 17―19. ↩
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Job 7, 1. ↩
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Job 7, 20. ↩
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Job 7, 21. ↩
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Job 25, 4; Eccle. 7, 20 [= Ecclesiastes/Prediger 7, 19]. ↩
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Job 9, 15. 16 nach LXX. ↩
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Job 9, 29 f. ↩
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Job 10, 14 nach LXX. ↩
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Job 10, 15 nach LXX. ↩
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Job 14, 4 f. nach LXX. ↩
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Spr. 16, 26 nach LXX. ↩
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Gemeint ist Pelagius. ↩
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Job 39, 34 f. ↩
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Spr. 20, 9. ↩
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Dialogos contra Pelagianos Admonitio
4.
Plures justos esse, neminem sine peccato. — C. Ne contendere videar, et in diversum absque mensura funem trahere, saltem hoc mihi concede, justos in Scripturis plurimos appellari. A. Non solum plurimos, sed innumerabiles. C. Si innumerabiles justi sunt, et hoc negari non possit, quid male locutus sum, posse esse hominem sine peccato, si velit? Hoc est aliis verbis dicere, posse justum sine peccato esse, in eo quod justus est. A. Justos esse concedo, sine omni autem peccato omnino non assentior. Etenim absque vitio, quod Graece dicitur κακία, hominem posse esse aio: ἀναμάρτητον, id est sine peccato esse, nego, id enim soli Deo competit, omnisque creatura peccato subjacet, et indiget misericordia Dei, dicente Scriptura: Misericordia Domini plena est terra (Ps. XXXII, 5, et CXVIII, 64). Et ne quasi maculas quasdam in sanctis viris videar perscrutari, in quibus errore sunt [Al. sint] lapsi, pauca proferam, quae non ad singulos, sed ad omnes in commune pertineant. In tricesimo primo psalmo (Vers. 5) scriptum est: Dixi, pronuntiabo adversum me injustitiam meam Domino, et tu dimisisti impietatem cordis mei. Statimque sequitur: Pro hac, hoc est, impietate, sive iniquitate (utrumque enim intelligi potest) orabit ad te omnis sanctus in tempore opportuno. Si sanctus est, quomodo orat pro iniquitate? Si iniquitatem habet, qua ratione sanctus appellatur? Juxta illum videlicet modum, qui et in alio loco scribitur: Septies cadet [Al. cadit] justus, et resurget (Prov. XXIV, 16). Et, Justus accusator sui est in principio sermonis (Prov. XVIII, 13). Et alias: Alienati [Al. abalienati] sunt peccatores a vulva, erraverunt ab utero, locuti sunt falsa (Psal. LVII, 4). Vel statim ut nati sunt, subjacuere peccato in similitudinem praevaricationis Adae, qui est forma futuri; vel certe statim ut de utero virginali natus est Christus, de quo scriptum est: Omnis qui aperit vulvam, sanctus Domino vocabitur (Exod. XIII, 2, et XXXIV, 19); omnes haeretici erraverunt, non intelligentes mysterium nativitatis ejus. Magisque ad specialem nativitatem Salvatoris, quam ad omnium hominum reterri potest hoc quod dicitur, Qui, aperit vulvam, sanctus vocabitur Domino (Ezech. XI, 43, 44). Solus enim Christus clausas portas vulvae virginatis aperuit, quae tamen clausae jugiter permanserunt. Haec est porta orientalis clausa, per quam solus Pontifex ingreditur et egreditur, et nihilominus semper clausa est. Illud quoque quod in volumine Job scriptum est: Numquid mundus erit homo coram Deo, aut in operibus suis irreprehensibilis vir? Si adversus famulos suos non credit, et contra Angelos pravum quid reperit; quanto magis in his, qui habitant domos luteas (Job. IV, 17, 18)! e quibus et nos de eodem luto sumus. Quod si asserueris hoc dici ex persona Eliphas Themanitae, intellige non ab eo dici; sed ab illo, qui sub persona Angeli in visione et revelatione loquitur ei sententias Dei. Sed esto ut loquatur Eliphas, quod perspicue Angelus loquitur, numquid non hoc ex persona Job proprie dicitur: Tentatio est vita hominis super terram (Job. VII, 1)? Et: Si ego peccavi, quid possum facere (Ibid., 20)? Et: Quare oblitus es, nec fecisti iniquitatis meae oblivionem, et emundationem peccati mei? Quomodo enim potest esse justus homo super terram apud Deum (Ibid., 21)? Et iterum: Si fuero justus, non audiet me; sed judicio ejus indigebo (Job. IX, 15, 29). Et rursum: Quia sum impius, cur frustra laboro? Si lotus fuero nive, et mundis manibus, satis me sorde tinxisti. Si peccavero, custodies me. Ab iniquitate autem me non facies innocentem (Ibid., 30). Et: Si impie egero, vae mihi (Job. X, 15). Et: Si fuero justus, non potero respirare. Plenus enim ego sum ignominiae (Ibid.). Et iterum: Quis enim erit mundus a sorde? Ne unus quidem, etiam si unius diei fuerit vita ejus super terram, et numerabiles menses illius (Job. XV, 14). Quod si dixeris pronomen quis, non pro impossibili, sed interdum pro difficili accipi, respondebo tibi: Et ubi est illud, quod temere protulisti, Facilia Dei esse mandata, et ea facile posse compleri? dicente Scriptura: Vir in dolore laborat sibi, et vim facit perditioni suae (Prov. XVI, 26, sec. LXX), ut oppressa et subjugata et moriente carne, vivat in eo spiritus. Ridiculamque illam expositionem Demosthenis vestri, non dixisse Job: Quis erit mundus a peccato; sed quis erit mundus a sorde, praetereo, qua probare conatur, sordes pannorum significari in infantia, non vitia peccatorum. Aut certe si non sic intelligit, dicite vos quid sentiat. Tam enim involutus dictor est, et nimio verborum squalore coopertus, ut suspicionem magis quam intelligentiam lectori praebeat. Ad extremum infert: Ego autem ad haec quid respondebo? Manum meam ponam super os meum, semel locutus sum, in secundo non addam (Job. XXXIX, 34). Ecce Job noster vir immaculatus et justus, et sine querela, et abstinens se ab omni malo, quali fine justitiae coronatur, ut misericordia Dei indigeat? Hoc est illud, quod in Proverbiis legimus: Quis gloriabitur castum se habere cor? Aut quis confidet se mundum esse a peccato (Prov. XX, 9)? Fac quod et hic, quis, non pro impossibili, sed pro difficili dixerit. Tolle ergo sententiam, et rade de libro tuo, Facilia Dei esse mandata.