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Bibliothek der Kirchenväter
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Works Jerome (347-420) Dialogi contra Pelagianos libri III Dialog gegen die Pelagianer (BKV)
I. Buch

16.

C. Mein lieber Atticus, das war scharfsinnig gesprochen und verrät ein gutes Gedächtnis. Aber deine Bemühungen und die auf vielen Schriftstellen aufbauende Widerlegung kommen mir zugute. Denn ich stelle nicht die Menschen Gott, sondern anderen Menschen gegenüber, im Vergleich zu welchen derjenige, der sich Mühe antut, vollkommen sein kann. Und wenn ich S. 361 sage, der Mensch könne, falls er wolle, sündlos sein, so lege ich einen menschlichen Maßstab an, aber nicht den der göttlichen Majestät, im Vergleich zu welcher kein Geschöpf vollkommen sein kann.

A. Aber Critobulus, diese Worte reden ja für mich. Auch ich bin der Ansicht, daß kein Geschöpf im Sinne der wahren und vollendeten Gerechtigkeit vollkommen sein kann. Selbstverständlich ist es für niemanden zweifelhaft, daß der eine sich vom anderen unterscheidet, daß unter den Menschen verschiedene Arten von Gerechtigkeit bestehen. Der eine steht höher oder tiefer, und doch kann er wegen der vorliegenden Umstände und des anzuwendenden Maßstabes gerecht genannt werden, obwohl er es nicht ist im Vergleich zu anderen. Der Apostel Paulus z. B., das Gefäß der Auserwählung, der mehr als alle Apostel gearbeitet hat, war sicher gerecht und konnte deshalb auch an Timotheus schreiben: „Ich habe einen guten Kampf gekämpft, den Lauf vollendet, den Glauben bewahrt; im übrigen ist mir die Krone der Gerechtigkeit hinterlegt, welche mir der Herr, der gerechte Richter, an jenem Tage verleihen wird; doch nicht mir allein, sondern allen, die seine Ankunft lieben“1. Gerecht war auch sein Schüler und Nacheiferer Timotheus, den er unterrichtet über das, was er tun soll, und über die Art und Weise, die Tugenden zu üben. Glauben wir nun, daß beiden ein und dieselbe Gerechtigkeit innewohnte, oder liegt nicht ein Mehr an Verdienst bei dem vor, der mehr als alle gearbeitet hat? Es sind viele Wohnungen beim Vater2, weil auch die Verdienste mannigfaltig sind. Es unterscheidet sich Stern von Stern durch die Helligkeit3, und an dem einen Körper der Kirche gibt es verschiedene Glieder. Die Sonne hat ihren Glanz, und auch der Mond mindert die Finsternis der Nacht. Fünf andere Gestirne, die man Wandelsterne nennt, ziehen am Himmel einher, verschieden im Lauf und in der Leuchtkraft. Unzählig sind die S. 362 anderen Sterne, die wir am Firmamente glänzen sehen. Sie unterscheiden sich durch ihr Licht, und doch ist ein jeder in seiner Art vollkommen, mit der Einschränkung freilich, daß es ihm im Vergleich zu einem größeren an Vollkommenheit gebricht. Auch am Körper, zu dem verschiedene Glieder gehören, hat ein jedes, das Auge, die Hand, der Fuß seine gesonderte Betätigung. Deshalb sagt auch der Apostel: „Es kann aber das Auge nicht zur Hand sagen: Ich bedarf deiner Dienste nicht, oder auch das Haupt zu den Füßen: Ich habe euch nicht nötig. Sind etwa alle Apostel, alle Propheten, alle Lehrer? Haben etwa alle sämtliche Wunderkräfte, alle die Gabe zu heilen? Reden alle in Sprachen, können alle auslegen? Strebet nach den größeren Gaben! Alles aber wirkt ein und derselbe Geist, einem jeden zuteilend, wie er will“4. Wohlverstanden, der Apostel sagt nicht: „Entsprechend dem Wunsche eines jeden Gliedes“, sondern, „so wie er selbst, nämlich der Geist es will“. Denn das Gefäß kann nicht zum Töpfer sagen: „Warum hast du mich so oder so gemacht?“ Hat nicht der Töpfer die Gewalt, aus demselben Ton ein Gefäß zu machen zur Ehre und ein anderes zur Unehre?5 Darum fügt der Apostel folgerichtig hinzu: „Strebet nach den größeren Gaben!“, damit wir durch unseren Glaubenseifer mehr als die übrigen an Gnadengaben zu besitzen gewürdigt werden und besser seien als diejenigen, welche, mit uns verglichen, auf der zweiten oder der dritten Stufe stehen. In einem großen Haushalte sind die Gefäße verschieden, teils aus Gold, teils aus Silber, Erz, Eisen oder Holz gefertigt. Während nun das eherne Gefäß in seiner Art vollkommen ist, bezeichnet man es als unvollkommen im Vergleich zu einem silbernen, das silberne wiederum ist weniger wert gegenüber einem goldenen. Als Endresultat der gegenseitigen Vergleichung ergibt sich, daß alle unvollkommen und vollkommen sind. Auf dem guten Ackerboden wächst aus einem Samenkorn dreißig-, sechzig- und hundertfältige Frucht heraus6. Aus den Zahlen ergibt sich, daß der S. 363 Ertrag ungleich ist, und doch ist das Einzelne in seiner Art vollkommen. Elisabeth und Zacharias, die du wie einen undurchdringlichen Schild bei deiner Beweisführung vor dich hältst, können uns darüber belehren, daß sie an Heiligkeit weit unter der seligen Maria, der Mutter des Herrn, stehen, welche aus dem Bewußtsein heraus, daß Gott in ihr wohne, freimütig verkündet: „Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Geschlechter! Denn Großes hat an mir getan, der da mächtig und dessen Name heilig ist. Seine Barmherzigkeit weilet von Geschlecht zu Geschlecht bei denen, die ihn fürchten. Er hat Macht geübt mit seinem Arme“7. Siehe wohl zu, daß sie sich selig preist nicht auf Grund eigenen Verdienstes und eigener Kraft, sondern wegen der Barmherzigkeit des in ihr wohnenden Gottes! Auch Johannes, mit welchem verglichen keiner der vom Weibe Geborenen größer war8, ist besser als seine Eltern. Und nicht nur mit Menschen, sondern mit Engeln vergleicht ihn ein Ausspruch des Herrn. Und doch wird er, der größer war als alle Menschen auf Erden, damals, als das Himmelreich noch sehr klein war, der Geringere genannt9.


  1. 2 Tim. 4, 7 f. ↩

  2. Joh. 14, 2. ↩

  3. 1 Kor, 15, 41. ↩

  4. 1 Kor. 12, 21. 29—31. 11. ↩

  5. Röm. 9, 21. ↩

  6. Mark. 4, 8. ↩

  7. Luk. 1, 48—51. ↩

  8. Luk. 7, 28. ↩

  9. Es ist wohl gedacht an die Stellen Luk. 7, 28 u. Joh. 3, 30. ↩

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