28.
Nachdem die Zeremonialgesetze und die alten Vorschriften mit ihrer drückenden Belästigung abgeschafft waren, wurde die Gnade des Evangeliums verheißen. Der Herr versprach ein Gesetz, wonach ihn alle, vom Kleinsten bis zum Größten, kennen lernen sollten, mit den Worten: „Ich will ihre Sünden nachlassen und ihrer Missetaten fürderhin nicht mehr eingedenk sein“1. Welche Art von Gerechtigkeit aber die Heiligen des Alten Bundes besaßen, zeigt er in nachstehendem Ausspruch: „Die Einwohner Israels und Judas haben fortgesetzt Böses getan vor mir von ihrer Jugend an bis auf den heutigen Tag. Die Stadt Jerusalem hat vom Anfang ihres Bestehens bis zum Tage ihrer Vernichtung meinen Zorn herausgefordert“2. Merke wohl auf und verbinde den Anfang mit dem Ende! Die ganze Zeit, die in der Mitte liegt, ist eine Periode des Lasters. — Der jungfräuliche Jeremias, der bereits vor seiner Geburt im Mutterschoße geheiligt war3, der Prophet des Alten Bundes, fürchtet sich vor Sedecias und beschwört den Herrn unter Tränen: „Erhöre jetzt meine Bitte, o mein Herr und König, und laß mein Flehen Erfolg haben bei Dir! Schicke mich nicht mehr zurück in das Haus Jonathans, des Schreibers, damit ich dort nicht umkomme!“4 O Prophet, weshalb fürchtest du den gottlosen König? Warum ängstigst du dich vor dem, dessen baldigen Untergang du kennst? Warum scheust du vor dem S. 458 Kerker zurück, obwohl himmlischer Lohn dir winkt? Er wird mir zur Antwort geben: „Ich bin ein Mensch, sterbliches und verwesliches Fleisch umgibt mich. Ich fühle den Schmerz und bange vor Qualen, wie sie auch mein Herr für mein Heil erdulden wird. Gott erbarmt sich des menschlichen Geschlechtes und will nicht, daß untergehe, was er erschaffen hat“. — „Fürchte dich nicht, Jakob“, spricht der Herr, „denn ich bin bei dir und werde alle Völker, unter welche ich dich zerstreut habe, umkommen lassen! Dich jedoch will ich nicht zugrunde richten, wohl aber in Gerechtigkeit züchtigen und soweit mich deiner erbarmen, daß ich dich nicht unschuldig lasse“5.