19.
Vor einiger Zeit hat ein heiliger und redegewandter Mann, der Bischof Augustinus, an Marcellinus1, der später als Opfer der Eifersucht zur Zeit der Heraclianischen Empörung von den Häretikern unschuldig getötet worden ist, zwei Bücher über die Kindertaufe gegen eure Irrlehre geschrieben, welche dartun will, daß die Kinder nicht getauft werden zum Zwecke der Sündenvergebung, sondern für das Himmelreich2, welche Ansicht folgende Worte des Evangeliums bezeugen S. 496 sollen: „Wenn jemand nicht wiedergeboren wird aus dem Wasser und dem Heiligen Geiste, so kann er nicht in das Himmelreich eingehen“3. Auch noch ein drittes Buch schrieb er an den genannten Marcellinus gegen jene, die mit euch behaupten, der Mensch könne, wenn er wolle, sündlos sein ohne besondere göttliche Gnade4. Neulich hat er sich noch in einem vierten Buch an Hilarius gegen deine Lehre, die viele verkehrte Ansichten ausgebildet hat5, gerichtet. Er soll auch einige andere Schriften speziell gegen dich unter der Feder haben6. Sie sind uns aber noch nicht zu Händen gekommen. Deshalb glaube ich, von dieser Arbeit absehen zu können, damit man auf mich nicht den horazischen Spruch anwenden könne: „Trage kein Holz in den Wald“7. Ich würde entweder überflüssigerweise dasselbe sagen, oder wenn ich Neues vorbringen wollte, dann ist es von seinem scharfen Geiste bereits besser erfaßt worden. Eines will ich noch zum Schlusse meiner Erörterung anführen. Entweder müßt ihr ein neues Glaubensbekenntnis schaffen, so daß ihr nach den Lehrsätzen über den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist noch eine Taufe der Kinder zum Eintritt ins Himmelreich einschieben könnt, oder ihr müßt auch die Kinder, wofern ihr eine Taufe für die Kleinen und die Erwachsenen anerkennt, taufen zur Vergebung der Sünden, die ähnlich sind der S. 497 Übertretung Adams8. Sollte euch aber die Nachlassung fremder Sünden als ein Unrecht vorkommen, als eine Sache, die unnötig bei denen, die nicht sündigen können, dann geht zu eurem Liebhaber, welcher behauptet, daß in der Taufe eine Erlösung stattfinde von Sünden, die vor längst vergangenen Zeiten im Himmel begangen wurden9. Ihr laßt euch ja in anderen Dingen von seiner Autorität leiten; darum könnt ihr auch in diesem Punkte seinem Irrtum folgen.
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Nach Grützmacher III, 260 f. ist Marcellinus der kaiserliche Kommissär, welcher im Jahre 411 das berühmte Religionsgespräch mit den Donatisten in Karthago geleitet hatte. Wegen des Verdachtes, an der Empörung eines gewissen Heraclianus teilgenommen zu haben, wurde er 413 von dem Feldherrn Marinus hingerichtet. ↩
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Die Pelagianer konstruierten einen Gegensatz zwischen regnum coelorum und vita aeterna. Unter ersterem verstanden sie die durch die Taufe zu erlangende Gemeinschaft Christi, während die vita aeterna in der ewigen Seligkeit bestehen sollte. ↩
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Joh. 3, 5. ↩
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Die drei an Marcellinus gerichteten Schriften sind die zwei Bücher „De peccatorum meritis et remissione et de baptismo parvulorum ad Marcellinum“ (412) und „De spiritu et littera, ad Marcellinum, liber unus“ (412). ↩
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Augustinus, epist. 157 ad Hilarium. ↩
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Die übrigen Werke Augustins gegen den Pelagianismus sind: 1. „De natura et gratia“ (415); 2. „De perfectione iustitiae hominis“ (415); 3. „De gestis Pelagii“ (417); 4. „De gratia Christi et de peccato originali“ (418); 5. „De nuptiis et concupiscentia“ (419); 6. „Contra duas epistolas Pelagianorum libri quatuor“ (420); 7. „Contra Julianum haeresis Pelagianae defensorem libri sex“ (ca. 421); 8. „Opus imperfectum contra Julianum“ (Augustin starb 430 während der Abfassung dieser Schrift). Hierzu kommen noch mehrere Schriften gegen den Semipelagianismus. ↩
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Horaz, Sat. I, 10, 34. ↩
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Gedacht ist an die Worte: „Confiteor unum baptisma in remissionem peccatorum“ des Nizäischen Symbolums. ↩
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Hinweis auf die bereits mehrfach erwähnte, in der platonischen Philosophie wurzelnde Seelenlehre des Origenes. ↩