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Summe der Theologie
Zweiter Artikel. Der Gehorsam ist eine eigene besondere Tugend.
a) Dem steht entgegen: I. Der Gehorsam steht dem Ungehorsam gegenüber. Dieser aber ist eine allgemeine Sünde, findet sich nämlich in allen Sünden; denn die Sünde ist Ungehorsam gegen das göttliche Gesetz. II. Der Gehorsam ist 1. keine theologische Tugend; er ist 2. keine moralische, denn er besteht nicht in der rechten Mitte zwischen dem „zu viel“ und „zu wenig“. Also ist er keine besondere Tugend, sondern eine allgemeine, d. h. er findet sich in allen Tugenden. III. Gregor (moral. ult. 10.) sagt: „Der Gehorsam wird um so mehr gelobt, je weniger er vom Seinigen hat.“ Jede eigene besondere Tugend wird desto mehr gelobt, je mehr sie von sich mitbringt; denn zur Tugend wird erfordert, daß man wolle und wähle. Also. IV. Die Tugenden unterscheiden sich nach den Gegenständen. Der Gegenstand des Gehorsams aber ist der Befehl des Oberen, der vielfach wechselt je nach den verschiedenen Graden in der Stellung des Oberen. Also ist der Gehorsam eine allgemeine Tugend. Auf der anderen Seite ist der Gehorsam eine mit der Gerechtigkeit verbundene Tugend. (Kap. 80.)
b) Ich antworte, zu allen guten Werken, die ein specielles Lob dienen, werde eine specielle eigene Tugend erfordert; denn das ist der Tugend eigen, daß sie das menschliche Werk zu einem guten macht. Gehorchen aber dem Vorgesetzten ist etwas Gutes; denn es entspricht der von Gott den Dingen eingeprägten Ordnung. Also besteht hier etwas besonders Gutes und demnach eigens Lob Verdienendes; und sonach erfordert der besondere Charakter des Guten im Gegenstande eine besondere Tugend. Demgemäß müssen die untergebenen den Vorgesetzten Vieles darbringen; das Hauptsächliche davon aber ist der Gehorsam. Also ist der Gehorsam eine eigene Tugend und ihr eigener besonderer Gegenstand ist die ausdrückliche oder stillschweigende Vorschrift des Oberen. Denn wie auch immer der Wille des Oberen sich kundgiebt, er ist immer mindestens ein stillschweigender Befehl; und der Gehorsam ist desto größer und bereitwilliger, je mehr er dem ausdrücklichen Befehle zuvorkommt, nachdem der Wille des Vorgesetzten einmal erkannt ist.
c) I. Zwei Tugenden können ein und denselben materialen Gegenstand berücksichtigen; wie der Soldat, welcher die Burg des Königs verteidigt, Tugend der Stärke übt und zugleich die Tugend der Gerechtigkeit, indem er den vom Heerführer aufgetragenen Dienst verrichtet. So ist also der Wesenscharakter des Gegenstandes des Gehorsams zusammen mit den Thätigkeiten aller Tugenden; nicht aber mit allen Thätigkeiten der Tugenden, weil nicht jede Thätigkeit der Tugend geboten ist. Zudem giebt es auch Dinge, die nur Sünde sind, weil man sie verboten hat. Nimmt man also den Gehorsam im eigentlichen Sinne, soweit seine Absicht auf das Gebotene als solches geht, so ist er eine besondere Tugend und der Ungehorsam eine besondere Sünde; denn es wird dann für den Gehorsam erfordert, daß jemand einen Akt der Gerechtigkeit oder einer anderen Tugend vollbringt in der Absicht, das betreffende Gebot zu erfüllen; und zum Ungehorsam gehört es, daß thatsächlich das Gebot verachtet wird. Nimmt man aber Gehorsam im weiteren Sinne für die Ausführung von etwas Beliebigem, was unter das Gebot fallen kann; und Ungehorsam für das entsprechende Unterlassen aus welch auch immer für Absicht; — so wird der Gehorsam eine allgemeine Tugend, d. h. eine Bedingung oder Eigenheit jeder Tugend sein und der Ungehorsam dementsprechend ein allgemeines Laster. II. Der Gehorsam ist keine theologische Tugend; denn sein Gegentand ist nicht Gott, sondern die ausdrückliche oder stillschweigende Vorschrift eines Oberen; nach Tit. 3.: „Ermahne sie, den Fürsten und Gewalten unterthan zu sein, auf ein Wort zu gehorchen etc.“ Wohl aber ist der Gehorsam als Teil der Gerechtigkeit eine moralische Tugend. Und seine echte Mitte wird zwar nicht nach dem „zu viel“ oder „zu wenig“ aufgefaßt, aber nach den Umständen; daß man nämlich gehorcht, wem oder worin man gehorchen oder nicht gehorchen soll. Es kann zudem gesagt werden: Wie in der Gerechtigkeit das „zu viel“ in jenem ist, der fremdes Eigentum behält; das „zu wenig“ in jenem, dem nicht erstattet wird, was ihm gehört (5 Ethic. 4.); — so bildet der Gehorsam die rechte Mitte zwischen „zu viel“ auf seiten desjenigen, der dem Oberen den gebührenden Gehorsam entzieht, und dem „zu wenig“ auf seiten des Oberen, dem nicht gehorcht wird; denn der erstere ist überreich an eigenem Willen. Damit stände Gehorsam in der Mitte zwischen einem Mangel und Überfluß. III. Der Gehorsam muß wie jede Tugend einen bereiten Willen haben mit Bezug auf seinen Gegenstand; nicht aber mit Bezug auf das, was diesem entgegengesetzt ist. Nun steht als eigenster Gegenstand des Gehorsams die Vorschrift da; und diese hängt ab vom Willen eines anderen. Also macht der Gehorsam den Willen bereit, um den Willen des befehlenden zu erfüllen. Wenn nun das, was vorgeschrieben wird, bereits von sich aus gewollt ist, abgesehen vom Befehl, wie bei den Dingen, die gefallen; so richtet sich der Wille schon von freien Stücken oder von sich aus darauf und scheint nicht, auf Grund der Vorschrift zu wollen, sondern wegen eigenen Gefallens. Ist aber was vorgeschrieben wird nicht von sich aus bereits gewollt, sondern vielmehr dem Willen widerstrebend; dann ist es klar, daß es auf Grund der Vorschrift gethan wird. Unter diesem Gesichtspunkte sagt Gregor (I. c.): „Der Gehorsam, welcher etwas vom Eigenen anstrebt im Bereiche des Glücklichen, des Befriedigenden, ist keiner oder nur ein geringer, im Bereiche des Unglücklichen oder Schwierigen ist er größer;“ denn in letzterem Falle strebt eben der Wille einzig nach der Erfüllung der Vorschrift. Das ist jedoch zu verstehen, soweit auf das Äußerliche Rücksicht genommen wird. Vor Gottes Gericht, der die Herzen prüft, gilt es, daß auch der Gehorsam in glücklichen, wohlgefälligen Dingen, welcher etwas Eigenes mitbringt, nicht deshalb minder lobenswert ist; wenn nämlich der Wille des gehorsamen sich mit ebensolcher Hingebung auf die Erfüllung des Gebotes richtet. IV. Die Ehrfurcht berücksichtigt den Vorrang in einer Person; und also nach den verschiedenen Gesichtspunkten, nach denen ein solcher Vorrang betrachtet wird, giebt es da verschiedene Gattungen. Der Gehorsam aber richtet sich einzig auf das Gebot der höheren Person; und so ist da immer der nämliche maßgebende Grund für das Gehorchen selber, wenn auch wegen der verschiedenen Arten Ehrfurcht der Gehorsam aus verschiedenen Quellen der Gattung nach im Menschen hervorgeht.
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Summa theologiae
Articulus 2
IIª-IIae q. 104 a. 2 arg. 1
Ad secundum sic proceditur. Videtur quod obedientia non sit specialis virtus. Obedientiae enim inobedientia opponitur. Sed inobedientia est generale peccatum, dicit enim Ambrosius quod peccatum est inobedientia legis divinae. Ergo obedientia non est specialis virtus, sed generalis.
IIª-IIae q. 104 a. 2 arg. 2
Praeterea, omnis virtus specialis aut est theologica, aut moralis. Sed obedientia non est virtus theologica, quia neque continetur sub fide, neque sub spe, neque sub caritate. Similiter etiam non est virtus moralis, quia non est in medio superflui et diminuti; quanto enim aliquis est magis obediens, tanto magis laudatur. Ergo obedientia non est specialis virtus.
IIª-IIae q. 104 a. 2 arg. 3
Praeterea, Gregorius dicit, ult. Moral., quod obedientia tanto magis est meritoria et laudabilis quanto minus habet de suo. Sed quaelibet specialis virtus tanto magis laudatur quanto magis habet de suo, eo quod ad virtutem requiritur ut sit volens et eligens, sicut dicitur in II Ethic. Ergo obedientia non est specialis virtus.
IIª-IIae q. 104 a. 2 arg. 4
Praeterea, virtutes differunt specie secundum obiecta. Obiectum autem obedientiae esse videtur superioris praeceptum, quod multipliciter diversificari videtur, secundum diversos superioritatis gradus. Ergo obedientia est virtus generalis sub se multas virtutes speciales comprehendens.
IIª-IIae q. 104 a. 2 s. c.
Sed contra est quod obedientia a quibusdam ponitur pars iustitiae, ut supra dictum est.
IIª-IIae q. 104 a. 2 co.
Respondeo dicendum quod ad omnia opera bona quae specialem laudis rationem habent, specialis virtus determinatur, hoc enim proprie competit virtuti, ut opus bonum reddat. Obedire autem superiori debitum est secundum divinum ordinem rebus inditum, ut ostensum est, et per consequens est bonum, cum bonum consistat in modo, specie et ordine, ut Augustinus dicit, in libro de Nat. boni. Habet autem hic actus specialem rationem laudis ex speciali obiecto. Cum enim inferiores suis superioribus multa debeant exhibere, inter cetera hoc est unum speciale, quod tenentur eius praeceptis obedire. Unde obedientia est specialis virtus, et eius speciale obiectum est praeceptum tacitum vel expressum. Voluntas enim superioris, quocumque modo innotescat, est quoddam tacitum praeceptum, et tanto videtur obedientia promptior quanto praeceptum expressum obediendo praevenit, voluntate superioris intellecta.
IIª-IIae q. 104 a. 2 ad 1
Ad primum ergo dicendum quod nihil prohibet duas speciales rationes, ad quas duae speciales virtutes respiciunt, in uno et eodem materiali obiecto concurrere, sicut miles, defendendo castrum regis, implet opus fortitudinis non refugiens mortis pericula propter bonum, et opus iustitiae debitum servitium domino suo reddens. Sic igitur ratio praecepti, quam attendit obedientia, concurrit cum actibus omnium virtutum, non tamen cum omnibus virtutum actibus, quia non omnes actus virtutum sunt in praecepto, ut supra habitum est. Similiter etiam quaedam quandoque sub praecepto cadunt quae ad nullam aliam virtutem pertinent, ut patet in his quae non sunt mala nisi quia prohibita. Sic ergo, si obedientia proprie accipiatur, secundum quod respicit per intentionem formalem rationem praecepti, erit specialis virtus et inobedientia speciale peccatum. Secundum hoc ad obedientiam requiretur quod impleat aliquis actum iustitiae, vel alterius virtutis, intendens implere praeceptum, et ad inobedientiam requiretur quod actualiter contemnat praeceptum. Si vero obedientia large accipiatur pro executione cuiuscumque quod potest cadere sub praecepto, et inobedientia pro omissione eiusdem ex quacumque intentione, sic obedientia erit generalis virtus, et inobedientia generale peccatum.
IIª-IIae q. 104 a. 2 ad 2
Ad secundum dicendum quod obedientia non est virtus theologica. Non enim per se obiectum eius est Deus, sed praeceptum superioris cuiuscumque, vel expressum vel interpretativum, scilicet simplex verbum praelati eius indicans voluntatem, cui obedit promptus obediens, secundum illud Tit. III, dicto obedire. Est autem virtus moralis, cum sit pars iustitiae, et est medium inter superfluum et diminutum. Attenditur autem eius superfluum non quidem secundum quantum, sed secundum alias circumstantias, inquantum scilicet aliquis obedit vel cui non debet vel in quibus sicut etiam supra de religione dictum est. Potest etiam dici quod sicut in iustitia superfluum est in eo qui retinet alienum, diminutum autem in eo cui non redditur quod debetur, ut philosophus dicit, in V Ethic.; ita etiam obedientia medium est inter superfluum quod attenditur ex parte eius qui subtrahit superiori obedientiae debitum, quia superabundat in implendo propriam voluntatem, diminutum autem ex parte superioris cui non obeditur. Unde secundum hoc, obedientia non erit medium duarum malitiarum, sicut supra de iustitia dictum est.
IIª-IIae q. 104 a. 2 ad 3
Ad tertium dicendum quod obedientia, sicut et quaelibet virtus, debet habere promptam voluntatem in suum proprium obiectum, non autem in id quod repugnans est ei. Proprium autem obiectum obedientiae est praeceptum, quod quidem ex alterius voluntate procedit. Unde obedientia reddit promptam hominis voluntatem ad implendam voluntatem alterius, scilicet praecipientis. Si autem id quod ei praecipitur sit propter se ei volitum, etiam absque ratione praecepti, sicut accidit in prosperis; iam ex propria voluntate tendit in illud, et non videtur illud implere propter praeceptum, sed propter propriam voluntatem. Sed quando illud quod praecipitur nullo modo est secundum se volitum, sed est, secundum se consideratum, propriae voluntati repugnans, sicut accidit in asperis; tunc omnino manifestum est quod non impletur nisi propter praeceptum. Et ideo Gregorius dicit, in libro Moral., quod obedientia quae habet aliquid de suo in prosperis, est nulla vel minor, quia scilicet voluntas propria non videtur principaliter tendere ad implendum praeceptum, sed ad assequendum proprium volitum, in adversis autem vel difficilibus est maior, quia propria voluntas in nihil aliud tendit quam in praeceptum. Sed hoc intelligendum est secundum illud quod exterius apparet. Secundum tamen Dei iudicium, qui corda rimatur, potest contingere quod etiam in prosperis obedientia, aliquid de suo habens, non propter hoc sit minus laudabilis, si scilicet propria voluntas obedientis non minus devote tendat ad impletionem praecepti.
IIª-IIae q. 104 a. 2 ad 4
Ad quartum dicendum quod reverentia directe respicit personam excellentem, et ideo secundum diversam rationem excellentiae, diversas species habet. Obedientia vero respicit praeceptum personae excellentis, et ideo est unius rationis. Sed quia propter reverentiam personae obedientia debetur eius praecepto, consequens est quod obedientia omnis sit eadem specie, ex diversis tamen specie causis procedens.