Siebenter Artikel. Die Rechtfertigung des Sünders vollzieht sich im Augenblicke.
a) Dem widerspricht Folgendes: I. Die freie Willensbewegung gehört zur Rechtfertigung. Deren Akt aber ist das Auswählen und dies verlangt vorhergängige Überlegung, was ohne zeitliche Auseinanderfolge nicht besteht. II. Die freie Willensbewegung findet sich nicht ohne thatsächliches Erwägen. Man kann aber nicht zugleich Vieles verstehen. (I. Kap. 85, Art. 4.) Da also zur Rechtfertigung des Sünders freie Willensbewegungen erfordert werden, die auf Verschiedenes sich richten, auf Gott nämlich und gegen die Sünde, so kann diese Rechtfertigung nicht im Augenblicke sich vollziehen. III. Eine Form oder Eigenschaft, welche gemäß der Teilnahme ihres Trägers oder Subjekts an derselben ein Mehr oder Minder zuläßt, wird nach und nach in dem betreffenden Subjekte aufgenommen; wie das bei der schwarzen oder weißen Farbe der Fall ist. Die Gnade aber läßt in dieser Weise ein Mehr oder Minder zu, wie Kap. 112, Art. 4 gezeigt. Also wird sie nicht im Augenblicke eingegossen. IV. Die freie Willensbewegung, welche bei der Rechtfertigung mitwirkt, ist verdienstlich; und so muß sie von der Gnade ausgehen, ohne die ja kein Verdienst ist. Vorher aber erlangt etwas eine Form; und dann ist es gemäß dieser Form thätig. Also zuerst ist das Eingießen der Gnade; und dann ist die freie Willensbewegung zu Gott hin und gegen die Sünde. V. Wird der Seele Gnade eingegossen, so muß es einen ersten Augenblick geben, wo sie zuerst der Seele innewohnt. Wird ähnlich die Schuld nachgelassen, so muß es einen letzten Augenblick geben, wo der Mensch der Schuld unterliegt. Das kann nun nicht nach beiden Seiten hin der nämliche Augenblick sein; denn dann wäre Schuld und Gnade zugleich in der Seele. Also sind dies zwei Augenblicke, zwischen denen natürlich (6 Physic.) eine Mittelzeit liegen muß. Auf der anderen Seite vollzieht sich die Rechtfertigung des Sünders vermittelst der Gnade des heiligen Geistes. Der heilige Geist aber tritt urplötzlich in den Geist der Menschen, wie es Act. 2. heißt: „Plötzlich ertönte vom Himmel her ein Geräusch, wie eines herankommenden brausenden Sturmwindes;“ wozu Ambrosius sup. Luc. 1. (Abiit) erklärt: „Es kennt keine Zögerung die Gnade des heiligen Geistes.“ Also ist im Augenblicke die Rechtfertigung des Sünders.
b) Ich antworte, wie in ihrem Ursprünge bestehe die ganze Rechtfertigung in dem Eingießen der Gnade. Denn kraft deren vollzieht sich die freie Willensbewegung und wird die Schuld nachgelassen. Das Eingießen der Gnade aber vollzieht sich im Augenblicke ohne zeitliche Auseinanderfolge. Denn der Grund davon, daß die Form nicht im Augenblicke in eine Sache eingeprägt wird, kommt daher, daß diese Sache als tragendes Subjekt nicht hinreichend vorbereitet ist und daß die einwirkende Ursache Zeit bedarf dazu, damit sie das Subjekt hinreichend vorbereite. Ist deshalb der Stoff genügend durch die vorhergehende Änderung vorbereitet, so erlangt er ohne weiteres die substantiale Wesensform; wie aus diesem Grunde, weil nämlich das Durchscheinende an und für sich vorbereitet ist für die Aufnahme des Lichts, es im Augenblicke von seiten des thatsächlich leuchtenden Körpers erleuchtet wird. Gott nun verlangt für das Eingießen der Gnade, nach Kap. 112, Art. 3. keine andere Vorbereitung als die Er selbst macht; und Er stellt eine solche Vorbereitung manchmal im Augenblicke, manchmal nach und nach her. (Kap. 112, Art. 2 ad II.) Denn daß eine einwirkende Ursache im Bereiche der Natur nicht im Augenblicke den Stoff vorbereiten kann, rührt daher, daß im Stoffe etwas sich findet, was der Kraft der einwirkenden Ursache widersteht; und deshalb kommt der Stoff um so schneller in die richtige Verfassung, je stärker die einwirkende Ursache ist. Da also die göttliche Kraft unendlich ist, kann sie im Augenblicke welch auch immer geschaffenen Stoff und bei weitem mehr noch den freien Willen des Menschen vorbereiten, dessen Bewegung gemäß der Natur selber im Äugenblicke, eine urplötzliche, sein kann.
c) I. Die freie Willensbewegung, welche mitwirkt bei der Rechtfertigung des Sünders, ist die Zustimmung zum Abscheu vor der Sünde und zum Hinantreten zu Gott; und diese Zustimmung vollzieht sich im Augenblicke. Geht bisweilen ein Überlegen vorher, so ist dies nicht substantiell die Rechtfertigung, sondern der Weg zur selben; wie die Bewegung von Ort zu Ort der Weg ist für die Erleuchtung, und die Änderung im Dinge der Weg ist für die Erzeugung. II. Wir verstehen zugleich das Prädikat und Subjekt, insoweit sie verbunden sind in ein und derselben Bejahung. Da also der Abscheu vor der Sünde eins ist gewissermaßen mit der Liebe zu Gott, weil er zu dieser hinbezogen wird, so kann der freie Wille ganz wohl die Sünde verabscheuen und zugleich sich zu Gott wenden. III. Der Grund für die Plötzlichkeit der Rechtfertigung ist nicht von da herzuholen, daß das Subjekt in der Teilnahme daran ein Mehr oder Minder zuläßt; denn so würde auch die Luft nicht im Augenblicke erleuchtet sein bei der Gegenwart eines leuchtenden Körpers, weil sie ja darin ein Mehr oder Minder zuläßt. Vielmehr ist der Grund herzunehmen von der Vorbereitung im Subjekte her, wie oben gesagt. IV. Im selben Augenblicke, wo die betreffende Form vorhanden ist, beginnt das Ding, danach thätig zu sein; wie das Feuer im Augenblicke daß es erzeugt ist, in die Höhe steigt, und wenn seine Bewegung eine augenblicklich vollendete wäre, so würde sie im Augenblicke abgeschlossen sein. Die freie Willensbewegung nun ist aber keine solche, in welcher eine Zeitfolge herrscht, sondern eine im Augenblicke abgeschlossene. Also ist die Rechtfertigung des Sünders im Augenblicke vollzogen. V. Hier besteht ein Unterschied zwischen dem, was der Zeit unterliegt, und dem, was über der Zeit ist. Im Ersteren giebt es keinen letzten Augenblick, wo die frühere Form oder Eigenschaft innewohnt; da besteht eine letzte Zeit und ein erster Augenblick, wo die neue, folgende Form dem Stoffe oder dem Subjekte innewohnt. Der Grund davon ist, daß in der Zeit nicht der eine Augenblick dem anderen unmittelbar folgt, wie auch nicht die Punkte in der Linie sich unmittelbar folgen (vgl. 6 Physic.); vielmehr ist der Augenblick der Endpunkt, die Grenze der Zeit. Also in der ganzen Zeit, wo etwas sich hinbewegt zu einer neuen Form oder Eigenschaft, ist das betreffende Bewegliche unter der dieser neuen entgegengesetzten Form oder Eigenschaft; und im letzten Augenblicke dieser Zeit, was also der erste Augenblick der nachfolgenden Zeit ist, erhält es bereits jene neue Form oder Eigenschaft, welche die Grenze und der Abschluß der Bewegung ist. Was aber der Zeit nicht unterliegt, darin verhält sich die Sache anders. Wenn da eine Aufeinanderfolge ist in den Hinneigungen oder Auffassungen (wie bei den Engeln z. B.), so wird eine solche Aufeinanderfolge nicht durch die in sich zusammenhängende Zeit gemessen, sondern durch eine Zeit, welche aus untereinander nicht verbundenen Augenblicken besteht; wie ja auch in diesen Wesen selber kein in sich zusammenhängender Stoff ist. (I. Kap. 53, Art. 2 u. 3.) In solchen Wesen also ist ein letzter Augenblick, wo das Frühere ist; und ein erster, wo das Neue liegt. Es liegt da zwischen diesen Augenblicken keine vermittelnde Zeit; weil da überhaupt von einer zusammenhängenden Zeit nicht die Rede ist. Der menschliche Geist nun, um dessen Rechtfertigung es hier sich handelt, ist zwar an und für sich über der Zeit. Auf Grund der Verbindung mit dem Körper aber, die nicht zu seinem inneren Wesen als vernünftiger Geist gehört, sondern außerhalb desselben ist, wenn sie auch zum Wesen des Menschen als Menschen gehört und somit das menschliche Handeln bedingt; auf Grund seiner Verbindung mit dem Körper also, wegen deren im thatsächlichen Erkennen er an die Phantasiebilder und somit an das in sich stofflich Zusammenhängende und demgemäß an die Zeit gebunden ist, unterliegt er der Zeit; und muß man somit über ihn urteilen nach Lage der Dinge im Bereiche des Körperlichen: Es giebt keinen letzten Augenblick, wo die Schuld innewohnte, sondern eine letzte Zeit; es giebt aber einen ersten Augenblick, wo die Gnade innewohnt; die ganze Zeit vorher war die Schuld da.