Dritter Artikel. Das Martyrium ist eine Thätigkeit, die der höchsten Vollkommenheit angehört.
a) Dies wird bestritten. Denn: I. Zur höheren Vollendung gehört nur, was geraten, nicht was geboten ist. Das Martyrium aber ist geboten, nach Röm. 10.: „Im Herzen wird geglaubt, um der Gerechtigkeit genugzuthun; mit dem Munde aber vollzieht sich das Bekenntnis, welches Heil bringt;“ und 1. Joh. 3.: „Wir müssen für die Brüder das Leben einsetzen.“ Also ist das Martyrium nicht ein Akt höchster Vollkommenheit. II. Eine höhere Vollkommenheit scheint es zu sein, daß jemand seine Seele giebt, was durch den Gehorsam geschieht; wie daß er seinen Körper dahingiebt, was im Martyrium geschieht. Danach sagt Gregor (ult. moral. 10.): „Der Gehorsam ist vorzuziehen allen Opfergaben.“ III. Besser ist es, anderen zu nützen, als das eigene Gute zu hüten; denn „das Beste des Gemeinwesens steht höher wie das Privatbeste.“ (1 Ethic. 2.) Der Märtyrer aber nützt allein sich selbst; wogegen wer lehrt oder leitet auch den anderen nützlich ist. Also zu leiten untergebene und zu lehren ist besser wie das Martyrium. Auf der anderen Seite zieht Augustin das Martyrtum der Jungfräulichkeit vor, welche der Vollkommenheit angehört. Also ist das Martyrium ein Akt höchster Vollkommenheit.
b) Ich antworte; wird das Martyrium nur im Verhältnisse zur Tugend der Stärke betrachtet, von der es als dem nächsten Zustande direkt ausgeht, so kann es unmöglich sein, daß es der vollkommenste unter den Tugendakten ist. Denn den Tod gebührenderweise ertragen ist an und für sich nicht lobenswert; sondern nur insoweit es in Beziehung steht zu einem Gute, was in einer Tugendthätigkeit besteht, wie zum Glauben, zur Liebe Gottes; wo dann diese letztere Tugendthätigkeit, weil als Zweck dastehend, besser ist. Es kann jedoch das Martyrium auch betrachtet werden mit Beziehung auf den ersten Beweggrund dazu, nämlich die Zuneigung der heiligen Liebe; und von dieser Seite her hat vorzugsweise ein Akt es, daß er dem vollkommenen Leben angehört, weil, wie der Apostel sagt: „die Liebe das Band der Vollkommenheit ist.“ Das Martyrium aber offenbart unter allen Tugendakten am meisten die heilige Liebe; denn um so mehr beweist jemand seine Liebe zu einer Sache, je höhere Güter er für dieselbe verachtet. Da nun das Leben unter allen Gütern dieses Lebens das größte ist und danach der Mensch am meisten den Tod fürchtet, zumal wenn derselbe mit körperlichen Qualen verbunden ist, „deren Furcht ja auch die wilden Tiere von höchsten Ergötzlichkeiten abzieht“ (Aug.); so ist das Martyrium als Zeichen der größten Liebe unter den menschlichen Tugendwerken der „Art“ nach das vollkommenste; wie der Heiland bestätigt (Joh. 15.): „Eine größere Liebe hat niemand, als wer sein Leben giebt für seine Freunde.“
c) I. Kein Tugendwerk giebt es, was Gegenstand des Rates ist, das da nicht bisweilen Gegenstand des Gebotes wird, insofern es dann Heile notwendig ist; wie z. B. Augustin (de adulter. nuptiis 13.) sagt, daß mancher in die Notwendigkeit versetzt wird, enthaltsam zu sein; wenn nämlich die Frau abwesend oder krank ist. Dies ist also nicht gegen die Vollkommenheit des Martyriums, daß es in einzelnen Fällen zum Heile notwendig ist. Man kann jedoch auch so das Martyrium ertragen, daß es nicht zum Heile notwendig ist; wie mancher sich aus Eifer für den Glauben und aus brüderlicher Liebe dem Martertode aus freien Stücken dargeboten hat. Jene erwähnten Gebote muß man verstehen als sich richtend auf die Bereitwilligkeit des Geistes. II. Das Martyrium umfaßt den höchsten Grad des Gehorsams, wie Phil. 2. gelesen wird: „Christus ist gehorsam geworden bis zum Tode.“ Also ist es vollkommener wie der schlechthin so genannte Gehorsam. III. Wie die Stärke nicht die größte Tugend ist; so ist auch das Martyrium, auf die Stärke allein bezogen, nicht das größte Tugendwerk.