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Works Thomas Aquinas (1225-1274) Summe der Theologie
Tertia Pars
Quaestio 11

Erster Artikel. Gemäß dem eingegossenen wissen weiß Christus Alles.

a) Dem wird gegenübergestellt: I. Dieses Wissen soll dazu dienen, daß dasselbe die „mögliche“
Vernunft vollende, welche die Aufgabe hat, nachdem sie von den Ideen
bethätigt worden, zu erkennen. Die „mögliche“ Vernunft aber in uns ist
nicht im Vermögen, Alles schlechthin zu erkennen, sondern nur, das, wozu
sie von der „einwirkenden“ Vernunft aus bethätigt wird; nämlich nur das,
was der natürlichen Vernunft entspricht. Also weiter hinaus erkennt auch
Christus kraft des hier genannten Wissens nicht. II. Die Phantasiebilder verhalten sich zur menschlichen Vernunft, wie
die Farben zur Sehkraft. Der Vollendung der Sehkraft aber kommt es
nicht zu, daß sie gänzlich Farbloses sehe. Also gehört es nicht zur Vollendung der menschlichen Vernunft, das zu erkennen, wovon es keine Phantasiebilder giebt; wie z. B. dies für die Engelsubstanzen der Fall ist.
Also hat, da das eingegossene Wissen in Christo nur zur Vollendung der
Vernunft diente, Christus nicht kraft dieses Wissens die Engelsubstanzen
gekannt. III. Zur Vollendung der Vernunft gehört es nicht, die Einzeldinge als solche zu erkennen. Also hat Christus mit diesem Wissen nichts Einzelnes erkannt. Auf der anderen Seite heißt es Isai. II.: „Es wird Ihn anfüllen: die „Weisheit“, also die Kenntnis der göttlichen Dinge; das „Verständnis“, also die Kenntnis der stofflosen Wesen; die „Wissenschaft“, also die Kenntnis aller Schlußfolgerungen; der „Rat“, also die Kenntnis alles dessen, was man thun soll. Dies ist aber ebensoviel wie Alles. Also erkannte die Seele Christi gemäß der ihr eingegossenen Kenntnis Alles.

b) Ich antworte, es sei zukömmlich gewesen, daß Alles, was an Vermögen in Christo sich findet, in vollendeter Weise bethätigt würde. Nun ist in der menschlichen Seele wie in jeder Kreatur ein Vermögen mit Rücksicht auf die natürlichen wirkenden Ursachen und mit Rücksicht auf die erstwirkende Ursache, welch letzteres genannt wird das Vermögen des Gehorsams, potentia obedientialis. Das beiderseitige Vermögen nun war in Christo thatsächlich vollendet gemäß der von Gott eingegossenen Wissenschaft. Darum erkannte also Christus zuvörderst Alles, was der Mensch wissen kann vermöge des natürlichen Lichts der einwirkenden Ursache; also alle menschlichen Wissenschaften. Sodann erkannte Er Alles, was dem Menschen durch göttliche Offenbarung bekannt wird; sei dies zur Gabe der Weisheit oder der Prophetie oder zu anderen Gaben des heiligen Geistes gehörig. Dies Alles erkannte Christus vollendeter wie jede andere Kreatur. Das göttliche Wesen aber hat Er mit diesem Wissen nicht gekannt.

c) I. Dieser Einwurf geht aus von der natürlichen einwirkenden Ursache, nämlich der einwirkenden Vernunft vermittelst der Phantasiebilder. II. In diesem Leben ist die Seele an den Körper gebunden und
kann somit nicht ohne Phantasiebilder, also nicht die reinen Vernunftsubstanzen verstehen. Nach diesem Leben wird die vom Leibe getrennte
Seele auch in etwa diese Substanzen verstehen; und zumal wird dies der
Fall sein bei den seligen. Christus aber war zugleich Erdenpilger und hatte
teil an der seligen Anschauung. Also konnte Er in der Weise der vom
Leibe getrennten Seele (I. Kap. 89, Art. 2.) die Engelsubstanzen verstehen. III. Die Kenntnis der Einzeldinge gehört allerdings nicht zur rein
betrachtenden (spekulativen) Vernunft; wohl aber zu der auf das Thätigsein
gerichteten sogenannten praktischen, denn das Thätigsein vollzieht sich eben
inmitten von Einzelbedingungen wie Zeit, Ort etc. Deshalb gehört nach
Cicero (2. de lnv.) zur Klugheit das Gedächtnis an das Vergangene, die
Beobachtung des Gegenwärtigen, die Voraussicht des Zukünftigen. Weil
also Christus als angefüllt mit der Gabe des Rates die höchste Klugheit
besaß, so kannte Er alle Einzelheiten der Vergangenheit und der Zukunft.

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