12.
Eine andere, keineswegs geringe Pein war für mich das hören von Predigten. Ich hörte die Predigten so außerordentlich gern an, daß ich, wenn einer geistreich und gut predigte, unwillkürlich und ohne zu wissen, wie dies zuging, eine besondere Liebe zu ihm gewann. Und wenn auch ein Prediger, wie andere Zuhörer sagten, nicht gut predigte, so kam mir doch fast nie eine Predigt so schlecht vor, daß ich sie nicht gern hörte. War aber eine Predigt gut, dann machte sie mir eine ganz besondere Freude; dieses Gute hatte ich an mir, daß ich, seitdem ich das innerliche Gebet zu üben begonnen hatte, fast nie satt wurde, von Gott zu reden oder reden zu hören. Einerseits nun empfand ich in den Predigten großen Trost, anderseits verursachten sie mir große Pein; denn da erkannte ich, daß ich bei weitem nicht so war, wie ich hätte sein sollen. Ich bat darum den Herrn mir zu helfen; indessen mußte es, wie mir jetzt scheint, daran gefehlt haben, daß ich mein Vertrauen nicht gänzlich auf Seine Majestät setzte und das Vertrauen auf mich noch nicht völlig aufgegeben hatte. Ich suchte Heilung und wendete Mittel dazu an; aber ich mußte nicht erkannt haben, daß alles wenig nütze, wenn wir nicht das Vertrauen auf uns selbst ganz aufgeben und es auf Gott allein setzen. Ich verlangte nach Leben; denn ich sah wohl ein, daß ich nicht lebte, sondern mit einer Art Todesschatten rang, aber ich fand niemand, der mir das Leben gegeben hätte, und ich selbst konnte es mir nicht geben; er aber, der es geben konnte, hatte Ursache, mir nicht zu helfen, weil er mich so oft schon zu sich zurückgeführt, ich aber ihn jedesmal wieder verlassen hatte.