Vorwort des Herausgebers
Als Abschluß der Gesamtausgabe der Werke der heiligen Theresia erscheint nunmehr »Der Weg der Vollkommen-heit« in Verbindung mit einigen kleineren Schriften. Wie schon in der Einführung in die Schriften dieses Bandes ge-sagt wird, ist »Der Weg der Vollkommenheit« eine aszeti-sche Schrift, wenn die Heilige auch, besonders in der Erklä-rung des Vaterunsers, das ganze mystische Gebetsleben einfließen läßt, vom Gebet der Sammlung an bis zum Ge-bet der Vereinigung. Der apostolische Eifer, der die feurige Seele dieser großen Spanierin auf den Kampfplatz stellte, rief sie nicht nur zur Reform der im Laufe der Jahrhunderte etwas erschlafften Ordensdisziplin, er gab ihr auch die Fe-der in die Hand, um ihren zu einer neuen Gemeinschaft ge-einten Töchtern die Wege zu weisen zu den Höhen der klösterlichen Vollkommenheit. Herangereift durch ausdau-ernden Kampf mit sich selbst, emporgestiegen zur erhabe-nen Tugendhöhe, erprobt in der Ertragung so vieler widri-ger Lebenserfahrungen und vertraut mit den mannigfachs-ten Äußerungen menschlicher Armseligkeit und Schwäche, vermochte sie mit kluger Umsicht alle ihr entgegentreten-den Lebensverhältnisse zu meistern und ihren Töchtern den ganzen Werdegang ihres seelischen Aufstieges zu Gott klar und vertrauensvoll nahezubringen.
Auch die »Satzungen«, die sie kraft apostolischer Voll-macht verfaßte, sowie das »Visitationsverfahren« in den Klöstern atmen den Geist kluger Maßhaltung und abge-klärter Ruhe, so daß sie mit Recht als die von Gott erleuch-tete Gesetzgeberin für das erste Klösterlein St. Joseph in Ávila und aller nachfolgenden Gründungen angesprochen werden kann.
Die »Gedichte und Lieder« der Heiligen, die auch in diesen Band aufgenommen wurden, suchte ich nach bestem Wis-sen und Können sinngemäß zu übertragen. Ich war mir meiner Ohnmacht, dieses Geistesgut der Heiligen so wie-dergeben zu können, wie es aus ihrer gottliebenden Seele hervortrat, voll und ganz bewußt; ich stand vor einer Auf-gabe, die nur relativ gelöst werden konnte. Zu meinem Troste schrieb mir Herr Professor Dr. Lambert Kunle, dem ich als meinem lieben Mitarbeiter bei der Korrektur der Druckbogen den Text der Übertragung der Gedichte der Heiligen vorlegte, folgende Worte: »Ich gehe mit Ihnen da-rin einig, daß es eine Übersetzung von Gedichten eigentlich nicht gibt. Das Verstandesgut eines Menschen läßt sich nachleben. Mathematische Lehrsätze lassen sich in alle Sprachen übertragen. Nicht so Gemütswerte. Sie sind ein-malig, in jedem Menschen verschieden und unübertragbar. Was sich in der Glut der Andacht nach oben drängt, ist einmalig und eigentlich auch für den Beter selbst nicht ein zweites Mal erfaßbar. Gibt es eine wirklichkeitstreue Über-tragung der homerischen Gedichte? Keine einzige. Von Dantes Werken? Nirgends. Eine Übersetzung theresiani-scher Gedichte? Auch nicht. Reinhold Schneider in seinem Buch ›Philipp II.‹ verfügt über eine wundervolle und hin-reißende Sprache und Sprachenformung. Auf Seite 161 zi-tiert er Theresias Gedicht: En las internas entrañas sentí un golpe repentino vollständig, läßt es aber unübersetzt. Wa-rum wohl? Er hat die Unübersetzbarkeit herausgefühlt und war bescheiden genug, dies einzugestehen.« Dasselbe Ge-fühl beschlich auch mich, als ich die Gedichte der Heiligen übertrug; trotzdem übergebe ich sie der Öffentlichkeit, wenn sie auch ungleich ausgefallen sind und man dem Übersetzer das innere Ringen anmerkt. In bezug auf die metrische Wiedergabe der Gedichte haben mir die beiden Armen Schulschwestern M. Roselina Jungkunst von Neu-markt und M. Gundolfa Weiß von Regensburg wertvolle Dienste geleistet, deren ich hier in Dankbarkeit gedenke.
Neumarkt (Oberpfalz),
Maria Hilfsberg, am Feste Maria Himmelfahrt 1940
P. Aloysius Alko-fer