5.
Es verleitet mich zum Vergleiche mit dem vorliegenden Gegenstand auch das Leben der kriechenden Thiere. Denn es erstarrt auch bei ihnen zur Zeit des Winters die belebende Kraft, und sie liegen eine Zeit von sechs Monaten in ihren Höhlen ganz unbeweglich. Wenn aber die festgesetzte Zeit gekommen ist, und der Donner in der Welt erdröhnt, so vernehmen sie das Getöse wie ein Zeichen des Bebens und springen rasch auf, und nach langer Zeit befassen sie sich wieder mir der gewohnten Arbeit. Wozu sage ich dieß? Es sage mir, wer die Thaten Gottes prüft und erkennt, und belehre mich, wie er zugibt, daß durch den Donner die Schlangen aus der todten Erstarrung erwachen, und nicht annimmt, daß die Menschen belebt werden, wenn die Trompete Gottes vom Himmel ertönt, wie das Wort Gottes sagt: „Denn er wird die Posaune ertönen lassen, und die Todten werden auferstehen“,1 und anderswo wieder S. 361 deutlicher: „Und er wird seine Engel aussenden mit der großen Stimme der Posaune, und seine Auserwählten sammeln.“2
Wollen wir also an die Veränderungen und Erneuerungen glauben! Denn das Leben der Gewächse und verschiedenen Thiere und selbst der Menschen belehrt uns, daß Nichts von Dem, was der Verwesung und Geburt unterworfen ist, im gleichen Zustand bleibt, sondern dem Wechsel und der Veränderung unterliegt. Und zuerst wollen wir, wenn es beliebt, den Wechsel in unsern Lebensaltern betrachten. Wir nehmen wahr, wie es sich mit dem Säugling verhält. Ist eine kurze Zeit verstrichen, so bekommt er die Kraft zum Kriechen und unterscheidet sich in Nichts von den jungen Hunden, indem er sich auf vier Füße stützt. Im dritten Jahre erhebt er sich aufrecht und stößt einen lallenden, stammelnden Laut aus; hierauf bringt er es zu articulirten Lauten und entwickelt sich zu einem anmuthigen Knaben. Von diesem Alter rückt er vor zum mannbaren Jüngling wo der Milchbart die Wange umschattet, bald mit dichtem Barte bewachsen und bald so bald anders, dann ein reifer Mann, rauh und abgehärtet. Wenn aber vier Jahrzehnte vorüber gegangen sind, beginnt die Umkehr und bleicht das Haupt, und die Kraft neigt sich zur Schwäche, und es erscheint zuletzt das Greisenalter, das völlige Schwinden der Kraft. Es neigt sich aber der Leib und krümmt sich zur Erde wie die zu sehr gedörrten Ähren, und an der glatten Haut bilden sich Runzeln, und es wird wieder zum Kinde, der einst als Jüngling sich hervorthat, und stammelt, benimmt sich kindisch und kriecht in gleicher Weise wie früher auf Händen und Füßen. Für was hältst du Dieß alles? Nicht für eine Veränderung, nicht für vielfältige Umwälzung, nicht für abwechselnde Umgestaltungen, die auch vor dem Tode das sterbliche Geschöpf umwandeln? S. 362 Wie sollten ferner unser Schlaf und unser Wachen für die Weisen nicht eine Aufklärung über den Gegenstand der Untersuchung sein? Denn jener ist ein Bild des Todes, dieses aber eine Nachahmung der Auferstehung. Deßhalb nannten auch einige ausser dem Christenthum stehende Weise den Schlaf einen Bruder des Todes wegen der Ähnlichkeit der im Gefolge beider befindlichen Zustände. Denn Vergessen und Unkenntniß des Vergangenen und Zukünftigen herrscht auf beiden Seiten und der Körper liegt ohne Empfindung da, ohne einen Freund zu erkennen oder einen Feind wahrzunehmen, oder die um ihn herumstehen und ihn beobachten, zu sehen, kraftlos, todt und jeder Thätigkeit ermangelnd, in Nichts unterschieden von Denen, die in Gräbern und Särgen liegen. So kannst du auch, wenn du willst, den Schlafenden wie einen Todten plündern, das Haus ausleeren, ihm Fesseln anlegen, ohne daß er von Dem, was vorgeht, Etwas empfindet. Etwas später, wenn ein Nachlassen und eine Erleichterung des Zustandes eintritt, erhebt sich der Mensch wie neu belebt, indem er allmählig zum Bewußtsein seiner selbst und Dessen kommt, was um ihn vorgeht, und langsam wieder seine Thätigkeit beginnt und gleichsam durch das Erwachen wieder belebt wird. Wenn aber, da das Geschöpf noch besteht und lebt, bei Tag und Nacht so viele Abwesenheiten des Geistes, Veränderungen, Umwandlungen, Vergeßlichkeiten und Erinnerungen im Leben vorkommen, so verräth es Unverstand und Widerspruchsgeist in hohem Grade, Gott nicht zu glauben, wenn er die letzte Erneuerung vorherverkündet, da er doch die erste Bildung zu Stande gebracht hat.