Einleitung
S. 7 Am Ende der Einleitung zur III. Abtheilung des I. Bandes meiner Auswahl aus Ephräm habe ich versprochen, zunächst ascetische Abhandlungen zusammenzustellen. Später ist mir jedoch die Besorgniß in den Sinn gekommen, es möchte die geneigten Leser ermüden, wenn ihnen immer so ernste und strenge Lektüre geboten würde. Es schien mir daher gerathener, zur Abwechslung Gesänge von entschiedenem Interesse und Werthe in prosaischer Uebersetzung als erste Abtheilung des II. Bands zu liefern, und zwar zuerst einige mir lesenswerth scheinende Gesänge über die Geburt Christi. Im Original sind deren 19, im II. syr.-latein. Bande von S. 396 an bis S. 436. Es sind sogenannte Madrosche (oder, wie Einige sprechen, Madrasche), Gesänge in verschiedenen Versmaßen, aber doch so, daß im ganzen Gesange das gleiche Versmaß beibehalten wird. Mitunter, z. B. im ersten hier mitgeteilten, findet sich freilich Einförmigkeit der Wendungen; immerhin werden jedoch die durch die Menschwerdung und Geburt des Heilands zu Theil gewordenen Gnaden und Wohlthaten auf anschauliche würdige Weise, besonders durch treffende Gegensätze, dargestellt. In manchen dieser Gesänge finden sich idyllische S. 8 Scenen voll Anmuth und Lieblichkeit, für fromme Seelen und sinnige Gemüther gewiß ansprechend. Der kleine Gesang S. VIII. „Jesu, das Licht der Welt" findet sich im II. syrisch-lateinischen Theile der Röm. Ausgabe S. 330 unter den exegetischen Reden über einzelne Bibeltexte.
Der syr. Text der Lobrede unter Nro. IX. ist abgedruckt im III. syr. Theile der nämlichen Ausgabe von S. 604 an.
Über die darauf folgenden Oden gegen die Grübler erlaube ich mir voraus zu bemerken, was ich in der Vorrede zum V. Bande meiner in den 30er Jahren in Innsbruck erschienenen Übersetzung darüber geschrieben: „Wer hier schön gereimte geistliche Lieder, nach dem modernen Geschmacke süßlicher Empfindelei zugeschnitten, anzutreffen vermeint, wird gebeten, diese Oden gar nicht in die Hand zu nehmen; denn poetische Schönheit, am wenigsten die der Form, ist nicht ihr Werth und Schmuck. Wohl zeichnen sich einige durch wahren Hymnenflug, andere durch Kraft der Gedanken und des Ausdruckes, wieder andere durch lebendige Andacht und glühendes Gefühl aus; man stößt auf starke feurig hingeworfene Züge, fortreissende, feierliche, tief ergreifende Stellen: aber, wie gesagt, wer an tändelnde Poesie und schönen Klingklang gewöhnt ist, findet in diesen, größten Theils der Form des Originals nachgebildeten,1 in S. 9 Hinsicht der Versifikation aber nicht selten vernachlässigten Gesängen nichts ihn Ansprechendes; und wer sie bloß von Seite der poetischen Kunst betrachtet, wird durch die meisten nicht befriediget, weil er zu oft auf matte prosaische Stellen trifft.
Aber ein Vorzug ist es, der sie jedem christlichen Leser, welcher die Schale über dem Kern vergißt, theuer und angenehm machen muß, wenn er anders Liebe für sein kostbares Kleinod, den wahren Glauben, in sich trägt; ein Vorzug ist es, welcher ihre Erscheinung in unsern Zeiten als höchst wichtig und nützlich darstellt: es ist die unüberwindliche Stärke, die Festigkeit des Glaubens, womit der heilige Vater die Frechheit jeder anmaßenden Philosophie bekriegt und die Lästerungen des Unglaubens in ihrer Blöße und Verworfenheit zur Schau stellt.
Viele Gelehrte unserer Tage, besonders von andern Confessionen, legen ihren Unglauben an die Gottheit Jesu und die andern Mysterien des Christenthums offen an den Tag, erdrückt vom Gewichte der Majestät, die sie erforschen wollten; da finden nun sie, wenn sie lesen und denken wollen, die Thorheit sowohl als die Inconsequenz und Verwegenheit der Grübelei über das Unbegreifliche, weil Unendliche, unwiderlegbar dargestellt, den Glauben an die Mysterien aber sowohl durch Vernunft als Offenbarung bestätiget. Die etwa in Gefahr sind, jenen blinden Führern zu folgen, werden hier Licht des Himmels finden, das ihnen die Gottheit Jesu und das Geheimniß der Dreieinigkeit, diese zwei Säulen der christlichen Lehre, im Glanze der höchsten ewig geltenden Wahrheit zeigt.
S. 10 Der heilige Vater erklärt sich selbst am deutlichsten über den Zweck dieser Gesänge gleich im ersten, den er mit den Worten anfängt: „Anstatt der (Glaubens-) Norm, die Alle zum Heile führt und uns von dem Lehrer Aller aufgestellt ward, hat dieses unser verwegenes Zeitalter einen neuen Glauben ersonnen; der Allwissende aber weiß, was sie (die Grübler oder Forscher) in Bewegung gesetzt. Ist Ruhmsucht der Grund ihrer Unruhen, so halte unser Herr diesen Stolz zurück“ u. s. w.
Diesen aus frechem Stolz entstandenen Glaubensneuerungen entgegen zu arbeiten, war demnach die Absicht des heiligen Dichters dieser Oden, oder wie man sie nennen will, da ihrem Namen in der Ursprache kein deutsches Wort ganz entspricht. Er erreichte bei seinen Landsleuten und Zeitgenossen diese Absicht vollkommen; möchte auch über die Uebersetzung der Segen Gottes wenigstens in einigem Maße kommen, daß ihr Zweck nicht völlig unerreicht bleibt.
Ich wollte auch aus den noch syrisch erhaltenen Gesängen Ephräms über das Paradies Eden, abgedruckt im III. B. der Römerausgabe, Proben liefern, glaubte aber davon abstehen zu sollen, weil mir kein ganzer für die Leser passend schien. Nur Bruchstücke oder einzelne schöne Stellen zu geben ist dem Plane und Zwecke dieser Bibliothek entgegen. Ferner sind sie nicht selten unklar und verworren, so daß es oft schwer zu verstehen ist, ob er vom ehmaligen irdischen Paradiese oder vom Himmel spricht. Wer Proben davon lesen will, findet mehrere im Bande IV meiner ersten bei Wagner in Innsbruck erschienenen Auswahl.
Schließlich mögen die geneigten Leser mir es nicht verübeln, wenn ich noch das Urtheil eines weiland vielgenannten, mit Unrecht zu sehr vergessenen edlen Schriftstellers über die Gesänge gegen die Grübler anführe. Der bekannte Redemptorist Anton Passy spricht in seiner gekrönten Preisnovelle „Zeitspiegel„, Wien 1835, S. 249 sich folgendermaßen darüber aus: “Hätte ich (sagt ein Vertheidiger des S. 11 Glaubens darin) des h. Ephräm drohende Gesänge gegen die Grübler über die göttlichen Geheimnisse, bei der Hand, die der Benediktiner Zingerle aus dem Syrischen übersetzt hat, so würde ich sie ihm sogleich zusenden. Sie würden darin das Zeitgemäße mit dem allgemeinen Nützlichen im Verein gewiß bewundern."
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Das Metrum überall anzugeben wäre bei weitem für den größten Theil der Leser unnütz gewesen. Nur bemerk' ich, daß manchmal, wie bei der neunzehnten und zwanzigsten Ode dieser Sammlung, ein oder zwei Verse als Doxologie angehängt sind bei der ersten Strophe. Der Meinung des Herrn August Hahn (Chrestomathia Syrica), daß dann diese Lobpreisung bei jeder Strophe wiederholt worden sei, kann ich deßwegen so ganz nicht beistimmen, weil oft diese Doxologie dem Inhalte der ersten Strophe so genau angepaßt ist, daß sie für die folgenden nicht paßt. Bei manchen Gesängen, wie bei dem siebzehnten, haben mehrere Strophen, bei manchen, wie beim achtzehnten, alle eine Doxologie oder ein, zwei Verse als Wunsch, Bitte, Dank angehängt. Diese wurden dann, nach Hahn's sehr wahrscheinlicher Meinung, von einem Chore oder vom Volke gesungen. Ich habe übrigens viel Fleiß darauf verwendet, das Metrum richtig aufzufassen, was bei manchen Oden sehr schwierig war. ↩