Über den Psalm 91.
S. 218„Es ist gut, dem Herrn zu bekennen und Deinen Namen, o Allerhöchster, zu preisen.“ Warum steht nicht zuerst: „Es ist gut zu preisen“ und an zweiter Stelle „zu bekennen“? Weil das die bei einer richtigen Beichte einzuhaltende Ordnung ist. Darum sagt der Psalmist: „Es ist gut für den Menschen, zuerst Buße zu tun und seine Sünden dem Herrn zu bekennen. Wenn er die Sünde bekannt hat, dann möge er lobsingen; denn nach gewirkter Buße kann er mit freier Stimme ohne Schuldbewußtsein in Gottes Lob ausbrechen“.
„Zu verkünden in der Frühe Dein Erbarmen und Deine Treue während der Nacht.“ Warum wird das Erbarmen in der Frühe und die Treue während der S. 219Nacht besungen? Befleißet euch der Aufmerksamkeit da die folgenden Ausführungen dunkel sind! Zuerst hören wir, es sei gut, dem Herrn zu bekennen. Auf das Bekenntnis folgt dann der Lobpreis. Wer nach erfolgter Buße sich würdig macht, Gott zu preisen, wird auch anfangen, den Gegenstand seines Lobpreises zu verkünden. Was bedeuten aber die Worte: „Am Morgen werde sein Erbarmen verkündigt und in der Nacht seine Treue besungen“? Wo immer Gottes Barmherzigkeit fühlbar ist, da herrscht Licht, da dämmert Morgenfrühe, da ist die Stunde des Sonnenaufganges, zu welcher die blinde Finsternis der Nacht sich zerstreut. „Und Deine Treue während der Nacht.“ Wo Treue ist, da ist Gerechtigkeit; wo Gerechtigkeit herrscht, da gibt es Richtersprüche. Wo diese gefällt werden, da hat die Barmherzigkeit keine Stelle. Wo aber die Barmherzigkeit ausgeschlossen ist, da droht den Sündern Gefahr, da ist nicht Tag, wie der Prophet sich ausdrückt, wenn er spricht: „Wehe euch, die ihr den Tag des Herrn begehrt! Es ist Finsternis, aber nicht Licht“1 . An diesem Tage wird entsprechend dem Verdienste eines jeden eine Prüfung vorgenommen. Und in einem anderen Verse verkündet deshalb ein Prophet, daß auch für ihn dieser Tag zu fürchten sei: „Groß und überaus schrecklich ist der Tag des Herrn. Wer wird ihn überstehen?“2
„Auf zehnsaitigem Psalterium mit Gesang und Zitherspiel. Denn Du erfreust mich, o Herr, durch Deine Schöpfung, und wegen der Werke Deiner Hände frohlocke ich.“ So kann nur der weise Mann sprechen, der erkennt, daß alles nach Gottes Plan erschaffen worden ist, der kein Ärgernis nimmt an dem Schöpfer der Kreaturen, der den Grund der Einzeldinge begreift, den Schöpfer preist und spricht: „Du erfreust mich, o Herr, durch Deine Schöpfung, und wegen der Werke Deiner Hände frohlocke ich“. Höret zu, ihr S. 220Manichäer, höret zu Marcion, Valentinus3 und ihr anderen Häretiker, die ihr es wagt, den Schöpfer zu schmähen! Sehet, wie der Prophet sich über das freut, woran ihr Ärgernis nehmt, wie er frohlockt über des Schöpfers Werke! Er weiß, daß alles, was sich als böse offenbart, nicht von Natur aus so ist, sondern aus dem Willen seinen Ursprung nimmt.
„Wie erhaben sind Deine Werke, o Herr, wie tief empfunden Deine Gedanken.“ Darum schreibt auch der Apostel: „O Tiefe des Reichtums, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes“4 . Weil Deine Gedanken so tief empfunden sind, weil Gottes Werke von keinem menschlichen Sinnen und Denken erfaßt werden können, lesen wir an einer anderen Schriftstelle: „Alle Deine Werke sind zu erkennen durch den Glauben“5 . Es wird also die Erkenntnis der Werke durch den Glauben betont. Wenn nun schon unsere Erkenntnis der Geschöpfe mehr auf dem Glauben als auf der Vernunft beruht, wieviel mehr gilt dies vom Schöpfer und Begründer aller Dinge! Wenn es also heißt: „Alle Deine Werke sind zu begreifen durch den Glauben“, dann gilt dies auch von mir, der ich jetzt zu euch spreche. Sonst wäre ich ja kein Teil seiner Werke. Also auch ich bin Gegenstand des Glaubens, aber nicht des vernünftigen Erkennens. Ich kann den Grund für die Bewegung der Füße und den Klang der Stimme nicht erkennen. Ich weiß nicht, warum das Gedächtnis planmäßig arbeitet und der Wille befiehlt, warum der Körper dem Willen dienstbar und die unsterbliche Seele mit einem sterblichen Leibe vereinigt ist, warum meine Seele nach allen Richtungen hin sich bewegt und doch von der so weiten Welt nicht begrenzt werden kann, obwohl sie durch den Körper gefangen gehalten wird.
Warum bemerke ich wohl all dieses? Ich habe nämlich gehört, daß unter den Brüdern ein Streit, oder besser gesagt, eine Erörterung stattgefunden hat. Ich sage eine Erörterung, kein Streit; denn wo Streit S. 221herrscht, da ist Sünde. Wo aber eine Erörterung stattfindet, da liegt eine fromme Sehnsucht nach Wissen vor. Keiner suchte zu beweisen, was er nicht wissen konnte, sondern man wandte sich bei der eigenen Unkenntnis an meine Kenntnis. Man wollte nicht Belehrung erteilen über Dinge, die man selbst nicht wußte, sondern man wollte lernen, was unbekannt war. Diese Streitfrage ist nicht unähnlich jener, welche über die Barmherzigkeit Gottes aufgeworfen wurde. Bei Isaias steht mit Bezug auf den Herrn und Erlöser geschrieben: „Wer kann seine Abstammung angeben?“6 Sobald es heißt „wer“, ist jedes Geschöpf ausgeschlossen. Der Prophet hat nicht gesagt: „Wer von den Menschen kann seine Abstammung angeben?“, sondern er schreibt ganz allgemein „wer?“. Das will heißen: „Kein Engel, kein Erzengel, kein Cherubim, kein Seraphim“. Wenn also selbst den himmlischen Geschöpfen das, worum es sich hier handelt, von Gott verborgen gehalten wurde, darf es uns dann wundernehmen, wenn es uns, den aus Staub Gebildeten, unbekannt vorkommt? Es ist mir mitgeteilt worden, Brüder, daß einige Brüder unter sich gelegentlich einer Erörterung die Frage aufgeworfen haben, wie der Vater und der Sohn und der Heilige Geist sowohl drei als auch eins seien7 . Ihr seht aus der Fragestellung, wie gefährlich eine solche Erörterung ist. Ein aus Lehm gebildetes Gefäß läßt sich in Erwägungen über den Schöpfer ein und kann nicht einmal zur Ergründung seiner eigenen Natur gelangen. Voller Neugier sucht es über das Geheimnis der Dreifaltigkeit zu wissen, was selbst die Engel des Himmels nicht zu ergründen vermögen. Denn was sprechen die Engel? „Wer ist jener König der Herrlichkeit? Der S. 222Herr der Heerscharen ist der König der Herrlichkeit.“8 Ähnlich schreibt Isaias: „Wer ist jener, der heraufsteigt von Edom, angetan mit weißen Kleidern?“9 Wir sehen, daß sie zwar Gottes Schönheit preisen, daß sie sich aber nicht auslassen über seine Wesenheit. Darum wollen auch wir uns einfachhin bescheiden. Wenn du die göttliche Natur ergründen willst, wenn du zu wissen wünschest, was Gott sei, dann merke, daß du es nicht weißt. Darüber brauchst du dich jedoch nicht zu betrüben; denn selbst die Engel wissen es nicht, und auch kein anderes Geschöpf weiß es. Doch bin ich auf den Einwand gefaßt: „Warum glaube ich denn, was ich nicht begreife?“ Ja, warum bin ich denn ein Christ, da ich doch nicht weiß, wie ich ein Christ geworden bin? Ich will ganz einfach sprechen, ehe ich die Heilige Schrift anführe. Mein Christ, warum kommst du dir so unwissend vor? Wenn du weißt, daß du nichts weißt, wirst du dir dann im Gegenteil nicht vorkommen als einer, der ein größeres Wissen sein eigen nennt? Der Heide sieht einen Stein und hält ihn für Gott, der Philosoph betrachtet das Firmament und nimmt in ihm seinen Gott wahr. Andere erblicken die Sonne, und sie scheint ihnen Gott zu sein. Du aber bedenke, wie weit du diese Leute an Wissen überragst, wenn du sagst: „Ein Stein kann nicht Gott sein; die Sonne, die auf Geheiß eines anderen ihre Bahnen wandelt, kann nicht Gott sein“. Unter dem Bekenntnis deiner Unwissenheit verbirgt sich ein größeres Wissen. Die Heiden aber sind gerade in dem, worin sie sich wissend wähnen, unwissend, weil ihre Erkenntnis irrig ist. Außerdem mögest du einmal dich deines Namens erinnern. Du wirst ein Gläubiger, nicht ein Denker genannt. Denn wenn jemand die Taufe empfangen hat, dann sagt man: „Er ist“ oder „Ich bin ein Gläubiger geworden“. Ich glaube, was ich nicht verstehe. Und darum bin ich ein Wissender, weil ich mir meiner Unkenntnis bewußt bin. Man wird einwenden, das sei keine Erklärung, sondern eine Ausflucht. „Das wußten wir bereits, daß wir wissen, daß S. 223wir nichts wissen. Belehre uns, damit wir auch das erfassen, was unserer Kenntnis verborgen ist!“ Ist es nicht besser, demütig seine Unwissenheit einzugestehen, als aus Stolz sich eine Kenntnis anzumaßen? Am Tage des Gerichtes werde ich nicht verdammt werden, weil ich etwa sage: „In das Wesen meines Schöpfers bin ich nicht eingedrungen“. Wenn ich aber eine verwegene Behauptung aufstelle, dann wird der Vermessenheit ihre Strafe werden, die Unwissenheit jedoch wird Verzeihung erhalten. Ich will auch noch die Heilige Schrift zur Unterstützung herbeiziehen, um mich nicht so sehr auf das eigene Denken als vielmehr auf die Autorität unseres Herrn und Erlösers zu stützen. Was sagte er denn kurz vor seiner Himmelfahrt zu den Aposteln, zu welchen er als Meister und Herr spricht? Niemand kann so über seine eigene Natur sprechen als er, der selbst Gott ist. Für uns aber möge es genügen, soviel von der Dreifaltigkeit zu wissen, als der Herr sich herabgelassen hat, uns mitzuteilen. Was sagt er nun zu den Aposteln? „Gehet hin und taufet alle Völker im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes!“10 Ich höre drei Namen, und doch wird nur einer genannt. Der Herr spricht nicht „in den Namen“, sondern „im Namen“. Der Herr nennt drei Namen. Wie kann er sie in einen zusammenfassen in den Worten: „Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“? Der Name des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes ist einer; aber es ist der der Dreifaltigkeit zustehende Name. Wenn es heißt: „Im Namen Gottes des Vaters, im Namen Gottes des Sohnes und im Namen Gottes des Heiligen Geistes“, dann ist Vater, Sohn und Heiliger Geist der eine Name der Gottheit. Wenn du mich aber fragst, wie drei mit einem Namen benannt werden können, dann weiß ich es nicht, und ich bekenne ehrlich meine Unwissenheit, weil Christus hierüber nichts offenbaren wollte. Das allein weiß ich, daß ich Christ bin, weil ich einen Gott in der Dreifaltigkeit bekenne. S. 224Wenn ich aber behaupten würde, daß Vater, Sohn und Heiliger Geist nur eine Person wären, dann könnte man mich einen Sabellianer11 betiteln. Ich würde dann anfangen, statt ein Christ ein Jude zu sein. Denn auch die Juden bekennen einen Gott, aber weil sie vom Vater, Sohn und Heiligen Geist nichts wissen, glauben sie auch nicht an das Geheimnis der Dreifaltigkeit. Wollten wir also in dem Sinne von einem Gotte reden, daß wir den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist vom Geheimnis der Dreifaltigkeit ausschließen, dann werden wir Juden. Ich gebe offen zu, nicht aus mir, sondern im Namen des Erlösers, es erregt Anstoß zu hören: „Wie können drei eins sein? Wie kommt es, daß Vater, Sohn und Heiliger Geist in der Gottheit nicht getrennt werden?“ Doch ich bitte euch jedesmal, wenn ich den Ausdruck Personen gebrauche, daran zu denken, daß ich nicht von menschlichen Personen rede. Beim Vater und beim Sohne und beim Heiligen Geiste spreche ich nicht von Personen wie von menschlichen Personen, sondern auf Grund der einem jeden von ihnen zugehörenden Eigentümlichkeiten, Den Vater nenne ich Person, weil er Vater ist, den Sohn, weil er Sohn ist, den Heiligen Geist, weil er Heiliger Geist ist. Der Vater ist nicht Sohn, und der Sohn ist nicht Vater, und der Heilige Geist ist weder Vater noch Sohn. In ihren Eigentümlichkeiten steht jede Person für sich da, während die Wesenheit das einigende Band bildet. Den gleichen Anstoß hat einmal der Apostel Philippus genommen, als er zum Herrn sprach: „Herr, zeige uns den Vater, und es genügt uns“12 . Ihm gibt der Herr zur Antwort: „Philippus, solange bin ich bei euch, und du kennst den Vater nicht? Wer mich sieht, sieht auch den Vater“13 , Es wäre verkehrt zu sagen, daß der S. 225Vater zugleich auch der Sohn sei. Aber wenn du das Wort Sohn hörst, dann denkst du auch an den Vater; denn der Sohn könnte nicht Sohn genannt werden, wenn er nicht einen Vater hätte. Andererseits wäre der Name Vater sinnlos, wenn es nicht einen Sohn gäbe.
Man könnte noch vieles sagen. Doch für Gläubige möge es genügen, nur weniges über das Geheimnis der Dreifaltigkeit gehört zu haben. Euch aber bitte ich zu beachten, daß im Kloster der Wettstreit unter uns sich mehr darum zu drehen hat, wie wir darnach streben, über unseren Widersacher zu triumphieren, wie wir fasten und unsere Sünden bereuen, wie wir uns von unseren Gedanken nicht als Gefangene zur bösen Lust hinschleppen lassen, wie wir Geduld üben gegen jede Beleidigung, wie wir unseren Mitbruder, wenn er uns Unrecht zufügt, statt ihm entgegenzutreten, durch die Demut besiegen, die wir von Christus gelernt haben, der nicht drohte, da er litt14 . Sollte einmal der Gedanke: „Was ist Gott? Wie steht es mit der Dreifaltigkeit?“ in uns aufsteigen und uns hartnäckig verfolgen, dann möge es uns genug sein, an die Tatsache ihrer Existenz zu glauben. Wir sollen nicht voller Kühnheit nach Gründen forschen, sondern den Herrn fürchten und ohne Unterlaß zu ihm beten. Nur in dem Sinne wollen wir unsere Kenntnis zur Schau tragen, daß wir der Dreifaltigkeit Tag und Nacht lobsingen, „Ihr sei die Ehre und die Herrlichkeit in alle Ewigkeit“15 Amen.
-
Am. 5, 18. ↩
-
Joel 2, 11. Die Stelle ist nicht absolut sicher, da die Handschrift nur „sustinebit“ gerettet hat. Vgl. Anecd. Mareds. III, 3, 72. ↩
-
Vertreter gnostischer Sekten, die mit den Manichäern den Dualismus vertreten und im Geschaffenen das Böse sehen. ↩
-
Röm. 11, 33. ↩
-
Ps. 32, 4. ↩
-
Is. 53, 8. ↩
-
Denk glaubt aus dieser Stelle folgern zu können, daß die Irrlehre Priszillians, der ähnlich wie Sabellius zu einer modalistischen Auffassung der Trinität sich bekannte, auch die Klostergemeinde zu Bethlehem beunruhigt und eine lebhafte Erörterung hervorgerufen habe. Sollte diese Vermutung richtig sein, dann begrüßt er in Hieronymus den klassischen Zeugen für die Existenz des Comma Johanneum in der spanischen Bibel des vierten Jahrhunderts [Theol. Revue V-1906, 59 f.] ↩
-
Ps. 23, 10. ↩
-
Is. 63, 1. ↩
-
Matth. 28, 19. Das sog. Comma Johanneum, 1 Joh. 5, wird hier nicht erwähnt. ↩
-
Die Sabellianer [benannt nach Sabellius] lehren eine Dreiheit in Gott, aber nur in der Erscheinungsweise der Welt gegenüber. Der eine Gott heißt bald Vater, Sohn oder Hl. Geist, je nach den verschiedenen Offenbarungsweisen. Eine auf innergöttlichen Vorgängen beruhende Unterscheidung dreier Personen ist ihnen fremd. ↩
-
Joh. 14, 8. ↩
-
Joh. 14, 9. ↩
-
1 Petr. 2, 23. ↩
-
1 Petr. 4, 11; 5, 11; Off. 1, 6. ↩