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Œuvres Tatien le Syrien (120-173) Oratio ad Graecos Rede an die Bekenner des Griechentums (BKV)

23.

(1) Ich sah für1 die Kampfspiele gemästete Menschen die Last ihres Fleisches herumschleppen, denen Siegespreise und Kränze verheißen wurden, indem die Kampfrichter sie nicht zu edlen Taten, sondern zum Wettstreit in frevelhaftem Kampfe aufriefen und den ärgeren Raufer mit dem Kranze beteilten.2 (2) Doch das ist noch das Kleinere von dem Schlimmen: wer möchte nicht zögern, das Größere zu erwähnen? Es gibt Leute, die sich so sehr der Faulheit ergeben haben, daß sie sich, um der Üppigkeit frönen zu können, für die Schlachtbank verkaufen: der Arme verkauft sich selber und der Reiche kauft Menschen, welche die Abschlachtung vollziehen sollen. Vor ihnen sitzen die Zuschauer, die Faustkämpfer ringen miteinander für nichts und wieder nichts und kein Helfer erscheint in der Arena. S. 232 (3) Ist denn das wirklich schön von euch gehandelt? Der vornehme Mann bei euch sammelt das Heer der Mordgesellen, indem er ankündigt, daß er eine Räuberbande halte3. Dann läßt er seine Strauchritter auftreten und ihr alle strömt zum Schauspiele zusammen und setzt euch als Richter hin einerseits über die Verworfenheit des Spielgebers, andererseits über die der Gladiatoren selber. (4) Wer zufällig dem Morden nicht zusehen konnte, der trauert darüber, daß er nicht dazu verurteilt war, Augenzeuge verbrecherischer Ruchlosigkeiten zu werden. (5) Ihr schlachtet Tiere, um ihr Fleisch zu fressen4, und Menschen kauft ihr, um auch der Seele Menschenfleisch zum Fraße zu geben und sie mit gräßlichsten Blutströmen zu atzen. Je nun, der Räuber mordet nur, um zu rauben, der Reiche aber kauft sich eigens Gladiatoren, um nur zu morden5.


  1. *Lies ὑπὲρ statt ὑπὸ. ↩

  2. *Lies στεφανουμένον statt στεφανούμενον (Akz.!). ↩

  3. Der Vornehme tut das mit demselben Stolze, wie wenn er die Kosten für eine staatliche Leistung (λειτουργεῖν, λῃτουργεῖν), etwa für eine Choregie, nicht für die Erhaltung von Raubgesingel (λῃστοτροφεῖν) übernehmen würde: der bissige Scherz beruht auf dem Gleichklang von λῃστοτροφεῖν mit λῃτουργεῖν und auf der Verwendung des term. techn. * ἐπαγγελλόμενος, „öffentlich ankündigen“ (vgl. unten zu Kap. XLII 1). ↩

  4. Tatian mißbilligt in dem Satze, wie Harnack mit Recht bemerkt hat, den Fleischgenuß überhaupt (vgl. Tertull. de ieiun. 15; Hieronym. ad Jovinian. I 3; Augustin. de haeres. 25); er stand daher, als die Rede hielt, bereits im Lager der gnostischen Enkratiten (über diese Sekte s. Bardenhewer, Gesch. d. altkirchlichen Literatur I, S. 346). ↩

  5. D.h. dem Reichen ist der Mord Selbstzweck. Ähnliche Polemik gegen die Gladiatorenspiele findet sich auch bei heidnischen Schriftstellern, so z.B. bei Dio von Prusa (vgl. unten zu Kap. XXX 2)in der rodischen Rede (XXXI), § 121 und in der Rede an die Nikodemier (XXXVIII) § 17. Erst zwischen 404 und 423 erreichte diese Polemik ihr Ziel mit dem endgültigen Verbot der Gladiatorenspiele durch Honorius (s. Usener, Kleine Schriften II S. 258 f.). ↩

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