6. Der Bischof soll nicht gewinnsüchtig sein, aber auch nicht Bürgschaft leisten oder den Anwalt machen.
Der Bischof suche nicht schmutzigen Gewinn und besonders nicht von den Heiden; er leide lieber Schaden, als daß er einen zufüge. Er sei nicht habsüchtig, kein Räuber, kein Betrüger, schmeichle nicht den Reichen und hasse nicht die Bettler: Andern rede er nichts Böses nach, gebe kein falsches Zeugniß, sei nicht zornig, nicht streitsüchtig — auch soll er sich nicht in weltliche Geschäfte verwickeln, er soll nicht Bürgschaft leisten oder in Geldgeschäften den Anwalt machen; er sei nicht herrschsüchtig, nicht schwankend, nicht zweizüngig, kein Gönner der Verläumder und Ehrabschneider, kein Heuchler, er trage kein Verlangen nach den Festen der Heiden und bleibe fern von eitlen Ergötzlichkeiten; er sei frei von Leidenschaft und nicht geizig, weil all Dieses Gott mißfällt und dem bösen Feinde Freude bereitet. Dieß alles aber soll der Bischof den Laien durch sein Beispiel fortwährend verkünden und sie anleiten, daß sie seine Lebensweise ihm nachahmen. „Lehret die Söhne Israels, daß sie meiden die Unreinigkeit.”1 Er sei ferner weise und demüthig, wohl bewandert in der Lehre des Herrn, er sei edler Gesinnung und entsage allen schlechten Bestrebungen der Welt und allen heidnischen Gelüsten. Er sei wohl darauf bedacht, schnell zu erkennen die Schlechten und sich vor ihnen zu hüten. Alle gleich liebend, sei er rechtlich und gerecht, und was immer Edles bei den Menschen ist oder sich findet, das soll der Bischof an sich haben, weil ein tadelloser Hirte seine Schüler durch den Umgang mit ihnen dahin zu bringen sucht, daß sie seine Handlungen nachahmen, wie auch der Prophet sagt: „Wie der Priester, so auch das Volk.”2 Denn auch unser Herr und Heiland Jesus Christus, der Sohn Gottes, begann zuerst zu handeln und zu wirken, S. 37 und dann zu lehren, wie irgendwo Lukas sagt: „Was Jesus vom Anfange that und lehrte.”3 Deßwegen sagt der göttliche Lehrer: „Wer es thut und lehrt, der wird groß heissen im Himmelreich.”4 Ihr Bischöfe müsset Aufsicht halten über das Volk, wie auch Ihr Christum als Aufseher habet. Und ihr sollet also sorgfältig Aufsicht führen über das Volk Gottes, denn der Herr spricht durch Ezechiel zu einem Jeden von euch: „Und nur, Menschensohn, dich habe ich zum Wächter gesetzt über das Haus Israel. Darum wenn du ein Wort aus meinem Munde hörest, verkünde es ihnen in meinem Namen. Wenn ich zu dem Gottlosen sage: Gottloser, du wirst des Todes sterben, und du sagest ihm das nicht, daß der Gottlose verlasse seinen Weg, so wird wohl der Gottlose selbst in seiner Missethat sterben, aber sein Blut will ich von deiner Hand fordern. Hast du aber dem Gottlosen verkündigt, daß er sich bekehre von seinem Wege, und er bekehrt sich nicht von seinem Wege, so wird er selbst sterben in seiner Missethat, du aber hast gerettet deine Seele.”5 „Menschensohn! Rede zu den Söhnen deines Volkes und sprich zu ihnen: Wenn ich das Schwert über ein Land bringe und das Volk des Landes nimmt aus seinen Geringsten einen Mann und stellt ihn zu seinem Wächter auf, und er sieht das Schwert über das Land kommen und bläst in die Trompete und verkündigt es dem Volke; und Einer, wer es auch sei, höret den Klang der Trompete, aber nimmt sich nicht in Acht, und das Schwert kommt und rafft ihn weg: dieses Mannes Blut wird auf seinem Haupte sein. Er hat ja den Klang der Trompete gehört, aber nicht auf sich Acht gehabt, sein Blut soll auf ihm sein; hätte er auf sich Acht gehabt, so würde er seine Seele gerettet haben.”6 Unter dem Schwerte ist das Gericht zu verstehen und unter der Trompete das hl. Evangelium. Aufseher ist der in der Kirche angestellte Bischof, welcher vom S. 38 Gerichte predigen, durch Worte stärken und beschwören muß. Wenn ihr dem Volke nicht predigt und Zeugnis gebet, so wird die Sünde der Unwissenden über euch kommen. Daher ermahnet die Unwürdigen und überzeuget sie mit Freimuth. Die Unwissenden lehret, die Reifen bestärket, die Irrenden führet wieder zurück. Wenn wir auch, o Brüder, die gleichen Lehren mit den nämlichen Worten wiederholt vortragen, so wird uns dadurch kein Schaden zugehen, denn durch das oftmalige Anhören ist es wahrschemlich, daß einige Zuhörer sich bewegen lassen, etwas Gutes zu thun und eine böse Handlung zu unterlassen, und sei es auch nur ein einziges Mal. Denn Gott spricht durch den Propheten: „Sprich zu allen Städten Juda's, aus denen man kommt, um anzubeten im Hause des Herrn, alle Worte, die ich dir gebiete zu ihnen zu reden; nimm kein Wort hinweg. Vielleicht, daß sie hören und sich bekehren.”7 Und wiederum: „Sprich also meine Worte zu ihnen, vielleicht, daß sie hören und ablassen.”8 „Geh hin, tritt hinein zu den Gefangenen, zu den Söhnen deines Volkes und rede mit ihnen und sprich zu ihnen: So spricht Gott der Herr! Vielleicht, daß sie hören und ablassen.”9 Und Moses sagte dem Volke: „Wenn du auf die Stimme des Herrn deines Gottes hörst und thust, was recht vor ihm ist, und seinen Geboten gehorchest und alle seine Gebote beobachtest, so will ich keine der Krankheiten, die ich auf Ägypten gelegt, über dich bringen.”10 Und: „Höre Israel, der Herr, unser Gott ist ein einiger Herr.”11 Und Jesus schärft Dies im Evangelium oft ein und sagt: „Höre, Israel, dein Gott ist der einzige Gott.”12 Und der weise Salomon sagt: „Höre, mein Sohn, auf die Lehre deines Vaters und verlaß nicht das Gesetz deiner Mutter.”13 Und sie hörten bis auf den heutigen Tag nicht, und wohl in der Meinung, S. 39 gehört zu haben, hörten sie nicht recht und verließen den einen und allein wahren Gott und verfielen in verderbliche und schreckliche Irrlehren, wovon später die Rede sein wird.