2.
„Im Anfange schuf Gott den Himmel und die Erde1.” - Mir will die Zunge stocken vor Staunen ob dem Gedanken. Wovon soll ich zuerst sprechen? Womit meine Ausführungen beginnen? Soll ich die Hohlheit der Außenstehenden2 nachweisen oder unsere Wahrheit preisen? Die griechischen Philosophen haben viel mit der Natur sich beschäftigt. Doch stand bei ihnen auch nicht eine Ansicht unumstößlich und unerschütterlich fest; vielmehr stieß immer wieder eine zweite Ansicht die erste um. Daher macht es uns keine Mühe, ihre Meinungen zu widerlegen; sie genügen einander selbst zu gegenseitiger Widerlegung. Da sie von Gott nichts wußten, wollten sie die Entstehung des Universums nicht von einer vernünftigen Ursache herleiten, sondern ließen sich entsprechend ihrer fundamentalen Unwissenheit zu (irrigen) Schlußfolgerungen verleiten. So nahmen die einen zu materiellen Prinzipien ihre Zuflucht und verlegten die Ursache von allem Sein in die Elemente der Welt3. Die andern bildeten sich ein, S. 11 Atome und unteilbare Körper, Stoffmassen und Bewegungen4 begründen die Natur der sichtbaren Welt: Je nachdem die unteilbaren Körper bald miteinander zusammenkommen, bald einander ausscheiden5, komme es zu Neubildungen und Vernichtungen, und die stärkere Verflechtung6 der Atome begründe die Haltbarkeit der dauerhafteren Körper. Wahrhaftig, die so etwas schreiben, weben ein Spinnengewebe, da sie für Himmel, Erde und Meer so schwache und unhaltbare Anfänge annehmen. Sie wußten ja nicht zu sagen: „Im Anfange schuf Gott den Himmel und die Erde.” So gaben sie in ihrem Atheismus sich der Täuschung hin, das Universum sei steuer- und ordnungslos, sei dem blinden Zufall überlassen.
Damit es uns nicht ebenso ergehe, hat der, welcher die Weltschöpfung beschreibt, gleich in den ersten Worten mit dem Namen Gottes unsern Verstand erleuchtet, indem er sagte: „Im Anfange schuf Gott.” Wie trefflich die Reihenfolge7! „Anfang” stellt er voran, damit nicht der eine und andere die Welt anfangslos wähne8. Dann setzte er das „schuf” hinzu, um zu zeigen, daß die Schöpfung nur ein sehr kleiner Teil der Macht des Schöpfers ist. Denn wie der Töpfer mit derselben Kunst tausend und abertausend Gefäße anfertigt, ohne seine Kunst und Kraft zu erschöpfen, so hat auch der Schöpfer dieses Universums eine nicht auf eine Welt beschränkte, sondern ins Unendliche reichende Schöpferkraft, kraft der er nur mit dem Winke seines Willens die sichtbare Welt in ihrer Größe ins Dasein gerufen hat. Hat also die Welt einen Anfang, und ist sie geschaffen worden, so forsche nach, wer ihr den Anfang gegeben, und wer ihr Schöpfer ist! Doch nein, damit du nicht beim Nachforschen durch menschliche Vernunftschlüsse dich von S. 12 der Wahrheit abbringen lassest, ist uns Moses mit seiner Belehrung zuvorgekommen und hat unsern Seelen gleichsam als Siegel und Schutzwehr den verehrungswürdigsten Namen Gottes eingeprägt mit den Worten: „Im Anfange schuf Gott.” Das selige Wesen, die unerschöpfliche Güte, der Gegenstand der Liebe für alle vernunftbegabte Kreatur, die heißersehnte Schönheit, der Anfang der Dinge, der Quell des Lebens, das Licht des Geistes, die unbegreifliche Weisheit - ist Er, der im Anfange schuf den Himmel und die Erde.
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Gen 1,1 ↩
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der Heiden ↩
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Von den jonischen Naturphilosophen bezeichnete Thales aus Milet (✝ 646/545 v. Chr.) das „Wasser, Anaximenes (✝ 528/524 v. Chr.) die Luft als den Grundstoff der Welt. Ausführlicher u. wissenschaftlicher begründete Empedokles v. Agrigent (✝ 424/423 v. Chr.) seine Elementenlehre. ↩
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ὄνκοι καὶ πόϱοι. Die Atomisten Leukipp und Demokrit lieben die Terminologie ναστά <= Massive (= ἄτομα)> καὶ κενόν. ↩
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μετασυγκϱινεσϑαι ↩
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ἀντεμλοκή für das den Atomisten geläufigere συμπλοκή ↩
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der Genesis-Worte 1,1 ↩
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Anfangslos dachten die Welt Aristoteles, Xenophanes, Heraklit, viele Platoniker der älteren Akademie, Neupythagoreer, Neuplatoniker u.a. ↩