IV
Wie nun wohlriechende Gewürze die Luft in weitem Umkreis mit angenehmem Dufte erfüllen, so möchte dir S. 226 der Herr die Gnade des Friedens in überfließendem Maße bescheren, damit dein Wandel die Krankheiten deiner Mitmenschen heile. Welch hohen Wert dieses Gut hat, wirst du einsehen, wenn du die schlimmen Folgen erwägest, welche aus einer feindseligen Gesinnung für die Seele entstehen. Wer könnte die Zornesausbrüche gebührend beschreiben? Und welche Rede vermag die ganze Häßlichkeit dieser Leidenschaft entsprechend darzustellen? All die Schrecknisse, welche du an Besessenen wahrnimmst, wiederholen sich bei den Zornmütigen. Wenn wir die Wirkungen des Satans und die des Zornes miteinander vergleichen, welchen Unterschied könnten wir dann noch feststellen? Blutunterlaufen und verdreht ist das Auge der Besessenen, unbeholfen ihre Zunge, rauh ihre Sprache, bellend ihre Stimme ― diese Übel ruft der Zorn ebenso hervor wie der Satan. Heftiges Schütteln des Kopfes, wilde Bewegungen der Hände, Beben des ganzen Körpers, Wanken der Füße ― diese eine Schilderung zeichnet zugleich die zwei Krankheiten der Besessenheit und des Zornes. Nur insofern unterscheiden sich die beiden Übel, daß das eine freiwillig ist, das andere aber die Menschen gegen ihren Willen befällt. Aber um wieviel bejammernswerter sind diejenigen, welche nach ihrem eigenen Willen unglücklich wurden, als jene, die es gegen ihren Willen geworden sind! Und wer immer die satanische Arbeit sieht, wird von Mitleid ergriffen, aber den Wahnsinn des Zornes sieht man und ― ahmt ihn nach, in der Meinung, zurückzustehen, wenn man es dem anderen an Leidenschaftlichkeit nicht zuvor tun würde, der von der Krankheit zuerst befallen war.
Und wenn Satan den Leib seines Opfers anfällt, so begnügt er sich trotz seiner Bosheit damit, daß er die Hände des Besessenen in die leere Luft schleudert, der Satan des Zornes ruft aber keineswegs so harmlose Bewegungen des Körpers hervor. Wenn nämlich die Leidenschaft sich ganz entfaltet und das Herzblut ins Kochen gerät, während die schwarze Galle ― so sagt man ― infolge der Zorneserregung durch den ganzen Körper sich ergießt, dann wird von den inwendig zusammengepreßten Dünsten ein starker Druck auf alle Sinneswerkzeuge ausgeübt, die sich am Kopfe befinden. Die Augen treten nun S. 227 unter den Wimpern hervor und blicken bluttriefend und schlangengiftig auf das, was den Grimm verursacht hat, schwerer Atem beengt das Herz, die Adern am Halse schwellen an, schwer wird die Zunge, die Stimme tönt, weil die Luftröhre sich zusammengezogen hat, kreischend, die Lippen werden infolge jener Gallenergießung starr und bläulich und sind unfähig, sich naturgemäß zu öffnen und zu schließen, ja sie können nicht einmal mehr den überschüssigen Speichel zurückhalten, sondern lassen ihn beim Sprechen aus dem Munde treten, so daß mit den heftig hervorgestoßenen Lauten der Geifer herausspritzt. Zugleich kann man sehen, wie die Hände von der Krankheit hin und her bewegt werden, desgleichen die Füße. Doch ist diese Bewegung keineswegs wie bei den Besessenen unschuldiger Natur, sondern durch die feste Absicht veranlaßt, dem Gegner zu schaden. Denn sobald es zum Streite kommt, gehen die Feinde darauf aus, beim Ringen gerade die empfindlichsten Stellen der Sinneswerkzeuge zu treffen. Und wenn hiebei vielleicht der eine den Mund dem Körper des anderen nahe bringt, so bleiben nicht einmal die Zähne untätig, sondern beißen, wie es bei wilden Tieren vorkommt, in das Fleisch des Gegners wie es sich gerade trifft. Doch wer vermöchte alles Schlimme einzeln aufzuführen, welches der Zorn anrichtet! Darum verdient derjenige, welcher so große und so viele Übel verhindert, als umfassender Segensstifter seliggepriesen und hoch geehrt zu werden. Wenn schon der Arzt, der den Menschen von körperlichem Leid befreit, überaus geschätzt wird, um wieviel mehr muß dann derjenige, welcher die Seele aus so schlimmer Krankheit rettet, von allen Einsichtigen als wahrer Wohltäter des Lebens geachtet werden. Denn um wieviel die Seele den Leib an Wert überragt, um soviel ist derjenige, welcher die Seele gesund macht, höher zu schätzen als derjenige, der den Leib gesund macht.