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Œuvres Jean Chrysostome (344-407) In epistula ad Romanos commentarius Kommentar zum Briefe des hl. Paulus an die Römer (BKV)
VIERTE HOMILIE: Kap. I, V. 18—25.

3.

Der erste Vorwurf gegen die Heiden ist, daß sie Gott nicht fanden; der zweite, daß sie gute und offenkundige Gelegenheiten dazu hatten; der dritte, daß sie sich für Weise ausgaben; der vierte, daß sie Gott nicht nur nicht gefunden hatten, sondern daß sie die ihm gebührende Verehrung auf Dämonen und hölzerne und steinerne Götzenbilder übertrugen. Auch im Korintherbriefe demütigt Paulus den Stolz der Heiden, aber nicht in der gleichen Weise wie hier. Dort gibt er ihnen gewissermaßen einen Hieb mit dem Kreuze, indem er spricht: „Etwas Törichtes bei Gott ist immer noch weiser als die Menschen“ 1. Hier aber zieht er, ohne einen Vergleich anzustellen, ihre Weisheit geradezu ins Lächerliche, indem er darauf hinweist, daß sie Torheit sei und nur prahlerischer Schein. Damit du ferner siehst, daß sie die Gotteserkenntnis besaßen, dieselbe aber auf solche Weise preisgaben, sagt er: „Sie vertauschten.“ Wer etwas vertauscht, der gibt etwas hin, was er hat. Sie wollten nämlich etwas mehr finden und hielten sich darum nicht innerhalb der gegebenen Grenzen und schritten über dieselben hinweg. Sie waren eben neuerungssüchtig. Es liegt das überhaupt im Wesen der Griechen. Ihre Weisen traten darum gegeneinander auf; Aristoteles erhob sich gegen Plato, gegen diesen knurrten die Stoiker, kurz, einer war der Feind des andern. Man sollte sie daher nicht so bewundern wegen ihrer Weisheit als sie vielmehr verabscheuen und hassen, weil sie eben dadurch zu Toren geworden sind. Denn wären sie nicht so versessen gewesen auf ihre Vernunftweisheit, auf ihre Schlüsse und Trugschlüsse, so wäre es ihnen nicht so ergangen, wie es ihnen ergangen S. b46 ist. — Hierauf spinnt der Apostel seine Anklage gegen sie noch weiter aus und zieht ihren ganzen Götzendienst ins Lächerliche. War schon das Vertauschen (der Gotteserkenntnis) überhaupt lächerlich, so war es ganz und gar unentschuldbar, daß es gegen solche Dinge geschah. Gegen wen vertauschten sie den wahren Gott und was für Dingen erwiesen sie göttliche Ehre? Betreffs der Gottheit hätten sie sich über Fragen wie folgende Gedanken machen sollen: daß es einen Gott gebe, daß er der Herr aller Dinge sei, daß er sie aus dem Nichtsein ins Dasein gerufen habe, daß er seine Vorsehung und Fürsehung walten lasse; denn darin bestehe ja die Ehre der Gottheit. Welchen Dingen aber erwiesen sie solche? Nicht einmal Menschen, sondern Bildern von Menschen. Ja, sie blieben dabei nicht einmal stehen, sondern sie kamen herab bis zu den unvernünftigen Tieren oder vielmehr zu Bildnissen derselben. Beachte da das weise Vorgehen des Paulus, wie er zwei äußerste Grenzpunkte festsetzt: nach oben Gott, nach unten Kriechtiere — eigentlich nicht einmal Kriechtiere, sondern deren Nachbildungen —, um den Heiden ihren hellen Wahnsinn recht klar vor Augen zu halten. Die Kenntnis, die sie von dem hätten haben sollen, der unvergleichlich erhaben ist über alle Dinge, machten sie den niedrigsten aller Geschöpfe dienstbar. — Doch was hat das, fragst du, mit den Weisheitslehrern der Heiden zu tun? Doch ja, das Gesagte geht alles sie an; denn sie waren es, die die Erfinder alles dessen, die Ägypter, zu Lehrern hatten. Sogar Plato, dem Anscheine nach der fähigste Kopf unter ihnen, tut sich etwas zugute darauf, und sein Lehrer Sokrates hatte eine heilige Scheu vor solchen Götzen. Ließ doch er dem Äskulap einen Hahn opfern, woraus zu verstehen ist, daß die Bilder von unvernünftigen Tieren, sogar von Kriechtieren, als Götter galten. Neben den Kriechtieren kann man auch den Apollo und den Dionysos (unter die Götter eingereiht) sehen. Manche von diesen Weisheitslehrern haben sogar Stiere, Skorpionen, Drachen und allerhand anderes Gewürm in den Himmel versetzt. Allenthalben gab sich der Teufel Mühe, die Menschen bis herab zu den Bildern von Kriechtieren zu bringen und ihn (den S. b47 wahren Gott) herabzusetzen bis unter die vernunftlosesten aller Tiere, während Gott sie emporführen wollte zum Himmel. Nicht allein daraus, sondern auch anderswoher kann man ersehen, daß sogar der Höchststehende unter den Heiden (Plato) dem geschilderten Götzendienst ergeben war. Wo er nämlich die Dichter (als Zeugen) anführt und sagt, man müsse ihnen in ihren Lehren über die Götter Glauben schenken, bringt er (als Beweis) nichts anderes vor als eine Menge solchen Plunders und meint, man müsse diese vielen Lächerlichkeiten für die wahre Gotteslehre halten.

V. 24: „Darum übergab sie Gott in den Lüsten ihres Herzens zur Unreinigkeit, daß sie untereinander sich ihre eigenen Leiber schänden ließen.“

Hier weist der Apostel darauf hin, daß auch am Umsturz der Gesetze die Gottlosigkeit schuld war. Das „übergab“ ist hier soviel wie „überließ“. Wenn ein Heerführer bei zunehmender Heftigkeit der Schlacht davongeht, so übergibt er seine Soldaten den Feinden, nicht so, daß er sie gerade zu ihnen hinstößt, sondern daß er sie ohne seine Hilfe läßt. So zog sich auch Gott von den Heiden zurück, nachdem er von seiner Seite alles getan hatte, sie aber das von ihm Dargebotene nicht annehmen mochten und so sie selbst zuerst ihn verlassen hatten. Sieh nur! Er hatte ihnen als Predigt von ihm das ganze Weltall vor Augen gestellt; er hatte ihnen Verstand und Vernunft gegeben, womit sie imstande waren, das Rechte zu erkennen. Doch von nichts von allem dem machten sie Gebrauch zu ihrem Heil, sondern sie verkehrten es sogar ins Gegenteil. Was sollte Gott noch weiter tun? Sie mit Gewalt zwingen, zu ihm zu kommen? Das ist nicht das richtige Mittel, jemanden auf den Pfad der Tugend zu führen. Es blieb also nichts anderes übrig, als sie sich selbst zu überlassen, damit sie auf diese Weise durch Erfahrung klug würden und von ihren schändlichen Gelüsten abließen. Wenn ein königlicher Prinz seinem Vater zur Schande sich in die Gesellschaft von Dieben, Räubern und Grabschändern begibt und den Umgang mit solchen Leuten dem väterlichen Hause vorzieht, so ist am besten, sein S. b48 Vater läßt ihn gehen, bis er durch die Erfahrung belehrt wird über die Größe seiner Torheit.


  1. 1 Kor. 1, 25. ↩

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