I.
6. 7. Wohl lehren wir Weisheit unter den Vollkommenen, aber nicht Weisheit dieser Welt, noch der Fürsten dieser Welt, die zu nichte werden; sondern wir lehren Gottes geheimnißvolle und verhüllte Weisheit, die Gott von Ewigkeit her zu unserer Herrlichkeit bestimmt hat.
I. Die Finsterniß scheint den Augenkranken mehr zu behagen als das Licht; darum flüchten sie sich auch lieber in ein dunkles Gemach. Ebenso verhält es sich auch mit der geistigen Weisheit: den Heiden kam die Weisheit Gottes wie Thorheit vor, hingegen die eigene Weisheit, die in der That Thorheit war, hielten sie für wahre Weisheit. Es war ebenso, als wenn ein ganz tüchtiger Steuermann verspräche, ohne Schiff und Segel das unermeßliche Meer zu durchfahren, und dann durch Gründe beweisen wollte, daß Dieses möglich sei, hingegen ein Anderer, des Seewesens ganz unkundig, sich dem Schiffe, dem Steuermann, den Bootsleuten ganz überlassend ruhig dahinführe. Denn was an Diesem Unwissenheit scheint, wäre größere Weisheit als S. 102 die Geschicklichkeit jenes Andern. Es ist zwar etwas Gutes um die Steuermannskunst, allein wenn sie mehr verspricht, als sie zu leisten vermag, ist sie eine Art Thorheit; so ist es auch mit jeder andern Kunst, die über ihre Grenzen hinaus will. Ebenso wäre auch die weltliche Weisheit eine wirklicke Weisheit gewesen, wenn sie sich dem Geiste überlassen hätte; da sie aber Alles sich selber zuschrieb und jener Hilfe nicht zu bedürfen vermeinte, ward sie zur Thorheit, obgleich sie den Schein der Weisheit an sich trug. Darum nannte sie auch der Apostel, nachdem er ihre Nichtigkeit aus der Sache selber dargethan, Thorheit; und nachdem er die Weisheit Gottes nach ihrem Urtheile Thorheit genannt hatte, zeigte er, daß diese wirklich Weisheit sei. — Denn nach solchen Beweisen kann man die Gegner erst recht gründlich beschämen. Er sagt nun: „Wohl lehren wir Weisheit unter den Vollkommenen.“ Er will sagen: „Wenn ich, der ich ein Thor zu sein und Thörichtes zu verkünden scheine, dennoch den Weisen besiege, so überwinde ich nicht die Weisheit durch Thorheit, sondern durch eine vollkomnmere Weisheit, die so groß und erhaben ist, daß jene dagegen als Thorheit erscheint.“ Nachdem er Anfangs sie mit dem nämlichen Namen genannt, den ihr die Heiden gaben, dann aber ihren Vorzug aus der Sache selber dargethan und bewiesen hatte, daß jene in hohem Grade Thoren seien, gibt er ihr nun wieder den rechten Namen und spricht: „Weisheit aber lehren wir unter den Vollkommenen.“ Weisheit nennt er die Predigt des Evangeliums und den Weg des Heiles, nämlich die Rettung durch das Kreuz; unter den Vollkommenen aber versteht er die Gläubigen. Denn vollkommen sind Diejenigen, welche die Hinfälligkeit der irdischen Dinge erkennen und, überzeugt, daß sie ihnen Nichts nützen, dieselben verachten; und Das thun die Gläubigen.
„Aber nicht Weisheit dieser Welt.“ Wozu nützt wohl die weltliche Weisheit, die sich nur mit den Dingen hienieden befaßt und nicht weiter hinaufgeht, ja S. 103 nicht einmal hienieden ihren Besitzern zu nützen vermag? Unter den „Fürsten dieser Welt“ versteht er aber nicht gewisse Dämonen, wie Einige wähnen, sondern die Angesehenen, die Machthaber, welche diese Dinge für etwas Großes halten, die Philosophen, die Sophisten und Redner: denn diese hatten die Herrschaft und waren oft die Führer des Volkes. Er nennt sie aber Fürsten dieser Welt, weil ihre Herrschaft sich nicht weiter als über dieses Leben erstreckt; darum setzt er auch hinzu: „welche zu nichte werden,“ indem er die Nichtigkeit jener Weisheit an sich und an den Besitzern zeigt. Denn nachdem er bewiesen, daß sie falsch, daß sie thöricht sei, daß sie Nichts zu finden vermöge, daß sie ohnmächtig sei, zeigt er auch, daß sie nur kurze Zeit daure. „Sondern wir tragen Gottes geheimnißvolle Weisheit vor.“ Was ist hier geheimnißvoll? Sagt doch Christus: „Was euch in’s Ohr gesagt wird, Das predigt von den Dächern herab!“1 Wie nennt er nun diese Weisheit geheimnißvoll? Weil weder ein Engel, noch ein Erzengel, noch irgend ein erschaffenes Wesen Jenes wußte, bevor es geschah. Darum heißt es: „Damit den Mächten und Gewalten des Himmels die mannigfaltige Weisheit Gottes durch die Kirche bekannt werde.“2 Dieses that aber Gott, um uns zu ehren, und auf daß jene mit uns die Geheimnisse vernehmen. Sagen ja auch wir zu Denjenigen, die wir uns zu Freunden gemacht, Das sei ein Beweis der Freundschaft, daß wir Niemand eher als ihnen unsre Geheimnisse mittheilen. Das mögen Diejenigen hören, welche die Predigt (des Evangeliums) dadurch herabsetzen, daß sie Allen ohne Unterschied die Perlen und die Lehren vorlegen und so das Heilige den Hunden und Schweinen und den nutzlosen Vernünfteleien preisgeben. Das Geheimniß bedarf keines Beweises; es soll nur verkündet werden, so wie es ist. Denn sobald du von dem Deinigen Etwas hinzusetzest, ist es nicht mehr ganz ein göttliches Geheimniß. S. 104 Übrigens wird auch Das ein Gebeimniß genannt, wenn wir nicht glauben, was wir sehen, sondern Anderes sehen und Anderes glauben.
So verhält es sich mit unsern Geheimnissen: einen andern Eindruck macht die Sache auf mich, einen andern auf den Ungläubigen. Ich höre, daß Christus gekreuzigt worden; sogleich bewundere ich seine Liebe zu den Menschen; auch jener hört es und steht es für Schwäche an, ich höre, daß er ein Knecht geworden, und bewundere seine Sorgfalt für uns; auch jener hört es und hält es für eine Schmach. Ich höre, daß er gestorben, und staune über seine Macht, daß er, obgleich dem Tode unterworfen, vom Tode nicht überwunden wurde, sondern denselben aufhob; auch jener hört es, und hält es für Ohnmacht. Jener hört von der Auferstehung und erklärt sie als Fabel; ich aber nehme den Beweis aus den Begebenheiten selber und bete den Rathschluß Gottes an. Jener hört vom Taufbade und hält es einfach für Wasser; ich aber schaue nicht bloß auf das Sichtbare, sondern auf die Reinigung der Seele durch den heiligen Geist. Jener meint, ich sei bloß dem Körper nach abgewaschen worden; ich aber glaube, daß die Seele rein und Heilig geworden, und denke an das Grab, an die Auferstehung, die Heiligung, die Rechtfertigung, die Erlösung, die Annahme an Kindes Statt, die Erbschaft, das Himmelreich und die Mittheilung des heiligen Geistes; denn ich beurtheile die Sache nicht nach dem äussern Scheine, sondern mit den Augen des Geistes. Ich höre vom Leibe Christi; anders verstehe ich das Gesagte, anders der Ungläubige.
