I.
11. Ich bin unverständig geworden, daß ich mich rühme; ihr habt mich gezwungen. Denn ich sollte von euch empfohlen werden.
Nachdem Paulus mit der Hervorhebung seiner eigenen Auszeichnungen zu Ende gekommen ist, so läßt er die Sache noch nicht beruhen, sondern entschuldigt sich noch einmal und bittet um Nachsicht für das Gesagte, indem er versichert, daß ihn nur der Drang der Verhältnisse, nicht freie Wahl dazu bestimmt habe. Aber trotz der anerkannten Nothwendigkeit nennt er sich noch unverständig. Während er nun Anfangs sprach: „Wie einen Unverständigen nehmt mich an!“ und: „Wie in Unverständigkeit rede ich,“ so läßt er jetzt das „wie“ bei Seite und nennt sich geradezu unverständig. Denn nachdem er mit dem Gesagten seine Absicht erreicht hat, so spricht er sich jetzt offen und unumwunden gegen solche Schwäche aus und belehrt damit Alle, sich niemals ohne Noth zu rühmen, nachdem ja Paulus trotz aller Nöthigung von aussen sich noch unverständig genannt hat. Sodann verlegt er den Grund, der ihn zum Reden gezwungen habe, nicht auf die falschen Apostel, sondern einzig nur auf die Schüler. „Ihr,“ sagt er, „habt S. 427 mich gezwungen.“ Denn würden die Gegner sich nur einfach rühmen und Das nicht auch zu eurer Täuschung und zu eurem Verderben thun, so hätte Nichts mich vermocht, mich auf dieses Gebiet zu begeben; nachdem sie aber die ganze Gemeinde verdarben, so ward ich aus Rücksicht auf euer Bestes gezwungen, unverständig zu werden. Und er sagt nicht: Ich fürchtete, sie möchten, wenn sie bei euch den Vorrang erhielten, den Samen ihrer eigenen Lehren ausstreuen; Dieß hat er schon weiter oben hervorgehoben mit den Worten: „Ich fürchte, daß nicht etwa, wie die Schlange die Eva hintergangen hat, so eure Gedanken bethört werden;“ hier aber spricht er mit mehr Entschiedenheit und Nachdruck, wozu er sich nach dem Gesagten für berechtigt hält. „Denn ich sollte von euch empfohlen werden.“ Sodann führt er auch den Grund an, warum er sollte empfohlen werden, und er nennt wiederum nicht bloß die Offenbarungen und Zeichen, sondern auch die Bedrängnisse. — „Denn in Nichts bin ich zurückgeblieben hinter den übergroßen Aposteln.“ Siehe, wie er auch hier wiederum entschiedener sich ausspricht! Denn vorher sagte er: „Ich meine in Nichts zurückgeblieben zu sein;“ hier aber nach dem vorausgehenden Erweisen nimmt er nicht Anstand, mit Bestimmtheit so zu sprechen, wie wir eben gehört haben. Aber auch so vergißt er der Mäßigung nicht und der ihm eigenthümlichen Weise. Denn gleich als hätte er etwas zu Großes und über sein Verdienst Hinausgehendes gesagt, daß er sich nämlich unter die Apostel gezählt habe, so knüpft er daran sogleich wieder den Ausdruck der Demuth, indem er sagt: „Wenn ich auch Nichts bin,“
12. So wurden doch die Zeichen des Apostelamtes unter euch gewirkt.
Schaue nicht darauf, will er sagen, ob ich unbedeutend und gering bin, sondern ob dir nicht die Güter zugekommen sind, die von einem Apostel zukommen müssen. Und S. 428 er sagt nicht: Wenn ich auch unbedeutend bin, sondern, was noch minder ist: „Wenn ich auch Nichts bin.“ Was hälfe es auch, groß zu sein, wenn man Niemand nützt? Was hat man von einem erfahrenen Arzte für einen Gewinn, wenn er keinen Kranken heilt? So achte demnach, will er sagen, nicht darauf, daß ich Nichts bin, sondern Das erwäge, daß ich in der Vermittlung der euch gebührenden Wohlthaten durchaus nicht zurückgeblieben bin, daß ich den wirklichen Beweis meiner Apostelwürde gegeben habe. So hatte es also von meiner Seite der Reden nicht bedurft. Dieses sagt aber Paulus nicht, als wäre es ihm um die Empfehlung zu thun gewesen; denn wie sollte es Das ihn, der selbst den Himmel für gering erachtet im Vergleich zur Liebe Christi? Der Grund ist vielmehr einzig das Verlangen nach ihrem Heile. Damit sie sodann nicht sprechen könnten: Was hilft Das uns, wenn du in Nichts hinter den übergroßen Aposteln zurückgeblieben bist? so fügt er noch weiter bei: „Unter euch wurden die Zeichen des Apostelamtes gewirkt, in jeglicher Geduld und in Zeichen und Wundern.“
Welch eine Fülle großartigen Wirkens liegt in diesen wenigen Worten! Und beachte, was Paulus an erster Stelle setzt, nämlich die Geduld! Denn Das ist das Merkmal des ächten Apostels, daß er Alles starkmüthig erträgt. Doch Das berührt er nur kurz mit einem einzigen Worte; in mehreren dagegen spricht er von den Zeichen, weil hier nicht sein eigenes Verdienst in Betracht kommt. Denn was liegt nicht Alles in diesem einzigen Worte Geduld! Wie viele Gefängnisse, wie viele Schläge, wie viele Gefahren, wie viele Nachstellungen, welche Unzahl von Drangsalen sind damit angedeutet, welche Kämpfe mit Volksgenossen, mit Fremden, welche Schmerzen von innen und Widerwärtigkeiten von aussen! Und im Worte „Zeichen“ wiederum, welche Zahl von Todten, die er erweckt, von Blinden, die er geheilt, von Aussätzigen, die er gereinigt, von Dämonen, die er ausgetrieben! Wenn wir Das hören, so mögen wir S. 429 lernen, falls wir in die Nothwenigkeit solcher Ausführungen kommen, mit unsern eigenen Verdiensten uns kurz zu fassen, sowie es auch Paulus gethan hat.