I.
8. Wenn ich euch daher auch betrübt habe in dem Briefe, so bereue ich es nicht, wenn ich es auch bereute.
Der Apostel entschuldigt sich nunmehr wegen des ersten Schreibens, da es weiter keine Gefahr auf sich hatte, die Güte hervorzukehren, nachdem die Korinther sich gebessert hatten; und er hebt zugleich den Nutzen hervor, den die Sache gebracht habe. Schon weiter oben hatte er zu seiner Rechtfertigung gesagt: „Aus vieler Drangsal und Beklommenheit des Herzens habe ich euch geschrieben, nicht damit ihr betrübt würdet, sondern damit ihr inne würdet die Liebe, die ich ausnehmend zu euch hege.“1 Ein Gleiches thut er nun auch hier, und zwar so, daß er ausführlicher von der Sache handelt. Und er sagt nicht: Vorher bereute ich es, jetzt aber bereue ich es nicht mehr; vielmehr lauten seine Worte: „Ich bereue es nicht, wenn ich es auch bereute.“ Wenn auch, was ich geschrieben, will er sagen, von der Art war, daß es über S. 253 ein bescheidenes Maß der Rüge hinausging und mich meine Worte bereuen ließ, so gebe ich doch jetzt, nachdem ich den so günstigen Erfolg des Schreibens gesehen habe, der Reue weiter nicht Raum. Damit will Paulus freilich nicht sagen, er habe sie im Übermaß getadelt; er benützt Dieses nur, um ihr Lob stärker hervortreten zu lassen. Die Besserung, sagt er, die ihr zu erkennen gegeben habt, ist so entschieden gewesen, daß ich nunmehr, wenn ich euch auch vielleicht allzu tief verwundet habe, so daß ich mir selbst Vorwürfe machte, wegen des guten Ausganges mit mir völlig zufrieden bin. Paulus macht es hier gerade so, wie man es mit Kindern macht, die wir, nachdem sie ein schmerzliches Heilverfahren, wie Schneiden und Brennen, überstanden oder bittere Arznei genommen haben, nach Herzenslust liebkosen. — „Denn ich sehe, daß jener Brief, wenn auch nur auf eine Weile, euch betrübt hat.“
9. Jetzt freue ich mich, nicht weil ihr betrübt worden seid, sondern weil ihr betrübt wurdet zur Sinnesänderung.
Der Grund, warum Paulus „es nicht bereut“, ist der Nutzen, den das Schreiben gebracht hat. Und weise fügt er zu seiner Entschuldigung noch bei: „Wenn auch nur auf eine Weile“. Denn das Schmerzliche war vorübergehend, aber der Nutzen ist dauernd. Nach der genauen Folge hätte nun Paulus zwar sagen müssen: Wenn auch der Brief für eine Weile euch betrübte, so hat er euch doch für immer Freude und Segen gebracht. Doch geht er von dieser Folge ab, und bevor er auf den Gewinn zu sprechen kommt, ergreift er nochmals die Gelegenheit, die Korinther zu loben und seiner väterlichen Liebe Ausdruck zu geben. „Jetzt freue ich mich ,“ sagt er, „nicht, daß ihr betrübt worden seid,“ — denn was hätte ich von eurer Betrübniß? — „sondern daß ihr betrübt wurdet zur Sinnesänderung,“ daß die Betrübniß von solchem Nutzen war. Der Apostel ist hier in der Lage eines Vaters, der S. 254 seinen Sohn unter den Händen des Arztes sieht; dieser freut sich ebenfalls nicht über die schmerzliche Verwundung, sondern über die Heilung des Sohnes. Und beachten wir auch, wie Paulus von seinem eigenen Zuthun gänzlich absieht und alles Verdienst den Korinthern zuschreibt, indem er von sich selbst nur sagt, daß sein Brief betrüben konnte, — „der auf eine Weile euch betrübt hat,“ heißt es — von den Korinthern aber, daß sie sich den Brief so wohl zu Nutzen gemacht haben. Denn es heißt nicht: Ich freue mich, daß mein Brief euch gebessert hat, obschon es thatsächlich der Fall war, sondern: „Daß ihr betrübt worden zur Sinnesänderung.“ — „Denn ihr wurdet gottgemäß betrübt, damit ihr in Nichts durch uns zu Schaden kämet.“
Welch’ eine wunderbare Einsicht! Hätten wir nicht so gehandelt, will er sagen, so hättet ihr durch uns Schaden genommen. Und so schreibt er den günstigen Erfolg den Korinthern zu, sich selbst aber würde er Schuld am Schaden geben, wenn er geschwiegen hätte. Denn hätten wir da, wo von der Rüge sich Besserung erhoffen ließ, den Tadel unterlassen, so hätten wir euch in Nachtheil gebracht, und nebst euch hätte auch uns der Schaden getroffen. Denn gleichwie Der, welcher dem Kaufmanne das zur Schiffahrt Nöthige nicht bereitet, wie Der es ist, welcher Schuld am Verluste trägt, so hätten auch wir euch benachtheiligt, wenn wir euch nicht Mittel und Anlaß zur Sinnesänderung geboten hätten. So sehen wir denn, daß die Unterlassung der Rüge gegen die Fehlenden ein Schaden ist sowohl für Lehrer als Schüler.
10. Denn die gottgemäße Betrübniß wirkt Sinnesänderung zum Heile, die man nie zu bereuen hat.
Das ist der Grund, versichert er, warum ich es jetzt nicht bereue, obschon ich es bereute, bevor ich die Frucht S. 255 und den reichen Gewinn gesehen. Von solcher Wirkung nun ist die gottgemäße Betrübniß. Und über diese redet nun der Apostel des Weiteren und zeigt, wie die Betrübniß nicht jedesmal etwas Schlimmes ist, sondern nur dann, wenn sie der Welt gemäß ist. Und wann ist sie der Welt gemäß? Wenn du um Hab und Gut, um der Ehre, um eines Verstorbenen willen dich betrübst, so ist Das alles der Welt gemäß. Darum wirkt auch solche Trauer den Tod. Denn wer z. B. um der Ehre willen sich betrübt, der wird eine Beute des Neides und verfällt gemeiniglich dem Verderben. So war die Betrübniß des Kain, so die des Esau. Demnach versteht Paulus unter der Betrübniß, die der Welt gemäß ist, jene Betrübniß, die mit dem Schaden Derer endigt, die sie hegen. Denn es gibt nur eine Art von Trauer, die Nutzen bringt; das ist die Trauer über die Sünden. Und Das ergibt sich klar aus dem Folgenden. Wer um den Verlust des Vermögens sich betrübt, der macht damit den Schaden nicht gut; wer um einen Verstorbenen trauert, der erweckt mit seiner Klage nicht den Todten, und wer über eine Krankheit sich abhärmt, der hebt damit das Übel nicht, sondern verschlimmert es noch; nur wer über die Sünden sich betrübt, der erreicht Etwas mit seiner Trauer; denn er tilgt und vernichtet die Sünden. Das ist das Übel, für welches dieses Heilmittel bereitet ist; darum thut es auch nur hier seine Wirkung und erweist sich als nützlich, während es in anderen Fällen sogar schädlich wirkt.
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II. Kor. 2, 4. ↩