6.
Siehst du den Gegensatz? Siehst du den Widerspruch? Wie man nicht wohl beiden gehorchen kann, sondern einen verachten muß? Oder bedarf es gar nicht des Wortes? Wie? Sehen wir es nicht in der Tat, daß Christus verachtet und der Mammon geehrt wird? Seht ihr, wie schon der sprachliche Ausdruck abstößt? Um wieviel mehr sollte es die Wirklichkeit? Allein in der Wirklichkeit kommt uns das nicht so abstoßend vor, weil wir eben von der Leidenschaft eingenommen sind. Wenn nämlich die Seele jetzt auch nur eine Stunde von der Leidenschaft frei ist, so vermag sie, so lange sie an diesem Platze1 verweilt, richtig zu urteilen; sobald sie aber dorthin2 zurückkehrt, vom Fieber (der Leidenschaft) ergriffen wird und in der Befriedigung derselben S. 98 ihre Lust findet, so ist ihr Urteil nicht mehr rein, ihr Gerichtshof nicht mehr unbestochen. — Christus sagt: Wenn jemand nicht allem entsagt, was er besitzt, kann er mein Jünger nicht sein3.“ Der Mammon sagt: Nimm dem Hungrigen sein Brot! — Christus verlangt: Bekleide den Nackten! Jener verlangt: Ziehe den Nackten vollends aus! — Christus befiehlt: Verachte deine Mitmenschen nicht4. Der Mammon befiehlt: Erbarme dich deiner Mitmenschen nicht; selbst wenn du die leibliche Mutter, den leiblichen Vater in Not sehen solltest, blicke darüber hinweg! Doch was rede ich von Vater und Mutter? (Erbarme dich) selbst deiner eigenen Seele nicht; richte auch diese zugrunde! — Und doch wird ihm gehorcht. Weh mir, der Mammon mit seinen grausamen, lieblosen und unmenschlichen Befehlen findet eher Gehorsam als Christus mit seinen milden und für uns heilsamen Vorschriften. Daher die Hölle, daher das Feuer, daher der Feuerstrom, daher der Wurm, der nicht stirbt — Ich weiß, viele hören es nicht gern, wenn wir eine solche Sprache führen. Ich rede ja auch nicht gern davon; denn welches Bedürfnis sollte ich haben, von diesen Dingen zu sprechen? Am liebsten möchte ich euch immer vom Himmelreiche erzählen, von der ewigen Ruhe, von dem erquickenden Wasser, von der grünen Au. Denn „am Wasser der Erquickung“, sagt die Schrift, „hat er mich aufgezogen, und auf grüner Au, da hat er mich gelagert5.“ Am liebsten möchte ich von jenem Orte sprechen, wo „Schmerz und Trauer und Seufzen aufhört6.“ Am liebsten möchte ich euch die Wonne der Gemeinschaft mit Christus schildern. Allerdings ist dies über jede Beschreibung und jeden Begriff erhaben; aber dennoch möchte ich es nach Kräften anschaulich machen. Allein was will ich tun? Mit dem, der fiebert und sich in schlimmer Lage befindet, läßt sich nicht vom Himmelreiche reden; da muß man vorderhand von der Herstellung der Gesundheit sprechen. S. 99 Mit dem, der der Strafe verfallen ist, läßt sich nicht von Auszeichnungen sprechen, da kommt es zunächst darauf an, daß er von Schuld und Strafe frei werde; denn so lange dieses nicht der Fall ist, wie könnte da von jenem die Rede sein? Deshalb spreche ich unaufhörlich von dem einen, damit wir bald zu dem andern gelangen mögen. Denn Gott hat aus dem Grunde mit der Hölle gedroht, damit niemand in die Hölle stürze, damit wir alle des Himmelreiches teilhaftig werden. So erinnern auch wir deshalb unaufhörlich an die Hölle, um euch zum Himmelreiche hinzudrängen, um euren Sinn durch Furcht zu erweichen und euch zu einem des Himmelreiches würdigen Lebenswandel zu veranlassen. — Seid also nicht ungehalten über die Härte unserer Worte! Das Harte, das in unsern Worten liegt, erleichtert eure Seelen von der Last der Sünden. Denn hart ist auch das Eisen und hart der Hammer, aber er verfertigt brauchbare Gefäße aus Gold und Silber und macht das Krummgebogene gerade; wäre der Hammer nicht hart, so vermöchte er nicht dem verbogenen Stoffe die richtige Form zu geben. So vermag auch unsere harte Rede eurer Seele die rechte Richtung zu geben. Scheuen wir also nicht die Härte der Worte, nicht die damit geführten Schläge! Nicht um die Seele zu zerknicken oder um sie zu zerschmettern, wird der Schlag geführt, sondern um sie zu bessern. Wir wissen, wie wir treffen, wie wir den Schlag führen müssen mit Gottes Gnade, um das Gefäß nicht zu zerbrechen, sondern um es zu glätten, um es gerade zu biegen, um es für den Herrn brauchbar zu machen, um es, glänzend in Fehlerlosigkeit und schön geformt, darzureichen an jenem Tage, an welchem der Feuerstrom (hervorbrechen) wird, um es so darzureichen, daß es in jenem Feuer nicht mehr geläutert zu werden braucht. Denn wenn wir euch nicht hienieden durch Feuer reinigen, so müßt ihr ganz sicher im Jenseits durch Feuer geläutert werden; da gibt es keinen andern Ausweg. „Denn der Tag des Herrn wird im Feuer offenbar werden7.“ Besser, es brennen euch unsere Worte für kurze Zeit als jenes Feuer durch die S. 100 ganze Ewigkeit. Dies nämlich wird ganz gewiß der Fall sein, soviel steht fest, und ich habe es euch schon oft mit unwiderleglichen Gründen bewiesen. Denn obwohl die Hl. Schrift hinreichen muß, uns davon zu überzeugen, so haben wir doch, weil gewisse Leute stets etwas einzuwenden haben, auch triftige Vernunftgründe ins Feld geführt. Es schadet nichts, dieselben hier zu wiederholen. Welches waren sie nun? — Gott ist gerecht; darüber sind wir alle einig, Heiden und Juden, Häretiker und Christen. Nun scheiden aber viele Sünder aus dem Leben, die (hienieden) nicht gestraft worden sind; ebenso gehen viele tugendhafte Menschen ins Jenseits, die (hinieden) unsägliches Leiden erduldet haben. Wenn nun Gott gerecht ist, wo wird er diesen die vergeltende Belohnung, jenen die vergeltende Bestrafung angedeihen lassen, im Falle es keine Hölle gibt, im Falle es keine Auferstehung gibt? Diesen Beweis also müßt ihr immerfort den andern und euch selbst vor Augen halten; er wird in euch nie einen Zweifel an der Auferstehung aufkommen lassen. Wer aber an der Auferstehung nicht zweifelt, wird sich in seinem ganzen Leben der größten Behutsamkeit befleißen, um die ewigen Güter zu erlangen, deren wir alle teilhaftig werden mögen durch die Gnade und Menschenfreundlichkeit unseres Herrn Jesus Christus, mit welchem dem Vater gleichwie dem Hl. Geiste Herrlichkeit, Macht und Ehre sei, jetzt und allezeit und in alle Ewigkeit. Amen.