4.
Siehst du, daß dies Schaden bringt? Siehst du, daß es überflüssig und unnütz ist? Wenn es nämlich weder größeren Nutzen noch Vergnügen gewährt — denn mit der Zeit wird man dessen überdrüssig —, so ist es nichts anderes als Schaden. Aber freilich, die Eitelkeit läßt eine solche Einsicht nicht aufkommen. — Weiter: Paulus hat sogar auf das verzichtet, was er für einen Gewinn hielt; wir aber wollen nicht einmal das um Christi willen aufgeben, was uns nur Schaden verursacht? Wie lange noch kleben wir an der Erde? Wie lange noch richten wir unsern Blick nicht himmelwärts? Seht ihr nicht, wie die Greise von der Vergangenheit keine Empfindung mehr haben? Seht ihr nicht, wie die Menschen sterben, die einen im hohen Alter, die andern in der Jugend? Seht ihr nicht, wie sie oft schon bei Lebzeiten um ihr Vermögen kommen? Warum hängen wir unser Herz an das Unbeständige? Warum lassen wir uns vom Unsicheren fesseln? Wie lange noch greifen wir nicht nach dem Bleibenden? Was gäben die S. 162 Greise darum, wenn sie das Alter abschütteln könnten! Zeugt es nun nicht von höchster Unvernunft, zur früheren Jugend zurückkehren und leichten Herzens alles dafür hingeben zu wollen, um wieder jung zu werden, aber obgleich es in unserer Macht liegt, eine nie alternde und eine weit geistigere Jugend in Verbindung mit großem Reichtume zu erlangen, dafür auch nicht zum kleinsten Opfer sich zu verstehen, sondern die Güter mit Zähigkeit festzuhalten, die uns selbst in diesem Leben keinen wirklichen Nutzen gewähren? Sie sind nicht imstande, dich dem Tode zu entreißen; sie vermögen es nicht, die Krankheit von dir abzuwenden, das Alter fernzuhalten oder sonst etwas von dem, was unausbleiblich ist und nach dem Gesetze der Natur eintritt: und trotzdem klammerst du dich noch daran? Sage mir, wo ist da der Gewinn? Fraß und Völlerei und allerlei unstatthafte Lüste foltern uns ärger als der grausamste Tyrann. Das ist der einzige Gewinn, den wir aus dem Reichtum zu ziehen verstehen, einen andern nicht, weil wir nicht wollen; denn wenn wir nur möchten, so könnten wir uns mittelst des Reichtums den Himmel erwerben. — Also ist der Reichtum doch etwas Gutes, höre ich einwenden. — Nicht der Reichtum bewirkt das, sondern der Wille des Besitzers. Daß es der Wille ist, der das bewirkt —: auch dem Armen ist die Möglichkeit gegeben, sich den Himmel zu gewinnen. Denn, wie ich schon oft betonte, nicht auf die Größe der Gabe nimmt Gott Rücksicht, sondern auf den Willen des Gebers. Auch einer, der arm ist und nur Weniges gibt, kann den vollen Lohn davontragen; denn Gott fordert nicht mehr, als der Mensch zu leisten vermag. Nicht der Reichtum verschafft den Himmel, und nicht die Armut bringt in die Hölle, sondern das eine wie das andere Los bereitet der gute und der böse Wille. Diesen laßt uns also bessern, diesen kräftigen, diesen ordnen: dann wird uns alles leicht werden. Denn gleichwie der Zimmermann, mag er eine Axt von Eisen oder von Gold haben, auf gleiche Weise das Holz bearbeitet, ja besser noch mit der von Eisen: ebenso verhält es sich auch hier; weitaus leichter wird durch die Armut die vollkommene Tugend erreicht. Über den Reichtum nämlich spricht Christus: „Leichter S. 163 ist es, daß ein Kamel durch ein Nadelöhr eingehe, als ein Reicher in das Himmelreich1.“ Über die Armut aber hat er keinen solchen Ausspruch getan, sondern gerade das Gegenteil geäußert: „Verkaufe, was du hast und gib es den Armen; und komm und folge mir nach2!“ um anzudeuten, daß die Nachfolge vom freien Willen abhänge.