2.
„Fruchtbringend“, heißt es; das bezieht sich auf die Werke. „Gekräftigt“; das auf die Prüfungen. — „Zu aller Geduld und Langmut.“ Langmut gegen einander, Geduld gegen die auswärts. Denn seine Langmut beweist man gegen jene, an denen man auch Rache nehmen könnte; seine Geduld aber gegen jene, an denen man sich nicht rächen kann. Deswegen wird bei Gott nie von Geduld gesprochen, dagegen an vielen Stellen von Langmut. So schreibt unser Heiliger selbst in einem andern Briefe: „Oder verachtest du den Reichtum seiner Güte, Nachsicht und Langmut1?“ — „Zu aller.“ Nicht etwa nur für jetzt, nachher aber nicht mehr. — „In aller geistlichen Weisheit und Einsicht“, heißt es. Denn anders kann man seinen Willen nicht erkennen. Allerdings wähnten sie seinen Willen erfaßt zu haben, aber ihre Weisheit war keine geistliche. — „Daß ihr“, heißt es weiter, „des Herrn würdig wandelt.“ Denn das ist der Weg zu einem vollkommenen Lebenswandel. Wer Gottes Menschenfreundlichkeit kennen gelernt hat — man lernt sie aber kennen durch die Betrachtung, wie er seinen Sohn dahingab —, der wird von lebendigem Eifer beseelt sein. Des andern aber beten wir nicht darum allein, daß ihr dies einsehet, sondern daß ihr es auch durch die Werke zeiget. Denn wer (den göttlichen Willen) kennt, ohne ihn zu befolgen, hat sogar Strafe zu gewärtigen. — „Daß ihr wandelt“, sagt Paulus; d. h. stets, nicht einmal nur, sondern immerfort. So notwendig für uns das leibliche Gehen ist, ebenso notwendig ist auch das recht leben. Dies bezeichnet er stets als „Wandel“, und zwar mit Recht, indem er dadurch zu verstehen gibt, daß es unsere Aufgabe ist, ein solches Leben zu führen; das weltliche Leben aber ist kein solches. Darin liegt auch ein großes Lob. — „Daß ihr wandelt,“ sagt er, „würdig S. 258 des Herrn“ und „in jedem guten Werke“, so daß ihr stets fortschreitet und niemals stille stehet; und bildlich: „Fruchtbringend und zunehmend in der Erkenntnis Gottes“, damit ihr so gekräftigt werdet gemäß der Stärke Gottes, wie es je einem Menschen möglich war. — „Durch seine Macht.“ Das ist ein großer Trost. Er sagte nicht „Kraft“, sondern „Macht“, was stärker ist. — „Durch die Macht seiner Herrlichkeit“, spricht er; weil seine Herrlichkeit überall obwaltet. — Er hat ihn, der Vorwürfe verdiente, bereits getröstet. Und wiederum: „Daß ihr des Herrn würdig wandelt.“ — Vom Sohne ist es zu verstehen, daß er überall Macht habe, sowohl im Himmel als auf Erden, wenn der Apostel sagt, seine Herrlichkeit regiere überall. — Er wünscht ihnen nicht Kräftigung schlechthin, sondern eine solche, wie sie denen ziemt, die einem so gewaltigen Herrn dienen. — „In der Erkenntnis Gottes.“ Er berührt zugleich auch die Art des Erkennens; denn im Irrtum befangen ist, wer Gott nicht gehörig erkennt. Oder er will sagen, sie sollten in der Erkenntnis Gottes Fortschritte machen. Wenn nämlich derjenige, welcher den Sohn nicht kennt, auch den Vater nicht kennt2, so ergibt sich die Notwendigkeit der Erkenntnis von selbst; ohne sie würde ja der Lebenswandel nichts nützen. — „Zu allet Geduld und Langmut“, heißt es,
V. 12: „mit Freuden3 danksagend Gott4 ...“
In der Absicht sodann, sie noch mehr zu ermuntern, gedenkt er nicht der ihnen in Aussicht gestellten zukünftigen Güter, sondern darauf hatte er gleich im Eingange hingedeutet mit den Worten: „wegen der euch im Himmel hinterlegten Hoffnung“; hier dagegen erwähnt er die ihnen bereits zuteil gewordenen Wohltaten; denn auf S. 259 Grund dieser werden jene gewährt. An vielen Stellen geht er so zu Werke. Denn bereits Geschehenes flößt festeren Glauben ein und richtet den Zuhörer mehr auf. — Es heißt: „mit Freuden danksagend Gott“. Der Zusammenhang ist folgender: Wir hören nicht auf, für euch zu beten und wegen der bisherigen Gnaden dankzusagen. Beachtest du, wie er seine Rede auf die Lehre vom Sohne hinlenkt? Wenn wir nämlich mit großer Freude danksagen, so muß es sich um Großartiges handeln. Denn man kann danksagen lediglich aus Furcht, man kann danksagen auch in Traurigkeit, wie z. B. Job mitten in seinem Schmerze danksagte und sprach: „Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen5.“ Man bilde sich nämlich ja nicht ein, der Verlust habe ihn nicht betrübt und niedergeschlagen; man raube diesem Gerechten ja nicht seinen hohen Ruhm! Wenn es sich aber um solches handelt, dann sagen wir Dank nicht bloß aus Furcht, nicht bloß wegen seiner unumschränkten Gewalt, sondern auch wegen der Natur der Sache selbst. — „... der uns befähigt hat zum Anteil am Erbe der Heiligen im Lichte ...“ Ein großartiges Wort! Derart sind die verliehenen Gaben, will er sagen, daß er sie euch nicht nur geschenkt, sondern euch auch in den Stand gesetzt hat, sie euch anzueignen. Von welch großem Gewichte dies sei, erhellt aus den Worten: „der befähigt hat“. Wenn z. B. jemand von niederer Herkunft auch König würde, so könnte er freilich eine Statthalterschaft verleihen, wem immer er wollte; er vermöchte jedoch nur dies eine, ihm die hohe Würde zu übertragen, aber nicht zugleich ihn tauglich zu machen zur Führung des Amtes. Ja häufig macht einen solchen die Ehrenstelle sogar lächerlich. Wenn er ihm freilich nicht bloß die Würde verliehe, sondern ihn zugleich für das Ehrenamt geeignet und zu dessen Verwaltung fähig machte, dann wäre es in der Tat eine Ehre.
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Röm. 2, 4. ↩
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Vgl. Matth. 11, 27. ↩
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Der Ausdruck „mit Freuden“ wird von der Vulgata und dem gewöhnlichen griechischen Texte noch zu V. 11 gezogen und mit den vorausgehenden Worten verbunden. ↩
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Der hl. Chrysostomus liest τῷ θεῷ, der gewöhnliche griechische Text bietet τῷ πατρί, die Vulgata verbindet beides: Deo patri. ↩
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Job 1, 21. ↩